Judo:Ausflug zum Abgewöhnen

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Nie mehr erste Liga? Theresa Stoll und die Judoka des TSV Großhadern ziehen sich zurück. (Foto: Claus Schunk)

In Unterzahl verpassen Großhaderns Judo-Frauen die Finalrunde. Nun steht die Zukunft des Teams infrage.

Von Julian Ignatowitsch, München

Am Samstagabend von 20 Uhr an saßen die Judokämpferinnen des TSV Großhadern in einem Kleinbus - und hätten sich alle eine bessere Abendbeschäftigung vorstellen können als die dreistündige Rückfahrt aus dem schwäbischen Hinterland. Es war so ein Tag, an dem fast alles schief gegangen war, was schief gehen konnte. Der Höhepunkt: Großhadern hatte den entscheidenden Saisonkampf in der Bundesliga mit 1:13 Punkten bei der TSG Backnang krachend verloren - und damit die Finalrunde als Tabellenvierter um einen Rang verpasst.

Das Sportliche war schnell rekapituliert. Die Münchner waren schon mit zu wenig Leuten von zu Hause losgefahren. Nur acht Kämpferinnen standen zur Verfügung, weil die Olympia-Dritte Laura Vargas Koch (-70 kg) krankheitsbedingt kurzfristig abgesagt hatte, Lisa Dollinger (-78 kg) auf einer Hochzeit eingeladen war und diverse andere Athletinnen des Teams diversen anderen Verpflichtungen irgendwo in der großen weiten Judowelt nachgingen. Weil es aber schon neun Judoka bedarf, um überhaupt eine vollständige Bundesliga-Mannschaft an den Start zu schicken, mussten die Acht aus Großhadern eine Gewichtsklasse (-52 kg) ganz unbesetzt lassen und gaben damit direkt zwei Punkte ab. Es war nicht das erste Mal in dieser Saison, dass das dünn besetzte Münchner Frauen-Team in Unterzahl antrat. So etwas ist nicht nur schlecht für das Image, sondern kostet in der Bundesliga auch Strafen. Wozu die Mannschaft in Bestbesetzung in der Lage ist, hatte sie gerade erst beim 9:5-Sieg gegen Titelverteidiger JSV Speyer gezeigt, was dagegen in Unterzahl passieren kann, wurde jetzt drei Wochen später erkennbar.

Der Gegner war das komplette Gegenbeispiel: Mit mehr als 20 Kämpferinnen, je zwei, drei pro Gewichtsklasse, stand die TSG Backnang auf der anderen Seite der Matte. Sie feuerten einander an, bejubelten jeden Wurf und hielten die Spannung durchgehend oben. Der TSV Großhadern ließ schnell kollektiv die Köpfe hängen. Nach zehn verlorenen Kämpfen gelang Theresa Stoll (-57 kg) der einzige Punkt des Tages. "Das war aber auch schon egal", sagte ihre Zwillingsschwester Amelie Stoll später, die ihren Kampf ebenfalls verloren hatte. "Wir haben schnell gemerkt, dass wir heute keine Chance haben."

Dann erzählte Stoll vom verkorksten Tagesablauf, frei nach Murphys Law: Nach der kurzfristigen Absage von Vargas Koch hatte der Flug der Griechin Ankaterini Theodorakopoulou, die extra für den Bundesligakampf angereist war, Verspätung gehabt. Man musste am Flughafen warten und sei schon zu spät aus München losgefahren. Dann stand der Bus im Stau, und beinahe hätten die Athletinnen das Einwiegen eine halbe Stunde vor Kampfbeginn verpasst, was eine Disqualifikation zur Folge gehabt hätte. "Das war schon alles sehr hektisch", schilderte Stoll. Auch die aus Berlin angereiste Schwergewichtlerin Carolin Weiß (+78 kg) kam nach einer Vollsperrung der Autobahn erst auf den letzten Drücker an. "Natürlich beeinflusst einen das auch", meinte Stoll.

Um 18 Uhr stand die Mannschaft zur Teamvorstellung also fix und fertig am Mattenrand. Wie die zuletzt lang am Knie verletzte Weiß konnte schließlich keine der Sportlerinnen ihre Normalform abrufen. Nach nicht mal zwei Stunden saßen alle schon wieder im Bus.

"Bundesliga ist immer schwierig", sprach Stoll dann auch ganz offen über die geringe Bedeutung des Wettbewerbs für erfolgreiche Judoka. Zwischen den internationalen Einzelturnieren, Trainingslagern, Europa- und Weltmeisterschaften, bei denen die Athleten auch Punkte für die Olympischen Sommerspiele sammeln, ist die Bundesliga schlichtweg eine wenig prestigeträchtige Zusatzbelastung. Die meisten Top-Athleten, wie Theresa und Amelie Stoll, treten für wenig Geld und aus Verbundenheit mit ihrem Heimatverein an. Teilweise untersagte Bundestrainer Claudiu Pusa ihnen sogar einen Bundesliga-Start, weil die Regenerationsphasen dadurch sehr überschaubar sind und die Verletzungsgefahr hoch.

"Wir setzen auf eigene Leute": Es gibt weder den Willen noch die Mittel, den Kader aufzustocken

Aus diesen Gründen steht das Bundesliga-Team der Frauen beim TSV Großhadern jetzt sogar wieder ganz auf der Kippe, wie schon 2011. Zweimal, 2014 und 2016, waren sie anschließend Meister. "Wir schauen mal, ob es weitergeht", sagte Stoll. Im Fall einer Bundesligareform, wie sie die Männer in diesem Winter erlebt haben, wäre ein wettbewerbsfähiges Team wohl nicht mehr aufstellbar. Noch mehr Kampftage ließen sich personenmäßig nicht bewältigen. Großhadern hat weder den Willen noch die Mittel, den Kader aufzustocken. "Wir setzen auf eigene Leute und wollen keine Sportler einkaufen", sagte Stoll dazu. Das ist bei anderen Mannschaften, auch bei den Männern, anders.

Das Kämpfen im Team - so betonen fast alle Judoka - sei zwar immer etwas Besonderes, aber mittlerweile ist diese Disziplin ja auch olympisch. Mitte Juli findet die Team-EM im Mixed statt. Dafür fliegen die besten Münchnerinnen jetzt nach Barcelona. Und wer spricht dann noch über die Bundesliga?

© SZ vom 02.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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