Leichtathletik:Linksaußen auf der Überholspur

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Als Fußballer hat Nicolai Trageser, 17, immer von seiner Schnelligkeit gelebt. Erst als er 2015 zur Leichtathletik wechselte, merkte er, wie schnell er wirklich ist

Von Andreas Liebmann, München

Wer mag, kann sich an Forrest Gump erinnert fühlen, an den berühmten Ruf: "Lauf, Forrest, lauf!" Aber ganz so war es natürlich nicht. Neun Jahre lang hat Nicolai Trageser Fußball gespielt, meist Jugend-Kreisklasse, ein Jahr Kreisliga. Das Spielsystem sei oft simpel gewesen, erzählt der 17-Jährige: "Den Ball nach vorne - und ich laufe." Denn ein herausragender Fußballer sei er als Linksaußen nicht gewesen, aber schnell. Wie schnell, fiel ihm vor einiger Zeit bei der Zeitungslektüre auf: Er las einen Bericht über einen Straubinger Nachwuchssprinter, der Zweiter der bayerischen Meisterschaften über 100 Meter geworden war - "in einer Zeit, die ich in der Schule auch schon geschafft hatte", wie Trageser erkannte. Das brachte ihn dazu, selbst mal im Leichtathletik-Training des FTSV Straubing vorbeizuschauen. Seitdem ist Trageser kein Fußballer mehr.

Etwa 19 Monate ist das nun her. Kürzlich hat die LG Stadtwerke München eine Pressemitteilung verschickt, sie habe "hochkarätige Neuzugänge" bekommen, teilte sie mit. Trageser steht ganz oben auf der Liste. Er ist nach München gewechselt, um professionelleres Training zu bekommen, wie er sagt. Jonas Wahler, einer seiner Sprinttrainer in München, schwärmt: "Nicolai ist ein Rohdiamant." Im Sommer war der Rohdiamant Vierter der deutschen Jugendmeisterschaften über 200 Meter. Im Schlussspurt hatte ihn der Münchner Lorenzo Graf Barbero noch eingeholt, sonst wäre es eine Medaille geworden.

Vom Fußballer zum Sprinter oder umgekehrt, das ist nichts wirklich Außergewöhnliches. Schnell laufen schadet bekanntlich auch im Fußball nicht. Beim 5:1-Sieg der Niederlande gegen Spanien im Jahr 2014 soll Arjen Robben mit 37 Stundenkilometern über den halben Platz zum Torerfolg gespurtet sein, was die Frage aufwarf, ob er der schnellste Fußballer der Welt wäre. Immer wieder werden Höchstgeschwindigkeiten gemessen, bei denen Spitzensprinter blass werden müssten. Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang läuft die ersten 30 Meter angeblich in 3,7 Sekunden, schneller als Sprintstar Usain Bolt. Aubameyang war deshalb schon vom deutschen Sprinter Julian Reus zum Duell gefordert worden (was der BVB wegen Verletzungsgefahr verbot); kürzlich hat auch David Odonkor den Dortmunder herausgefordert. Andere Messungen sehen André Hahn oder Timo Werner als noch schneller. Bolt wiederum, inzwischen 30, erzählt hartnäckig, er wolle nach der Leichtathletik-Karriere Fußballer werden, bei Manchester United. Zuletzt hat er in Dortmund mittrainiert.

Nicolai Trageser verfolgt solche Dinge tatsächlich mit einem Auge. Es gäbe auch ernsthaftere Vorbilder, etwa den Berliner Maximilian Kessler, 27. Der deutsche Hallenmeister von 2013 über 200 Meter ist als Elftklässler vom Fußball zur Leichtathletik gewechselt. Für Trageser ist das Thema Fußball jedenfalls beendet. "Es hat sich schnell gezeigt, dass ich in der Leichtathletik wesentlich mehr erreichen kann", sagt er. Sein erster Wettkampf vor eineinhalb Jahren seien die bayerischen Meisterschaften gewesen. Er wurde Sechster über 100 Meter, "nach einem Monat Training", wie er betont. Er sei davon selbst beeindruckt gewesen. Damit war er für die deutschen Meisterschaften qualifiziert. Doch die ließ er damals aus. "Am Anfang bin ich rein auf Kraft gelaufen, das hat eher an eine Dampflok erinnert", sagt er. Erst einmal stand viel Techniktraining an.

Tragesers Bestzeit über 100 Meter liegt bei 11,02 Sekunden. Mehrmals sei er nur um Hundertstel an seiner ersten Zehnerzeit vorbeigelaufen, der Wind habe nie so recht mitgespielt. Dieses Ziel bleibt ihm also noch, doch inzwischen habe er ohnehin festgestellt, dass die 200 Meter seine Paradestrecke sind: "Ich falle auf den zweiten hundert Metern nicht ab, ich kann da fast die gleiche Zeit durchhalten." 22,06 Sekunden hat er im Juli geschafft. Und das Verbesserungspotenzial ist weiterhin enorm, Trageser steht ja immer noch ganz am Anfang seiner Leichtathletik-Laufbahn.

Der 17-jährige Fachoberschüler nimmt nun einigen Aufwand in Kauf. Er lebt weiter in Straubing, wo er zweimal pro Woche Kraft und einmal Ausdauer trainiert; zum Sprinttraining nach München kommt er an zwei weiteren Tagen, was ohne die Fahrdienste seiner Eltern nicht möglich wäre. Dazu kommen die Wettkämpfe. In der neuen Saison rückt er in die Altersklasse U20 vor. Stephan Weidmann, ebenfalls einer seiner neuen Trainer in München, sagt: "Sowohl im Einzel als auch in der Staffel ist er eine enorme Verstärkung für uns."

Trageser ist künftig nicht nur einer der härtesten Rivalen, sondern auch der Trainingskollege des Münchners Lorenzo Graf Barbero, der ihn schon mehrmals auf den letzten Metern überholt hat. Dafür hat Trageser dem 100- und 200-Meter-Sieger Graf Barbero bei den bayerischen Meisterschaften 2016 in Erding den Titel-Hattrick vermasselt. In der Staffel. Doch die laufen beide ja künftig gemeinsam. "Wir pushen uns gegenseitig, aber wir sind auch schon gut befreundet", sagt Trageser. Graf Barbero habe ihn nach den Rennen sehr gelobt und ihn in seiner Entscheidung bestärkt, zur LG Stadtwerke zu wechseln. Dennoch habe er sich vorgenommen, bei den nächsten bayerischen Meisterschaften dreimal Gold zu holen, was Graf Barbero vermutlich nicht gerne hört. Dazu werde er unter anderem seinen Start verbessern müssen: "Der war noch nie meine Stärke". Aber er fängt ja erst an.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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