Leichtathletik:Entspannt auf der Lauer

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Außenseiterchance genutzt: Elisabeth Hafenrichter bei der Junioren-Gala in Mannheim. (Foto: Beautiful Sports/Imago)

Die Münchner Speerwerferin Elisabeth Hafenrichter startet bei der U20-EM in Schweden. Das war ihr großes Saisonziel. Danach hat sie noch einiges mehr vor.

Von Andreas Liebmann

Alle wesentlichen Fragen waren rasch beantwortet. Ein Anlauf, ein Wurf, 50,43 Meter, das war's. Elisabeth Hafenrichter konnte sich wieder entspannen.

Es war ziemlich klar, dass am vergangenen Sonntag im Augsburger Rosenaustadion keine ihrer Kontrahentinnen im Speerwurf an diese Weite heranreichen würde. Der zweitplatzierten Elina Nebl aus Plattling fehlten nach sechs Versuchen noch knapp sieben Meter, der Viertplatzierten mehr als zehn. Dass auch sie selbst an diesen ersten Versuch nicht mehr herankam, war nicht weiter wichtig. Die einzige Frage, die dieser Wurf nicht hatte klären können, die hatte Elisabeth Hafenrichter einige Tage zuvor schon selbst beantwortet, nämlich die, wieso sie am Sonntag überhaupt bei den bayerischen U20-Meisterschaften antreten wollte - wo doch tags darauf ihre Reise nach Schweden anstand, nach Borås, zu den Europameisterschaften ihrer Altersklasse. "Weil ich bayerische Meisterin werden kann", entgegnete sie lapidar. "Das will ich mir nicht nehmen lassen."

Die Schulter ausgekugelt,das Sprunggelenk verdreht: Eigentlich lief fast alles gegen sie

Elisabeth Hafenrichter saß da noch gemütlich daheim auf ihrer Couch. Weder merkte man der 19-Jährigen an, dass sie mal wieder einen langen Tag gehabt hatte, noch war irgendein Indiz von der bevorstehenden Reise zu ihrem bislang größten internationalen Wettkampf zu erkennen. "Ich werde sicher noch nervös", sagte sie, "bis jetzt freue ich mich einfach nur, dass es geklappt hat."

Nach dem, was Hafenrichter in dieser Saison alles widerfahren ist, war die Sinnfrage ihres Auftritts in Augsburg keinesfalls abwegig. Im Trainingslager in Brixen hatte sie sich die linke Schulter ausgekugelt, im Kraftraum, als sie im Liegen so genannte Überzüge machte - mit einer 20-Kilo-Stange, an der noch gar keine Gewichte hingen. Zu schnell, zu unkonzentriert, ein Flüchtigkeitsfehler. Sie hatte Glück, das Gelenk sprang von selbst zurück. Am rechten Wurfarm entzündete sich die Bizepssehne, und eine Woche vor der Gala in Mannheim, die über die Teilnahme an der EM entscheiden sollte, reiste sie mit dickem Sprunggelenk zum Lehrgang - beim Bowling hatte sie eine Stufe übersehen und war umgeknickt. Sie schmunzelt, während sie all das erzählt. Eigentlich lief fast alles gegen sie.

Auch ihre aktuelle persönliche Bestweite, 51,49 Meter, mit der sie sich für Borås empfahl, kam bei den Halleschen Werfertagen Anfang Juni kurios zustande. Ihr Auftakt war mäßig, und als die acht Namen der Finalistinnen verlesen wurden und ihrer fehlte, zog sie eben die Schuhe aus, sammelte ihre Anlaufmarkierung ein. Doch dann erkundigte sie sich noch rasch bei den Veranstaltern, wie weit sie eigentlich fürs Finale hätte werfen müssen, nur interessehalber - ihre Familie hatte diese Frage gestellt. Dabei kam heraus, dass den Organisatoren ein Fehler unterlaufen war: Hafenrichter war noch dabei. Sie stieg daher mit Verspätung ins Finale ein. Und als die Siegerin, die übermächtige Griechin Elina Tzengko, mit ihrem letzten Versuch 61,48 Meter erreichte und der Wettkampf damit offiziell vorüber gewesen wäre, da machte die Nachzüglerin Hafenrichter zur allgemeinen Verwunderung noch etwas weiter - und schaffte ihren besten Wurf.

