Leichtathletik:Der Große mit dem neuen Dreh

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Leichtathletik: „Perfekt war der auch nicht. Ein bisschen mit Gewalt“: Christian Zimmermann über den Stoß zu seiner neuen Rekordweite.

„Perfekt war der auch nicht. Ein bisschen mit Gewalt“: Christian Zimmermann über den Stoß zu seiner neuen Rekordweite.

(Foto: Claus Schunk)

Nach einer Technikumstellung ist dem Kirchheimer Christian Zimmermann bei den bayerischen Meisterschaften sein erster Stoß über 19 Meter gelungen. Vorübergehend macht ihn das zum zweitbesten Deutschen.

Man hat ihn geschrumpft. Christian Zimmermann kann damit leben, klar, was soll's: Dann ist er eben mal ein "2,05-Meter-Hüne", zumindest auf der Homepage des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes. Das fällt auch nicht gerade in die Kategorie Kleinwuchs. Trotzdem, nur fürs Protokoll: Eigentlich misst er 2,13 Meter.

Acht Zentimeter können einen entscheidenden Unterschied ausmachen, das weiß der Kirchheimer seit spätestens vier Jahren. Acht Zentimeter fehlten ihm damals im Diskuswurf zur Norm für die U-23-Europameisterschaft in Tallinn. Sofern er überhaupt nominiert worden wäre - eher unwahrscheinlich angesichts der starken deutschen Konkurrenz -, wäre das sein erster Auftritt im Nationaltrikot geworden, bis heute eines seiner Ziele. Doch als es darauf ankam, bei den deutschen U-23-Meisterschaften, da lief es nicht besonders.

An sich interessiert sich Christian Zimmermann zurzeit für andere Zahlen, zum Beispiel für die 19. Am vergangenen Wochenende trat er bei den bayerischen Hallenmeisterschaften in Fürth an, in der festen Absicht, im Kugelstoßen endlich seinen ersten Versuch über 19 Meter zu schaffen. Das gelang, eindrucksvoll sogar. Seine bisherige Bestmarke vom vergangenen Mai lag bei 18,88 Meter, nun baute er sie auf 19,35 Meter aus. Aktuell liegt er damit in der deutschen Jahresbestenliste auf Rang zwei hinter David Storl, in Europa auf Rang elf. "Wahrscheinlich ändert sich das schon nächste Woche wieder", sagt er mit einem Schmunzeln, "aber im Moment kann man das toll erzählen."

Euphorie klingt sicherlich anders. Zimmermann versteht sich meisterhaft darauf, an seinen Leistungen herumzunörgeln, sich ein bisschen selbst auf die Schippe zu nehmen. 18,49, 18,43 und 18,73 Meter weit waren seine ersten Versuche in Fürth, "alles okay", findet er, "aber nicht das, was ich nach dem Training erwartet hätte." Er haderte. "Ich bin von Versuch zu Versuch nicht gerade ruhiger geworden", erzählt er. Er kennt das Gefühl, weit zu stoßen, obwohl die Abläufe nicht passen wie gewünscht. "Technisch kacke, und trotzdem 18,50 Meter, das fühlt sich schon auch gut an", weiß er. Aber eigentlich wartet er darauf, dass im Wettkampf endlich mal alles passt, Technik, Kopf, Weite; dass er perfekt nach vorne stößt "und nicht irgendwohin" wie bei diesen ersten Versuchen.

Dann also kam sein fünfter Stoß, die Kugel schlug bei 19,35 Meter ein, fast einen halben Meter weiter als je zuvor. Danach sagte der 24-Jährige: "Perfekt war der auch nicht. Ein bisschen mit Gewalt."

