Süddeutsche Zeitung

Kinder-Theater:Fantasie statt Leistung

Seit 38 Jahren ermutigt Aja von Lerchenhorst Kinder zum Theaterspielen. In ihrer Tenne stand schon das halbe Dorf auf der Bühne - und die ganze Familie hilft mit

Von Petra Schneider

Als Aja von Lerchenhorst erfahren hat, dass sie einen Tassilopreis, und gleich einen der drei Hauptpreise bekommen sollte, habe sie mit der ihr eigenen Bescheidenheit geantwortet: "Oh wirklich, den hätte eigentlich mein Mann verdient." Diese Anekdote erzählt die Moderatorin und SZ-Redakteurin Sabine Reithmaier bei der Preisverleihung am Montagabend. Es sei nun einmal so gewesen, dass sie den Schuldienst "hingeschmissen" habe, als ihre eigenen Kinder zur Welt kamen, erklärt Aja von Lerchenhorst daraufhin fast ein bisschen entschuldigend. "Dann durfte ich Jahre lang Theater machen" - und das sei ohne die Unterstützung ihres Mannes eben nicht möglich gewesen. Aus den Jahren sind Jahrzehnte geworden: Vor 37 Jahren hat Aja von Lerchenhorst das Rieder Kindertheater gegründet und seitdem jedes Jahr eine Inszenierung auf die Beine gestellt. Natürlich hat sie ihren Mann Franz von Lerchenhorst zur Preisverleihung mitgebracht und ihre Tochter Lili. Ein ganzer Tisch mit Freunden und Wegbegleitern ist ebenfalls als Verstärkung mitgekommen. "Wir sind der Fanblock", sagt Petra Endres, Mutter eines ehemaligen Theaterkindes.

Dass der Tassilopreis eine wohlverdiente Anerkennung für die langjährige, ehrenamtliche Arbeit Aja von Lerchenhorsts ist, darin sind sich alle einig. Die frisch gebackene Preisträgerin sitzt lächelnd und gelöst am Tisch und betont noch einmal, wie toll sie den Auftritt der Jazz-Streicher Bluestrings gefunden habe. Eigentlich habe sie auch ihre Theaterkinder zur Preisverleihung mitbringen wollen, erzählt sie. Aber bis zu den Sommerferien stehen noch drei Aufführungen an, und da könne man den Kindern nicht noch einen Abendtermin aufdrücken - so schön dieser hier auch sei.

Heuer steht die "Nachtlegende" von Paul Biegel auf dem Programm des Rieder Kindertheaters. Die Geschichte um einen Kobold und eine Fee hat von Lerchenhorst gemeinsam mit den Kindern in ein Theaterstück umgewandelt. Die Auswahl der Texte bereite ihr manchmal schon schlaflose Nächte, sagt sie. Wenn sie kein geeignetes Kinderstück findet, dramatisiert sie Jugendliteratur oder schreibt gleich selbst. Für jede Rolle komponiert die ausgebildete Konzertsängerin zudem ein Lied. Mehr als 300 Kinder und Jugendliche haben seit der Gründung bei ihr Theater gespielt, schätzt Lerchenhorst. Das Rieder Kindertheater sei ihr "Lebensjob", der sie von "Weihnachten bis November" beschäftige.

Die ehemalige Lehrerin an der Volksschule in Königsdorf arbeitet viel mit Improvisation. "Das lieben die Kinder und ich auch", sagt sie. Das sich Ausprobieren, "das Menschliche", das sei ihr wichtig. Denn aussortiert und rein nach Leistung beurteilt werde schon genug in der Schule. Eine Probenwoche in den Pfingstferien gehörte von Anfang an zum Konzept des Rieder Kindertheaters. Denn dass die Kinder mal rauskommen aus ihrem Dorf, das ist ihr wichtig. "Ich möchte, dass das Rieder Kindertheater in der Gegend verwurzelt bleibt." Aber Kultur brauche auch Weltoffenheit. Auf der Bühne erzählt sie, wie alles angefangen hat: Mit einem Zettel, den sie am Spielplatz in Ried ausgehängt habe - und dem als erster ein neugieriger Bub gefolgt sei. Der neugierige Bub ist inzwischen 48 Jahre, seine Mutter sitzt am Tisch von Aja von Lerchenhorst. Deren große Leistung sei es, für jedes Kind die richtige Rolle zu finden, und wenn nötig eigens eine zu schreiben: "Aja macht ja Sozialarbeit für viele Kinder", sagt sie. Ihr gelinge es, dass die Kinder aus sich heraus gingen.

Von den pädagogischen Fähigkeiten der Theaterleiterin, von ihrem großen Einfühlungsvermögen wird am Tisch viel geschwärmt. "Mama schafft es immer wieder, dass schüchterne Kinder aufblühen", sagt ihre Tochter Lili. Die 23-Jährige, jüngste von drei Töchtern, studiert Lehramt und ist zur Preisverleihung eigens aus Paris angereist, wo sie ein Auslandssemester belegt. Das Rieder Kindertheater, bei dem sie viele Jahre selbst mitgespielt hat, begleitet sie schon ihr ganzes Leben. Die wöchentlichen Proben in der umgebauten Tenne des elterlichen Bauernhauses - ganz normal. Dass sich ihre Mutter im Urlaub am Strand von Sardinien wie wild Ideen für neue Impro-Szenen in ein Heftchen notiere - nichts Ungewöhnliches.

Das nächtelange Schreiben an den Texten - auch Franz von Lerchenhorst kennt das. "Solange meine Frau Theater macht, geht es ihr gut." Das Korrekturlesen der Texte ist seine Aufgabe, das Kulissenbauen, das Kochen für die Gruppe auf Theaterfahrt. Gut, der Haushalt daheim in Ried sei manchmal "das reine Chaos, sagt er". "Aber wir sind beide vom Theater begeistert und glauben, dass das zu den wichtigsten Dingen gehört, die man Kindern mitgeben kann", so der ehemalige Gymnasiallehrer. Ob sie sich daran gewöhnen könne, Preise zu gewinnen? Nun ja, das im Mittelpunkt-Stehen, das sei nicht so ihre Sache, sagt Aja von Lerchenhorst und lacht. Aber diesen Abend, den genieße sie: Einen Eindruck vom reichen Kulturleben im Münchner Umland zu bekommen und die vielen interessanten Leute. "Das ist doch sehr schön."

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SZ vom 13.07.2016
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