Judo:Rapider Wertverlust

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Beim TSV Großhadern hält sich die Freude über den Bundesliga-Ausstieg des größten Konkurrenten und Serienmeisters Abensberg in Grenzen

Von Julian Ignatowitsch, München

Als hätten die Abensberger dem TSV Großhadern noch einen letzten Gruß hinterherschicken wollen: Die Rolle des Botschafters übernahm Philip Graf. Der Abensberger besiegte am vergangenen Wochenende bei den deutschen Judo-Meisterschaften überraschend das Münchner Aushängeschild Tobias Englmaier im Finale der Leichtgewichte bis 60 Kilo. Nur ein paar Tage, nachdem Abensberg seine Mannschaft aus der Bundesliga zurückgezogen hatte, wirkte Grafs Sieg wie ein Echo aus einer bald vergangenen Zeit. Abensberg, der Dauermeister, für viele der FC Bayern des Judosports, an dem sich Großhadern immer wieder die Zähne ausgebissen hatte, wird in Zukunft nicht mehr um die nationale Mannschaftsmeisterschaft mitkämpfen.

Nun könnten sie sich in Großhadern darüber freuen. Plötzlich sind die Chancen auf den Titel so gut wie lange nicht mehr. 2001 stand der TSV zum bislang letzten Mal am Saisonende ganz oben, vor 14 Jahren. Danach holte sich Abensberg 13 Titel nacheinander. Jetzt ist Großhadern zusammen mit dem KSV Esslingen Topfavorit. Doch Großhaderns Trainer Ralf Matusche freut sich nicht. Im Gegenteil.

Matusche glaubt, der Rückzug des übermächtigen Konkurrenten schadet der Bundesliga. "Ich kann mir vorstellen, dass sich viele Zuschauer fragen: Was ist das für eine Liga, wo ein Spitzenteam auf einmal zurückzieht?" Für die Außendarstellung sei die Entscheidung alles andere als positiv. Zumal die Liga gegenüber den vielen internationalen Turnieren ohnehin einen geringeren Stellenwert besitzt. Dieser wird nun weiter geschwächt.

Im Judo richtet sich alles auf die Olympischen Spiele aus. Diese geben die Abensberger auch als Grund für ihren Rückzug an. "Unsere Athleten sind mit den vielen Wettkämpfen überlastet", sagt Sportchef Otto Kneitinger. Er will seinen Judoka die Möglichkeit geben, sich in diesem Jahr ganz auf den Einzelwettbewerb und die Qualifikation für Rio 2016 zu konzentrieren. Matusche überzeugt die Begründung nur bedingt: "Vor vier Jahren gab es das Problem ja auch schon. Wir sind ähnlich betroffen, setzen unsere Kämpfer in der Bundesliga aber immer so ein, dass ihre individuellen Ziele nicht beeinträchtigt werden." Für Matusche, zugleich Münchner Stützpunkttrainer, hat der Einzelwettbewerb im Zweifel sowieso Vorrang: "Es ist meine Aufgabe, die Athleten zu schützen. Das geht aber auch mit Bundesliga."

Matusche glaubt, Abensberg hätte auch mit Abstrichen bei den Spitzenjudoka eine respektable Runde kämpfen können. "Sie hätten ja nicht jedes Mal in Bestbesetzung auflaufen müssen", sagt er. "Das tun wir ja auch nicht." Kritikwürdig erscheint ihm außerdem der Zeitpunkt des Rückzugs zwei Wochen vor Meldeschluss. "Das war nicht ganz fair. Hätte Abensberg den Entschluss früher gefasst, hätte ein Team nachrücken können. Jetzt stehen wir in der Gruppe Süd plötzlich mit einer Mannschaft weniger da. Für uns fällt zum Beispiel gleich der Eröffnungskampf im Mai weg."

Einer, der gute Aussichten auf die Olympia-Qualifikation besitzt, ist Tobias Englmaier, 2012 Teilnehmer an den Spielen in London. Der größte Konkurrent des Großhaderners um den deutschen Startplatz im Leichtgewicht ist eben der Abensberger Philip Graf. Einen Nachteil durch die Zusatzbelastung Bundesliga sieht Englmaier, der am Donnerstag 27 Jahre alt wird, indes nicht. "Die Einzelkämpfe haben Vorrang, das haben wir ja schon immer so gehandhabt", sagt er. Nichtsdestotrotz möchte er so oft es geht in der Bundesliga antreten. Schließlich kämpfe ein Judoka dort für seinen Verein, der ihn unterstützt und fördert, meist seit ganz jungen Jahren. In der vergangenen Saison stand Englmaier bei der Mehrzahl der Kämpfe für Großhadern auf der Matte. "Wir entscheiden das jeden Kampftag neu", erklärt Matusche, "je nachdem, ob Tobi eine Pause oder einen zusätzlichen Wettkampf braucht." Diesen Weg verfolgen die Münchner auch im Jahr vor den Olympischen Spielen. Das Ziel sei nun in jedem Fall die deutsche Meisterschaft, sagt Englmaier. Der übermächtige Konkurrent aus Abensberg ist zumindest im Teamwettbewerb kein Hindernis mehr.

© SZ vom 28.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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