Leichtathletik:Ja, er ist mit'm Diskus da

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Waggi Schneider war Sportler, Musiker - und stellt mit 84 noch Rekorde auf.

Von Dietrich Mauersberg, Gröbenzell

Gewonnen hat ein Jungspund von gerade mal 80 Lenzen, Herbert Raml vom TSV Unterhaching. Rudolf Schneider konnte damit leben, gewinnen ist nicht alles. Er war Siebter der elf Teilnehmer kürzlich in Bogen, sein Rückstand auf Raml bei diesen bayerischen Seniorenmeisterschaften im Wurf-Fünfkampf war nicht gerade klein. Schneider ist schließlich schon 84, in der Klasse M80 war er somit einer der Ältesten, außerdem hat er Ende vergangenen Jahres ein künstliches Knie bekommen. Und gerade ihm muss nun wirklich niemand erzählen, dass es im Leben Wichtigeres gibt als ein paar Medaillen.

Bei Wettkämpfen wie diesem kennt jeder den "Waggi", wie er gerufen wird. Als Sportler, wohlgemerkt. Als Leichtathlet, der nie so ganz loskommt von seiner geliebten Sportart. Ansonsten kennt man den Waggi entweder gar nicht, oder aus einer ganz anderen Ecke, denn eigentlich ist Rudolf Schneider ein Star. Er ist das letzte lebende Mitglied der Musikgruppe "Die drei lustigen Moosacher", die ihren Karrierehöhepunkt in einer Zeit hatte, als es im Fernsehen nur drei Sender gab und Shows wie "Lustige Musikanten", die Vorgängerversion des Musikantenstadls. Ohne ihren Hit "Ja, mir san mit'm Radl da" wird wohl auch auf der aktuellen Wiesn wieder kaum ein Festzelt auskommen, auch im Fasching ist das Lied seit Generationen etwas, das man früher einen Gassenhauer nannte.

Vom Musiker Schneider ist über die Jahre immer mal wieder etwas zu lesen gewesen, vom Sportler eher weniger. Außer vor drei Jahren, als er mit drei Kollegen über 4×100 Meter einen deutschen Rekord für Männer über 80 aufstellte, beim Sportfest des SC Gröbenzell. Die mediale Aufmerksamkeit hing damals natürlich eng mit Schneiders musikalischer Vergangenheit zusammen, dabei ist auch seine sportliche Vita beachtlich: 1952 war er zweimal Zweiter bei deutschen Jugendmeisterschaften, im Stabhochsprung und im Fünfkampf.

Der Hochsprungwar eine von vielenDisziplinen, dieRudolf Schneiderals junger Mannprima beherrschte. (Foto: privat)

Schneiders Leichtathletik-Laufbahn begann 1949, als er dem VfL München, dem Vorgängerverein des heutigen PSV München, beitrat. Dieser hatte seine Trainingsstätte an der Arnulfstraße, wo jetzt das ehemalige Postgebäude steht. Seine Vielseitigkeit quer durch alle Disziplinen war beeindruckend. 1952 stand sein Name elf Mal in der deutschen Jahresbestenliste. So lief er als 18-Jähriger auf der Aschenbahn 100 Meter in 11,1 Sekunden, er sprang 6,56 Meter weit und überquerte mit dem damals gängigen Bambusstab die Latte bei 3,40 Meter. 1953 belegte er mit 19 bei der deutschen Juniorenmeisterschaft Rang drei im Zehnkampf. Das war auch schon der Abschluss seiner Leistungssportkarriere.

Denn zu dieser Zeit hatte Schneider seine Musikkarriere gestartet. 1952 traf er im Moosacher Kino auf seinen Spezi Hans Niedermeier, der zusammen mit Hans Döring einen Auftritt bei einem Faschingsball geplant hatte. Mit von der Partie sollte ein 83-jähriger Bassist sein. "Ich spiele auch Bass", erklärte Schneider, gab dem Senior kurzerhand 20 Mark, damit dieser auf seinen Aufritt verzichtet - die drei Moosacher waren geboren. Dabei sei er der einzige von ihnen, "der wirklich in Moosach geboren und aufgewachsen ist", wie er betont.

