Kurt-Landauer-Weg:Ein Weg, sich zu erinnern

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Der Jude Kurt Landauer war einer der prägendsten Vorsitzenden des FC Bayern. Heute pflegt der Klub das Andenken an einen Ehrenpräsidenten, der seines Glaubens wegen ins KZ gesperrt wurde. Vor dem Vergessen bewahrte ihn aber erst ein Antrag der Grünen.

Von Christoph Leischwitz, München

Dieser Weg fristet ein recht verborgenes Dasein, aber wahrlich kein ruhiges. Das permanente Dröhnen der A9 weht durch die dürren Baumwipfel herüber, ab und zu bellt der Hund eines Spaziergängers. Einen kleinen, mit Graffiti eingedeckten Skatepark gibt es, Straßenlaternen und Wegweiser sind mit Aufklebern der Schickeria versehen, jenen Ultras des FC Bayern, die auch Verbindungen zur Kurt-Landauer-Stiftung haben. Es ist ja nicht mehr weit zur Arena. Nachts schimmert sie herüber wie ein riesiges rotes Grablicht. Und so muss die moralische Frage, ob das hier ein angemessener Ort ist, um eines Menschen wie Kurt Landauer dauerhaft zu gedenken, mit einem Remis beantwortet werden: Einerseits kennen den Weg nur wenige, und er ist politisch unkorrekt eingegrenzt von einem Müllberg und einer Kläranlage. Andererseits, und so sehen das einige, die auch regelmäßig in der Südkurve stehen, windet sich dieser Weg genau zu jenem Ort, auf den der langjährige Präsident hingewirkt hat: die alleinige fußballerische Heimat eines der größten Klubs der Welt.

Das Ziel des Weges ist die Esplanade zur Arena, er ist quasi ein Seiteneingang, geografisch wie historisch. Seit Ende 2015 heißt der Platz vor dem Stadion auch Kurt-Landauer-Platz. Diese Erweiterung samt Ehrentafel hat der Verein veranlasst. Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, war an jenem Dezemberabend dabei, ebenso Landauers Neffe Uri Siegel, als FCB-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sagte, der Platz sei zugleich Erinnerung und Auftrag.

Vergleichsweise viel ist über Kurt Landauer gesprochen worden in den vergangenen Jahren, gemessen daran, dass sein Leben lange auch irgendwie im Verborgenen lag. Bevor der Sohn eines jüdischen Kaufmanns mit einem Geschäft in der Kaufinger Straße im Jahr 1913 zum ersten Mal Präsident des FC Bayern wurde, hatte er als Torwart für die zweite Mannschaft gespielt. 1901, kurz nach der Gründung des Klubs am 27. Februar 1900. Der Vater schickte ihn aber schon bald zur Ausbildung in die Schweiz (von 1919 bis 1933 und von 1947 bis 1951 sollten zwei weitere Amtsperioden folgen, von denen jene vor dem Krieg die prägendste war).

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(Foto: Philippe Ruiz/Imago)

Zeichen der Wertschätzung: Landauer-Porträt in der Arena.

Im Februar organisierte die Schickeria eine Stadion-Choreografie zu Ehren des früheren Bayern-Präsidenten Kurt Landauer.

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(Foto: Philippe Ruiz/imago)

Ein Mann zum Anfassen: Eine Bronze-Statue von Landauer steht am Trainingsgelände des FCB.

Mit 1,70 Meter war Landauer ein recht kleiner Torwart. Sein Biograf Dirk Kämper schreibt, dass seine Stärke vor allem sein Mut war, beim Herauslaufen wie auch bei Rempeleien - Landauer hatte keine Angst vor Verletzungen. Was zu jener Zeit schon allein deshalb günstig war, weil die oft nur lose aufgelegte Querlatte aus Holz dem Torwart auch mal auf den Kopf fallen konnte.

Zeit für einen Spaziergang. Auf den ersten Metern des Weges, auf der Autobahnbrücke, hat man bei Föhn einen eindrucksvollen Blick auf die Stadt, die direkt am Fuß der Berge zu liegen scheint. Schön für die Fans, die an einem Spieltag östlich der Freisinger Landstraße parken oder von dort anreisen. Für sie ist der Weg eine praktische Abkürzung. Er ist aber auch sonst einen Abstecher wert, vor allem wenn man sich für die Stadtgeschichte interessiert.

