Süddeutsche Zeitung

Klettern:Letzter Halt

Monika Retschy beendet mit 25 Jahren ihre Boulder-Karriere. Auch deshalb, weil ihr Sport bald olympisch wird.

Von Raphael Weiss

Monika Retschy strahlt über das ganze Gesicht, während sie - die Lokalmatadorin - darauf wartet, dass sie beim Boulder Weltcup im Olympiastadion endlich starten kann. Es ist ihr letzter internationaler Wettkampf und gleichzeitig der Abschluss der Weltcupsaison in ihrer Heimatstadt. "Ich hätte mir keinen schöneren Abschied vorstellen können", wird Retschy später mit einigen Tagen Abstand sagen.

Als der Moderator ihren Namen ruft und Retschy fast schon auf die Bühne hüpft, wird es ganz laut im Publikum. Sie winkt kurz, dann dreht sie sich zum Boulder und betrachtet ihn lange. Ihre Rückenmuskulatur spannt sich an, arbeitet schon, während Retschy im Kopf die erste Route plant. Dann geht sie an die Wand. Nach wenigen Sekunden liegt sie horizontal in der Luft, eingeklemmt zwischen zwei Griffen, drückt sich ab und schiebt sich weiter nach oben. Die erste Aufgabe des Tages löst sie souverän. Es wird die einzige bleiben.

Bald sind drei Disziplinen gefragt. "Früher wurde mir gesagt, dass ich mich spezialisieren muss."

Monika Retschy ist Münchens erfolgreichste Sportkletterin. Mit 15 Jahren kletterte sie ihren ersten Wettkampf. Jetzt, zehn Jahre und drei deutsche Meistertitel später, verabschiedet sich von der großen Bühne. "Es war die richtige Entscheidung, jetzt aufzuhören", findet Retschy. Es gibt mehrere Gründe, warum sie sich genau jetzt aus dem aktiven Leistungssport zurückzieht. Der Müncherin fehlen noch drei Semester, um ihr Studium zu beenden, darauf möchte sie sich konzentrieren. Ausgiebiges Training und die Wettkampfsaison hatten das zuletzt erheblich erschwert.

Ein anderer Grund heißt Olympic Combined. Als Retschy begann, war Klettern ein Randsport. Während ihrer Karriere wurde es erst zum Trend, dann olympisch. Mit Konsequenzen für die Athleten: Anstatt einer Disziplin müssen sie künftig eine Kombination aus Bouldern, Lead und Speed beherrschen. "Das ist für mich keine Alternative. Früher wurde mir gesagt, dass ich mich spezialisieren muss. Jetzt soll ich den Schritt zurück gehen? Das mach ich nicht", sagt Retschy. Als generelle Kritik am Combined möchte sie das nicht verstanden wissen, es sei eine persönliche Entscheidung. "Olympia ist das Ziel für jeden Athleten, deswegen finde ich die Entwicklung gut." Sie aber hat stets betont, dass es ihr vor allen Dingen um den Spaß am Klettern ging, nicht darum, möglichst erfolgreich zu sein.

Unter dem Dach des Olympiastadions steht sie kopfschüttelnd vor dem zweiten Boulder. Alle Versuche, eine Lösung für diese Wand zu finden, waren vergeblich. Sie muss aufgeben, konzentriert sich auf Boulder drei. Dort läuft es besser. Unter den Anfeuerungsrufen des Münchner Publikums klettert sie die schwere Prüfung, die vor ihr kaum jemand geschafft hat. In der Mitte ein schwieriger Sprung. Man sieht ihr den Schmerz an, den sie ihren Muskeln abverlangt. Endlich erreicht sie eine Position, in der sie das Top berühren kann. Sie streckt ihren Arm so weit es geht, kann sich mit einer Hand am höchsten Punkt festhalten und verlagert ihr Gewicht auf diesen Arm, um den zweiten nachzuziehen. Das Publikum schreit die Lokalmatadorin nach vorne, während sie den zweiten Arm loslässt - und abrutscht.

Hätte sie sich festhalten können, wäre sie ins Halbfinale eingezogen. "Durch das Publikum bin ich überhaupt erst bis nach oben gekommen. Es ist so schade, dass es nicht gereicht hat", sagt Retschy nach dem Wettkampf. Auch die zwei verbleibenden Prüfungen kann sie nicht lösen.

Dem Wettkampfsport in München wird sie auf jeden Fall erhalten bleiben. Seit einiger Zeit betreut sie andere Kletterer als Trainerin, darauf will sie sich nun vermehrt konzentrieren. Um den Münchner Nachwuchs macht sich Retschy keine Sorgen: "Wir müssen vielleicht zwei Jahre überbrücken, aber da gibt es einige sehr gute, die nachkommen." Eine von ihnen ist die 16-jährige Romy Fuchs, der aufgrund ihres breit gefächerten Talents das Olympic Combined entgegenkommt. "Die Romy ist overall gut aufgestellt. Wenn da keine Verletzung dazwischen kommt, werden wir Freude an ihr haben", glaubt Retschy.

Sie selbst will jetzt wieder mehr am Felsen klettern, reisen, das aufholen, wofür als Leistungssportlerin keine Zeit blieb. Im September geht es für drei Wochen nach Spanien zum Bouldern. Ihren Abschied von den Wettkämpfen sieht sie gelassen: "Für mich ändert sich eigentlich nix - außer, dass ich im Sommer mehr Zeit habe."

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Quelle:
SZ vom 22.08.2017
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