Irgendwie hat sich doch manches gefügt in diesem Jahr, obwohl alles gar nicht so einfach war. Ihr Trainer Stephan Seeck war vor der Saison weggezogen, seitdem trainiert sie beim Münchner DLV-Wurftrainer Joachim Lipske. Der habe etwas andere Ansätze und Ideen, vermittle manche Dinge anders, "inzwischen habe ich aber sinngemäß verstanden, was er möchte", sagt Elisabeth Hafenrichter. Die Ergebnisse bestätigen das, ebenso wie Lipske: "Sie ist sehr fleißig, sie versteht es, sich großzumachen, hat lange Arme, ist schnellkräftig und hat ein gutes Kraftniveau", zählt er auf. Der Trainerwechsel samt Technikumstellung sei sicher nicht leicht gewesen. Technisch wie athletisch sei noch einiges zu tun, sagt Lipske, aber er zieht Vergleiche mit Julia Zandt oder Sandra Schaffarczyk, Jugend-Europa- beziehungsweise Weltmeisterinnen, die er schon trainiert hat, und er sieht in Hafenrichter durchaus "ein vergleichbares Potenzial". Wenn die neue Technik erst noch stabiler werde, müssten im kommenden Jahr 56 bis 58 Meter drin sein, schätzt er, und dann sei es ja gar nicht mehr weit bis zur Elite bei den Frauen.

Allerdings ist die Konkurrenz groß in Deutschland, auch in Hafenrichters Jahrgang. 2018 war sie zweimal Zweite bei den deutschen U20-Meisterschaften, drinnen und draußen. Zurzeit ist sie die Nummer vier. Beim Ausscheidungswettkampf in Mannheim schaffte sie es dennoch, einen der drei EM-Plätze zu ergattern. "Entspannt" sei sie dort angetreten, weil sie nicht viel zu verlieren hatte, sagt sie, obwohl die EM natürlich ihr Saisonziel gewesen sei. Es klappe meist am besten, wenn sie entspannt sei, wenn sie den Kopf ein bisschen ausschalten könne. Jedenfalls wurde sie mit 49,67 Metern Dritte, hinter Leonie Tröger (Halle) und Julia Ulbricht (Rostock), aber vor Lea Wipper, obwohl die Leipzigerin in Halle noch weiter geworfen hatte als sie. Deshalb darf sie nun also in Schweden antreten, es wird ihr dritter internationaler Einsatz nach Länderkämpfen in Nantes und Berlin. An diesem Donnerstag findet die Qualifikation statt, das Finale am Sonntag ist ihr Ziel. Chancen auf den Sieg hat sie allerdings keine, schon allein weil die Griechin Tzengko dabei ist.

Vor einem Jahr hat Elisabeth Hafenrichter ihr Abitur gemacht, nun ist sie Vollzeit mit Studium und Arbeit beschäftigt - ihre Sportkarriere soll trotzdem weitergehen. Sie hat sich für ein duales Fernstudium der Fitnessökonomie entschieden. Dazu muss sie selten an die Uni, arbeitet aber 40 Wochenstunden in einem Fitnessstudio, wo sie Gesundheitsanalysen macht, Kurse gibt - und ausreichend Gelegenheiten hat, nebenbei selbst an den Geräten zu arbeiten. "Klingt nicht so leistungssportmäßig", gibt Lipske zu, "aber sie bekommt alles sehr gut unter einen Hut." Hafenrichter gehört zum Nachwuchskader 1, dem früheren C-Kader des Deutschen Leichtathletik-Verbands. Den Hauptteil ihrer Förderung hat sie der LG Stadtwerke zu verdanken.

Wie weit Elisabeth Hafenrichter kommen kann? Das ist vermutlich gar nicht seriös zu beantworten, so komplex und so fordernd für den Körper ist diese Disziplin. Lipske hebt deshalb etwas anderes hervor: "Ich arbeite unheimlich gerne mit ihr", sagt er und betont Hafenrichters immer positive, lockere Art. "Sie grübelt nicht über irgendwelche Probleme, sie macht einfach", sagt Lipske. "Wenn sie ins Finale kommt, würde mich das unheimlich freuen."

Elisabeth Hafenrichter selbst lächelt nur vergnügt, als sie auf ihrer Couch gefragt wird, wie das nach Borås wohl weitergehen könnte mit ihrer jungen Karriere. Dann versichert sie: "Ich will mir schon noch weitere internationale Ziele setzen."

© SZ vom 18.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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