Der Weg hat nur eine einzige Hausnummer: "Kurt-Landauer-Weg 8" steht neben dem schweren Eisentor zur katholischen Heilig-Kreuz-Kirche, direkt neben der Abfahrt von der A9 auf die A99 Richtung Salzburg. Es ist die älteste Kirche auf Münchner Stadtgebiet, erstmals erwähnt im Jahr 815, erbaut vermutlich im 11. und 12. Jahrhundert. Um sie herum ist ein kleiner Friedhof angelegt, der auf seinen Grabsteinen noch vereinzelt Zeitzeugen ausweist, die vor Landauer (1884 bis 1961) geboren sind. 150 Meter südwestlich der Kirche steht ein Nachbau oder besser: die Hälfte eines Nachbaus, das "versunkene Dorf". Es sieht aus, als würden die Ausläufer des Fröttmaninger Berges die Kirche auffressen, und genau so ist es auch gemeint: Hier standen bis in die 1950er Jahre Siedlungen, die dem Müllberg weichen mussten. Über all dem dreht sich heute das Windrad.

Der Verein agiert mittlerweile sehr geschichtsbewusst. So wurde erst im vergangenen Mai eine Kurt-Landauer-Statue auf dem Trainingsgelände an der Säbener Straße enthüllt. Doch mit der Benennung des Weges im Jahr 2005 - also vor der Ernennung Landauers zum Ehrenpräsidenten, vor der riesigen Choreografie in der Arena, vor dem Film über sein Leben - hatte der Verein nichts zu tun. 2003 verabschiedete die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen einen Antrag, der Straße neben der neuen Arena diesen Namen zu geben. Anfang 2005 stimmte der Bezirksausschuss 12 Schwabing-Freimann "uneingeschränkt" zu, am 14. April 2005 wurde der Antrag im Stadtrat unter Tagesordnungspunkt 3 einstimmig angenommen. Angelegt war die neue Straße als Rettungsweg, er dient als Verbindungsstück zwischen Arena und dem Lottlisa-Behling-Weg. Dieser wiederum mündet an zwei Stellen in die Freisinger Landstraße. Eine Benennung "nach dieser Persönlichkeit auf dem Gelände der neuen Fußballarena", so die Grünen in ihrer Begründung, "wäre auch ein Signal der Fußballstadt München, dass sie sich der Opfer des Nationalsozialismus auch im Bereich des Fußballs erinnert." Im Bezirksausschuss schlug man sogar vor, nicht den kleinen Zulauf, sondern "die größere, gerade neu errichtete und nahezu das gesamte Stadionareal umfassende und erschließende Umlaufstraße nach Kurt Landauer zu benennen, um so noch wesentlich deutlicher an ihn und seine Verdienste zu erinnern". Gemeint ist die Werner-Heisenberg-Allee. Doch mit diesem Vorschlag war man offensichtlich zu spät dran. Die Sondermülldeponie nördlich der Arena, sowie ein Gebrauchtwagenzentrum seien unter der neuen Adresse bereits eingetragen, die Betreiberfirma der Arena habe zudem signalisiert, den Namen gerne behalten zu wollen.

Der Kurt-Landauer-Weg, der an der Kläranlage vorbei zur Arena führt (Foto: Florian Peljak)

So viel zur Erinnerung. Der vom Verein angesprochene Auftrag lautet: nicht vergessen, dass die Nazis auch Fußballwahrheiten verdrehten, den jüdischen Einfluss auf den Sport negierten, Landauer 1933 aus dem Amt mobbten und ins KZ schickten. Der Hass macht ja auch vor der schönsten Nebensache der Welt nicht halt.

Landauer sei "der erste moderne Präsident" des FC Bayern gewesen, findet Rummenigge, seine Weltoffenheit passe auch heute noch zu einem Weltklub. Nun sieht sich der eine oder andere Fan womöglich auch in der Tradition Landauers, wenn er die Kooperation des Vereins mit dem Emirat Katar kritisiert. Dort ist es nicht nur schlecht um die Menschenrechtslage bestellt, es wird ihm auch vorgeworfen, antisemitischen Terror zu unterstützen.

Seinem historischen Auftrag kommt der Verein trotzdem nach: in zunehmend polarisierenden Debatten nicht zu vergessen, dass die Geschichte des FC Bayern ein schillerndes Beispiel dafür ist, dass jüdisches und nichtjüdisches Vereinsleben nicht auseinander gerissen gehören, dass es sehr wohl beides geben kann, und zwar nicht parallel zueinander, sondern untrennbar miteineinander verbunden - ohne, dass es jemanden gestört hätte. Man könnte sagen: Der Verein hat dank Kurt Landauer dafür einen Weg gefunden.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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