Schneider, der nach dem Abitur am Rupprecht-Gymnasium Sport studieren wollte, dann aber eine Lehre als Großhandelskaufmann absolvierte, betrieb die Musik zunächst nebenberuflich. 1958 erst beschloss das Trio, Profimusiker zu werden. "Bereut habe ich diesen Schritt nie", sagt er, aber: "Heute würde ich es mich nicht mehr trauen. Das Risiko ist zu groß." Alle drei haben am Konservatorium Musik studiert, das habe ein Plattenproduzent verlangt, erzählt Schneider. 300 Auftritte im Jahr waren keine Seltenheit, fast fünf Millionen Schallplatten haben sie verkauft, sie liefen im Radio und Fernsehen auf und ab, waren mit dem Radl da, mit der "Brotzeit-Polka" oder mit "Geh, Oide, schau mi net so deppert o". Auf dem, was er in dieser Zeit getrunken habe, "könnte ein Schiff fahren", behauptet Schneider. Nur der Versuch, ernstere Stücke zu spielen, scheiterte. "Die Leute wollten damals lachen."

Vor etwas mehr als drei Jahren jubelte er mit drei Kollegen (ganz rechts Dieter Schamann) über einen deutschen Staffel-Rekord. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Dabei war Schneider just in jener Zeit so gar nicht zum Lachen zumute. 1968 ermordete ein Nachbar seine erste Ehefrau mit mehreren Messerstichen, offenbar aus Neid über den beruflichen Erfolg ihres Mannes. Eigentlich hatte das Attentat dem damals zweijährigen Sohn gegolten. "Das war eine schwere Zeit", blickt Schneider zurück. 1968 war auch das Jahr, in dem die Band den Radl-Song bekam, ein Produzent hatte die Melodie dabei, Schneider verfassten den Text in einer knappen Stunde. Seine Kollegen hätten ihn mühsam überredet, auf die Bühne zurückzukehren.

Mittlerweile ist Rudolf Schneider dreifacher Großvater. Seit 1965 wohnt er in Gröbenzell, hat mit seiner zweiten Frau ein weiteres Kind großgezogen. Die Ära der lustigen Moosacher endete in der Silvesternacht 1999, als Döring starb. Zu zweit wollten die Übriggebliebenen nicht weitermachen, ihr Auftritt im Oktober 1999 in Knetzgau blieb ihr letzter. Vier Jahre nach Döring wurde auch Niedermeier begraben.

Schneider, der während einer seiner vielen USA-Reisen übrigens mal Ehrenbürger von Hamburg bei New York wurde, geht heute oft Bergwandern mit alten Leichtathletik-Kameraden wie dem ehemaligen 400-Meter-Läufer Lothar Prinz oder dem Hürdensprinter Waldemar Capeller, der heuer 91 geworden ist. Weitsprung, Sprint oder Stabhochsprung "gehen nimmer so recht, man verliert in meinem Alter schnell die Kraft", erzählt er. Aber aufhören wollte er eben auch nie. Schneider ist stolz darauf, dass er mit Anfang 50 noch die "Sportkrone" geschafft hat, eine Steigerung des herkömmlichen Sportabzeichens. Hier werden Leistungen gefordert, wie sie für 20- bis 30-Jährige üblich sind, etwa Weitsprung von deutlich mehr als fünf Metern.

In Bogen hat er den Hammer immerhin noch 27,02 und den Diskus 18,52 Meter weit geworfen. Schneider ist zufrieden mit seinem Leben, sagt er. "Ich verdiene mein Geld jetzt im Schlaf, wenn unsere Musik im Radio gespielt wird." Aber das ist ja lange kein Grund, seine Beine nur noch hochzulegen.

© SZ vom 04.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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