Linksaußen:Aus  U(h)r-Zeiten

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Letztes Hamburger Bundesliga-Relikt: Dino Hermann soll bleiben, auch wenn die beste Zeit des HSV längst abgelaufen ist. (Foto: imago images / Revierfoto)

Beim HSV stehen die Ziffern still und im Bayerischen Hof rammt ein Sänger einem Hotelgast die Faust ins Gesicht: Wenn selbst Müller-Wohlfahrt nicht mehr helfen kann.

Von Johannes Schnitzler

Alles hat seine Zeit. Bis jede Zeit vorüber ist. Nichts hat die Vergänglichkeit bestechender auf ihr Wesen verdichtet als die Bundesliga-Uhr des Hamburger SV. Jahrzehntelang zeigte sie in digitalen Ziffern jene Zeit an, die der HSV, das letzte noch nie abgestiegene Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga, in der höchsten deutschen Spielklasse mitspielen durfte. Als der "Dino" dann 2018 den Weg alles Irdischen ging und in die zweite Liga abstieg, wo zuvor schon die vermeintlich "Unabsteigbaren" vom VfL Bochum gestrandet waren, reagierten die Hamburger hanseatisch-pragmatisch: Nach 54 Jahren, 261 Tagen, null Stunden, 36 Minuten und zwei Sekunden war die Bundesliga für den HSV Geschichte - von da an zeigte das Chronometer die Zeit seit der Gründung des Traditionsvereins im Jahr 1887 an. Der HSV bewies damit, was Einstein einst behauptet hatte: Zeit ist relativ. Sie lässt sich biegen.

Im Sport werden Ereignisse gerne als historisch verkauft, obwohl sie sich vor dem Hintergrund der Geschichte als eher kurzlebig erweisen. Und doch bot die vergangene Woche einige bemerkenswerte Geschichten mit Münchner Beteiligung.

Kevin siegt, Stefan verliert und Till - haut sich für Lena rein

Historisch I: In Kevin Krawietz, der in der Tennis-Bundesliga für den TC Großhesselohe spielt, und Andreas Mies (Köln) gewann bei den French Open in Paris zum ersten Mal seit 1937 ein deutsches Doppel ein Grand-Slam-Turnier.

Historisch II: Die deutschen Hockeyspieler und ihr Bundestrainer Stefan Kermas - bis 2016 Trainer und Sportdirektor beim Münchner SC - haben in der Pro League 0:8 verloren, gegen Weltmeister Belgien. Es war die höchste Niederlage für ein deutsches Männer-Team seit mehr als 100 Jahren. Damals, am 8. November 1913, ging Deutschland gegen England 1:9 unter. Ein Jahr später begann der Erste Weltkrieg. Womit wir bei Till Lindemann wären.

Der Frontmann (wann hätte dieser Begriff je besser gepasst?) soll vor den beiden Auftritten seiner Band Rammstein im Münchner Olympiastadion einem Kontrahenten in der Bar des Bayerischen Hofs die Visage zertrümmert haben. Auslöser war eine vermeintliche Beleidigung von Lindemanns Begleitung, laut Bild einer gewissen Lena, nach SZ-Recherchen nicht verwandt und nicht verschwägert mit der von Pur besungenen Dame selben Namens (bei Unterstellung etwaiger Gemeinsamkeiten kommt Lindemann gerne zum persönlichen Meet & Greet zu Ihnen nach Hause und zertrümmert auf Wunsch Ihren Kiefer oder Ihr Mobiliar).

Ja, auch bei der Wahl der richtigen Musik zur Zeitgeschichte muss man heute vorsichtig sein. "Hamburg meine Perle" zum Beispiel, seit Jahren vor jedem HSV-Heimspiel von Lotto King Karl inbrünstig benuschelt, soll im Volkspark nicht mehr gespielt werden. Weil darin von Duellen gegen Bayern und Werder, Juventus und Rom fantasiert wird. Nicht demütig genug für einen zahnlosen Dino, finden Fan-Vertreter, nicht mehr zeitgemäß, genau wie die Bundesliga-Uhr, die nun, nachdem der HSV auch noch schmählich den Wiederaufstieg verpasst hat, endgültig abmontiert werden soll. Die Zeit der Uhr ist vorbei. Nicht abgeschafft wird dagegen Maskottchen Hermann, ein Plüsch-Dino, und das obwohl sein Lieblingssong offiziell "Hamburg meine Perle" ist ...

Benannt ist Dino Hermann nach Hermann Rieger, geboren in Mittenwald, dem einzigen "Kult-Masseur" der Bundesliga-Geschichte. Was Müller-Wohlfahrt ("MüWo", "Mull", "Häuptling Heilende Hände") für den FC Bayern ist, war Rieger für den HSV: eine zeitlose Legende. Riegers Neffe Christian Winkler ist übrigens Manager beim EHC Red Bull München und soll vor einigen Jahren ein Kandidat für das Amt des Sportdirektors beim HSV gewesen sein. Wer weiß, was dem Dino an Hysterie erspart geblieben wäre, historisch betrachtet.

© SZ vom 17.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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