Judo:"Ihr Wille ist grenzenlos"

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"Mittlerweile kennen mich die anderen", sagt Theresa Stoll - spätestens seit ihrem Sieg im Grand Prix in Düsseldorf. (Foto: Conny Kurth/imago)

Großhaderns Theresa Stoll, 21, hat sich in Rekordzeit in die Weltspitze vorgekämpft. Zuletzt holte die Talentiade-Preisträgerin von 2011 EM-Silber. Ganz nebenbei studiert sie Medizin.

Von Julian Ignatowitsch

Mit der Talentiade 2017 zeichnet die Süddeutsche Zeitung zum neunten Mal seit 2001 die Leistung junger Sporttalente (bis 17 Jahre) und die hervorragende Nachwuchsarbeit ihrer Sportvereine aus - mit neun Förderpreisen zu je 1500 Euro. Deshalb suchen wir ab sofort wieder junge Sportler und Vereine, die in den vergangenen beiden Jahren - unabhängig von Sportart, Meisterschaften oder Titeln - besonderes sportliches Engagement gezeigt haben und hoffen auf viele Vorschläge. Das Preisgeld kommt jeweils der Jugendarbeit der Vereine zugute, die Sieger selbst erhalten Geschenke. Die Preisverleihung findet am 12. Juli in München statt.

Eine von bisher 111 Preisträgern ist die Judoka Theresa Stoll. Vor sechs Jahren stand sie auf der Bühne im Saal des SZ-Hochhauses und erklärte dem Publikum souverän ihre damalige Lieblingstechnik: den Uchi-Mata. Inzwischen feiert Theresa Stoll große internationale Erfolge.

Jetzt hat sie also auch einen Wikipedia-Eintrag. "Theresa Stoll ist eine deutsche Judoka. Sie ist die Silbermedaillengewinnerin bei der EM 2017 in der Gewichtsklasse bis 57 Kilogramm", steht da auf Englisch. Alles korrekt soweit. Zwei kurze Sätze, die auch auf Russisch und Spanisch abrufbar sind, ein deutscher Eintrag fehlt allerdings noch. Vielleicht weil der Judosport hierzulande meist nur bei Olympischen Spielen in den Fokus rückt. Die 21-jährige Stoll lacht, sie beschäftigt sich damit nicht.

Für die internationale Konkurrenz sind die mehrsprachigen Vermerke aber durchaus als Warnung zu verstehen. Theresa Stoll hat sich 2017 in kürzester Zeit einen Namen unter den Besten ihres Sports gemacht. Erst gewann sie als jüngste deutsche Kämpferin der Geschichte den Grand Prix in Düsseldorf, dann holte sie bei ihrer ersten Erwachsenen-EM die Silbermedaille. In einem Jahr hat sie sich von einer Weltranglistenplatzierung jenseits der 80 auf Position sieben verbessert. "Am Anfang haben alle noch so geschaut: 'Was will die denn hier?", erzählt sie. "Mittlerweile kennen mich die anderen." Seit vergangenem November hat Stoll fast jeden ihrer Kämpfe gewonnen und sogar die Weltranglistenerste und Olympia-Zweite besiegt. "Es ging alles sehr schnell", sagt sie. "Ich habe gemerkt, ich kann mithalten und bin immer selbstbewusster in meine Kämpfe gegangen." Stoll ist eine optimistische und ehrgeizige junge Frau, das hilft auf der Matte - und auch bei anderen Aufgaben. Neben den täglichen Trainingseinheiten absolviert sie ein Medizin-Studium. Ihr Trainer Lorenz Trautmann staunt immer wieder, wie sie das alles schafft: "Ihr Wille ist grenzenlos", sagt er. Einen Tag nach der Europameisterschaft war Semesteranfang. Für Pause kaum Zeit.

Ihr Bundesliga-Team startet als Titelverteidiger. Stoll ist dort inzwischen die Führungsfigur

Vor sechs Jahren wurde Theresa Stoll bei der SZ-Talentiade ausgezeichnet. Damals war sie gerade 15 Jahre alt, sie erschien im schwarzen Abendkleid mit weißer Strickjacke und antwortete souverän auf die vielen Fragen. "Das war eine super Anerkennung und Motivation", sagt Stoll rückblickend. Wer professionell Judo betreibt, sucht eigentlich nicht die große Bühne, sondern tut das aus reiner Leidenschaft. "Das macht so eine Ehrung umso schöner", meint Stoll. Ihr Verein, der TSV Großhadern, erhielt 1500 Euro, die in die Jugendarbeit investiert wurden. Kurz nach der Auszeichnung wurde Stoll bei der U-17-WM Zweite. Ein Erfolg, an den sie sich gut erinnert. "Da habe ich zum ersten Mal die Nationalhymne bei einer eigenen Sportveranstaltung gehört", sagt sie. Auch ihre Zwillingsschwester Amelie war dabei, ebenfalls professionelle Judoka. Die beiden sind ständig zusammen, trainieren gemeinsam, kämpfen auch mal gegeneinander und reisen um die Welt zu Wettkämpfen. Momentan hat Theresa die Nase vorne, ist sich der Unterstützung durch ihre Schwester aber bewusst: "Amelie ist der Ruhepol. Sie bringt mich runter, wenn ich mal wieder Panik mache."

Der Sprung von der Jugendklasse zu den Erwachsenen ist Theresa Stoll überraschend schnell gelungen. In der Bundesliga konnte sie sich früh mit älteren Top-Gegnerinnen messen, landete erste Überraschungssiege - das hat bei der Entwicklung geholfen. Zwei Mal war sie mit Großhaderns Frauen deutscher Meister, in diesem Jahr ist das Team Titelverteidiger. Stoll ist mittlerweile die Führungsfigur in der Mannschaft. Trotz des engen Terminplans will sie so oft es geht antreten, auch beim ersten Heimkampf der neuen Saison gegen Esslingen an diesem Samstag (17 Uhr) wird sie auf der Matte stehen.

Das große Ziel sind natürlich die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Ihre größte Konkurrentin um den Platz ist ausgerechnet Schwester Amelie, die in der gleichen Gewichtsklasse antritt. Nur eine Athletin qualifiziert sich. Stand jetzt wäre Theresa dabei und sogar unter den besten Acht gesetzt. Wenn die Entwicklung weiter so stetig nach oben geht wie bisher, sind die Medaillenchancen groß. Bis dahin hat Theresa Stoll dann sicher auch einen deutschen Wikipedia-Eintrag.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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