Süddeutsche Zeitung

Judo:Schaum und Schmerzen

Vier Stunden Bundesliga-auf dem Volksfest: Die Großhaderner Männer ringen dem JC Ettlingen ein 7:7-Unentschieden ab, die Frauenmannschaft bezwingt den BC Karlsruhe souverän mit 10:4.

Von Julian Ignatowitsch

An manchen Tagen tut es richtig weh. Nach dem fast vierstündigen Judo-Bundesliga-Wettkampf der Männer und Frauen des TSV Großhadern humpelte Timo Cavelius mit schmerzverzerrtem Gesicht am Mattenrand entlang, Julian Kolein begutachtete seinen geschwollenen Daumen und Alexandra Gantner hielt sich immer noch den Oberschenkel. "Im Kampf bekommt man das nicht mit, aber danach schmerzt es brutal", erklärte Cavelius. Diese Tage, an denen die Betonung mehr auf "Kampf" als "Sport" liegt - sie sind jedem Judoka vertraut.

Immerhin: Die Strapazen hatten sich gelohnt. Wann, wenn nicht in diesem Rahmen? Beim Doppel-Heimkampf auf dem Haderner Volksfest, im großen Festzelt, die Matten zwischen den Bierbänken, viele Zuschauer, mit Krügen in der Hand - und in der Mitte schwitzten und schufteten die Kämpfer. Cavelius und Kolein sicherten den Judo-Männern ein 7:7 gegen den JC Ettlingen. Gantner half beim souveränen 10:4-Sieg der Frauen gegen den BC Karlsruhe. Es war insgesamt ein erfolgreicher Samstag für den TSV Großhadern. "Wir sind zufrieden", sagten Kämpfer wie Trainer.

Emotionen sind an so einem Tag natürlich die Schaumkrone auf dem Maßkrug. Gleich nach dem ersten Duell und einem sehenswerten Beinwurf von Julian Kolein (bis 73 Kilogramm), reckte dieser die Faust, schwang zweimal die Arme zum Jubel durch, um das Publikum anzufeuern, und stieß einen lauten Schrei aus - im Hintergrund trällerte der Zillertaler Hochzeitsmarsch aus den Boxen. "Für mich war das heute eine Herzensangelegenheit", meinte Kolein nachher grinsend, einen geschwollenen Daumen nimmt er dafür gerne in Kauf. Gegen seinen Ex-Verein Ettlingen, wo er als Junior aussortiert worden war, sei er immer besonders motiviert. Damals nicht gut genug, ist Kolein nun seit mehr als sieben Jahren ein fester Bestandteil der Münchner Mannschaft und holt meistens Punkte. "Gegen Ettlingen habe ich noch nie verloren", ergänzte der 25-jährige Bundeskaderathlet, der im jungen Team von Großhadern zu den Erfahrenen gehört. Kolein ist ein typischer Kämpfer, kein filigraner Techniker, aber einer, der sich immer voll verausgabt - und dem man das in jeder Minute auf der Matte ansieht. "Einer, der zum Kämpfen geboren ist", meint Trainer Ralf Matusche.

So einer ist auch der fünf Jahre jüngere Timo Cavelius (-81 kg). Seine Einstellung auf der Matte? "Gib ihm!", sagt er kurz und prägnant. In einem spektakulären Duell konterte er seinen zehn Kilo schwereren Gegner Franz Haettich aus und hob ihn mit einem "Ura-nage", einem Rückwurf, auf den Boden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits an der Wade verletzt und zwischenzeitlich "Tränen in den Augen", wie er verriet. "Ich hatte gerade erst einen Syndesmosebandriss", erzählte er. "Der Gegner hat mir vorher schon die ganze Zeit auf die empfindliche Stelle getreten." Cavelius setzte alles auf eine Karte und landete den entscheidenden Wurf. Wie schlimm die Verletzung letztlich ist, wird sich in der nächsten Tagen zeigen. "Regeneration, Arzt, MRT", so beschrieb Cavelius das weitere Vorgehen - und stand trotzdem mit breiter Brust auf der Matte: "Es wird schon nicht so schlimm sein."

Die Beispiele Kolein und Cavelius verraten viel über die Sportart Judo auf Spitzenniveau. Sie sind beide in der Sportfördergruppe der Polizei, in der sie acht Monate dem Kämpfen und vier Monate ihrer Ausbildung verpflichtet sind. Beide gehören zum Bundeskader, aber beide haben es im internationalen Vergleich noch schwer, da sie national in ihrer Gewichtsklasse an Nummer drei oder vier stehen und nur wenige Chancen bei großen Turnieren bekommen. "Das ist keine einfache Situation", erklärt Kolein. "Aber ich mache immer weiter und biete mich an." Ein Lauf, vielleicht eine Medaille - und schon kann alles anders aussehen. Beide träumen von den Olympischen Spielen, aber beide wissen, dass die Wahrscheinlichkeit auf eine Teilnahme eher gering ist.

Bessere Aussichten hat da mittelfristig die 18-jährige Alexandra Gantner (-70 kg), die in Großhadern regelmäßig über ihrem Normalgewicht kämpft und trotzdem die Siegpunkte holt. Trotz ihres jungen Alters ist Gantner eine ausgereifte Athletin und überzeugt mit mentaler Stärke. Ein Ziehen im Oberschenkel, wie gegen Karlsruhe, bringt auch sie nicht zum Aufhören. International hat sie bereits einige bemerkenswerte Erfolge errungen und mit Großhadern zuletzt auch die deutsche Meisterschaft gefeiert. Als Zweiter gehören die Haderner Frauen in der Bundesliga erneut zum Kreis der Topfavoriten. Auch die Männer liegen als Dritter derzeit auf Finalkurs. Im Zelt konnte also angestoßen werden - so mancher Schluck heilt ja die Wunden. Und die Festband spielte "Eye of the Tiger" von der Gruppe Survivor, im Text heißt es: "Es ist das Auge des Tigers, es ist der Thrill des Kampfes."

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Quelle:
SZ vom 22.05.2017
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