Christian Zimmermann geht nicht unbedingt den leichtesten Weg. Vermutlich hätte er es mit seiner Länge im Basketball schneller zu etwas bringen können, vielleicht auch Geld verdient. Doch er entschied sich für die Leichtathletik. Dort muss er sich mit der starken Konkurrenz aus den Sportschulen im Osten herumschlagen. Vielleicht wäre auch manches einfacher gewesen, hätte er sich irgendwann der großen LG Stadtwerke angeschlossen, doch er blieb lieber Einzelkämpfer beim Kirchheimer SC. Sein Heimatverein unterstützt ihn nach Kräften, er weiß das zu schätzen. "Hier ist es entspannter", findet er, "und ich habe ein bisschen was zu sagen." Gemeinsam mit seiner Freundin, einer ehemaligen Hammerwerferin, betreut er beim KSC eine Nachwuchsgruppe. 2016 und 2017 zählte Zimmermann mal zum deutschen B-Kader, ansonsten habe er weitgehend seinen Eltern "auf der Tasche" gelegen, wie er sagt. "Das ist keine leichte Kiste", weiß sein Trainer Joachim Lipske. "Er hat Glück, dass er in München gute Trainingsbedingungen hat - und natürlich einen guten Trainer."

Lipske sagt das mit einem Schmunzeln, trotzdem ist da etwas dran. Er ist der bayerische Landestrainer, er hat Zugriff auf die sportliche Infrastruktur der Stadt, und er hat einen Plan mit Zimmermann, seit Jahren schon. Er will ihn langsam aufbauen, will, dass er allmählich besser und besser wird, in einem Alter, in dem die Konkurrenten womöglich bereits stagnieren. Viel Geduld brauche man dafür, das gilt für den Trainer wie für den Athleten, auch das hat er vor Jahren schon betont. Es sei alles andere als einfach, einen derart groß gewachsenen Sportler ohne große Verletzungen "über die Zeit zu bringen", ihn langsam athletisch zu entwickeln. Da sei Zimmermann "noch lange nicht am Limit", glaubt Lipske. Aktuell sagt der Trainer: "Dieses Jahr wollen wir 20 Meter stoßen."

An diesem Samstag tritt Zimmermann beim Munich Indoor an (10 Uhr, Werner-von-Linde-Halle), da wäre er mit 19,50 Meter zufrieden. Er hat mit Lipske gemeinsam im vergangenen Herbst seine Technik umgestellt. Beim so genannten Angleiten, erklärt Lipske, sei es Zimmermann nie so recht gelungen, den Rumpf zu versteifen, was eben auch schwierig sei mit seiner Körpergröße. Nun haben sie auf eine Drehstoßtechnik umgestellt. "Das Drehen kenne ich ja vom Diskuswerfen", sagt Zimmermann. Immer wieder mal hätten ihm Leute gesagt, dass es viel lockerer aussehe, wenn er sich drehe. Außerdem ist er kein Kraftprotz, zumindest nicht in Relation zu den anderen in dieser Kraftprotzdisziplin. Trotz großer Fortschritte: "Der Stärkste bin ich noch nicht", sagt er. Dennoch habe er am Anfang erhebliche Zweifel gehabt an der Umstellung. Inzwischen fragt er sich, "warum wir eigentlich so viele Jahre mit Angleiten verschwendet haben". Es läuft.

Ein, zwei Jahre lang wird er noch mit seinem Master-Studiengang "Management and Technology" beschäftigt sein, danach vielleicht ein weiteres Studium anschließen - um genügend Zeit für den Sport zu haben. Denn es soll ja weiter vorwärts gehen. Bei der deutschen Meisterschaft in der Halle will er jetzt mindestens mal wieder in den Endkampf kommen. Eigentlich hätte er natürlich gerne eine Medaille, aber vorerst wäre er schon zufrieden damit, "mal nicht zu nervös zu sein oder zu locker, sondern einfach mal das zu machen, was ich kann". Im Sommer steht dann die Universiade an. Natürlich gibt es auch noch eine Hallen-EM, die Norm liegt bei 20,15 Meter. "Das halte ich nicht für unmöglich", sagt Zimmermann, aber realistisch sei es wohl auch nicht. Dafür müsste ihm schon ein richtig perfekter Stoß rausrutschen. Wer weiß. Man braucht Geduld.

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