Interview:"Das waren Zombie-Momente"

Lesezeit: 5 min

30 Jahre Erfahrung - und doch hat auch Meistertrainer Kevin Gaudet in dieser Saison mit den Tölzer Löwen einiges dazugelernt. (Foto: Huebner/Roith/imago images)

Wie motiviert man eine Mannschaft, wenn erst die Zuschauer und dann der Hauptsponsor wegfallen? Vor dem Start in die Playoffs mit den Tölzer Löwen blickt Kevin Gaudet auf die herausforderndste Saison seiner Trainerkarriere zurück.

Von Christian Bernhard, Bad Tölz

"Wir können gerne deutsch sprechen, nach 30 Jahren in Deutschland ist mein Deutsch hoffentlich in Ordnung", sagt Kevin Gaudet lachend zu Beginn des Gesprächs. Der 57-jährige Kanadier mischt seit 1991 im deutschen Eishockey mit, er hat in all den Trainerjahren einiges gewonnen und noch mehr erlebt. Eine derart turbulente Hauptrunde wie jene, die er mit den Tölzer Löwen jüngst als Tabellenzweiter der DEL2 abgeschlossen hat, war aber noch nicht dabei. Vor dem Start der Best-of-five -Playoff-Viertelfinalserie gegen die Ravensburg Towerstars am Donnerstag (19.30 Uhr) blickt Gaudet auf wilde Monate mit Quarantäne und mit Auftritten mit nur elf Feldspielern - und schaut nach vorne: auf die Playoffs, auf seine Zukunft und die der Löwen, die nach dem Verlust des Hauptsponsors mit einigen Fragezeichen versehen ist.

SZ: Herr Gaudet, vor nicht allzu langer Zeit sagten Sie, Sie fühlten sich ob der vielen Spiele in kurzer Zeit wie ein Zombie. Gilt das immer noch?

Kevin Gaudet: Bis zum Ende der Hauptrunde, ja. Eine meiner größten Stärken als Trainer ist das Motivieren, denke ich. Das ist der Schlüssel zum Erfolg. Das ist schon bei zwei Spielen pro Woche nicht einfach, geschweige denn bei drei. Immer und immer wieder in die Eishalle zu gehen, zu versuchen, die Mannschaft heiß zu machen, das war hart. Das waren Zombie-Momente.

Hinter Ihrer Mannschaft liegt eine turbulente Hauptrunde, die sie trotz kleinen Kaders, Corona-Fällen, Quarantäne und Verletzungen auf dem zweiten Platz abgeschlossen hat. War das die größte Herausforderung ihrer 30-jährigen Karriere?

Absolut. Das fing schon im vergangenen April an, als mir gesagt wurde, ich solle eine Mannschaft für diese Saison mit nur zwei statt vier Ausländern bauen, da unser Hauptsponsor Probleme hatte. Ich habe gesagt: Mit unserem kleinen Kader werden wir Probleme haben, wenn wir auf den Ausländerpositionen nicht voll besetzt sind. Im August teilte mir Christian Donbeck (damaliger Geschäftsführer, Anm. d. Red.) mit, dass wir es mit vier Ausländern versuchen werden. Wir haben die Saison dann mit zehn Stürmern begonnen, normal brauchst du mindestens zwölf. Wir haben die ganze Saison mit zweieinhalb Reihen gespielt, mit elf, zwölf Feldspielern. So eine Leistung habe ich in 30 Trainerjahren noch nie gesehen.

Was war das Verrückteste daran?

Normalerweise hast du kaum englische Wochen. Wir haben wegen unserer dreiwöchigen Corona-Quarantäne aber zusätzlich fast jeden Dienstag gespielt. Jeden zweiten Tag mit so wenigen Feldspielern auflaufen und dann noch Zweiter werden, war unglaublich.

Wie haben Sie die Mannschaft auf diesem wilden Ritt geführt?

Ich habe viel Erfahrung. In meinen sechs Jahren in Bietigheim hatten wir auch nicht viel Geld für neue Spieler bei Verletzungen. Da habe ich auch oft mit zweieinhalb Reihen gespielt, allerdings nicht über einen so langen Zeitraum wie jetzt. Ich habe gelernt, wie man mit so wenigen Spielern umgehen muss. Und ich muss meinen Spielern ein Kompliment aussprechen, sie waren topfit. Sie haben viel im Fitnessraum gearbeitet, so behält ein Spieler seine Stärke. Die Fitness ist entscheidend, wenn du alle zwei Tage erfolgreich spielen willst.

Neben den Corona-Problemen löste die unangenehme Situation mit dem ehemaligen Hauptsponsor Wee viel Unsicherheit im Löwen-Umfeld aus. Wie haben Sie dieses Thema von den Spielern ferngehalten?

Ich muss sagen, da kam mir auch meine Erfahrung zugute. Ich habe in meinen 40 Profijahren viel erlebt, aber ganz ehrlich: so etwas noch nicht. Ich musste die richtigen Worte finden, um den Spielern zu verstehen zu geben, dass es trotzdem gut für alle ist, wenn sie jeden Abend alles geben. Das ist nicht ganz einfach, aber wir haben es geschafft.

Werden Sie auch nächste Saison in Bad Tölz sein?

Es sieht gut aus. Meine Frau liebt es hier, und wir wissen, wie wichtig die Frau in einer Beziehung ist (lacht). Ich mag es hier auch, besonders die Arbeit mit Hubert Hörmann (Präsident des EC Bad Tölz und Mitglied im Beirat der Löwen). Er macht es hervorragend, ohne ihn wäre es schwer, in der DEL2 zu bleiben.

Wie groß sind Ihre Sorgen, dass die Löwen durch den Verlust des Hauptsponsors in der kommenden Saison nicht mehr so wettbewerbsfähig sind?

Bei einem Trainer ist diese Sorge natürlich immer da - vor allem bei einem, der mit einem der kleinsten Etats der Liga arbeitet. Wir wollen konkurrenzfähig bleiben. Es wäre schön, wenn wir einen neuen Sponsor finden würden.

Was passiert mit Ihnen, wenn es für die Löwen kommende Saison nicht mit der DEL2 klappen sollte?

Die Oberliga ist für mich uninteressant. Wir können als Klub nur hoffen, einen Weg zu finden.

Was haben Sie persönlich aus der ungewöhnlichen Hauptrunde gezogen?

Ich habe gelernt, wie sehr die Zuschauer fehlen - und dass man auch mit zweieinhalb Reihen Erfolg haben kann. Wenn mir jemand vor dieser Saison, die ja auch noch eine Aufstiegsspielzeit ist, gesagt hätte, dass wir unter diesen Umständen Hauptrundenzweiter werden, hätte ich nur gelacht. Ich nehme die Erfahrung mit, was man alles mit wenigen Leuten erreichen kann.

Läuft? Zurzeit eher nicht so. Wegen Leistenproblemen fürchtet Tölz den Ausfall seines Topscorers Max French. "Wir werden ein Wunder brauchen", sagt sein Trainer. (Foto: Juergen Kessler/imago images)

Kann die Mannschaft diese Intensität auch in den noch intensiveren Playoffs aufrechterhalten?

Ich kann es nur hoffen. Ich habe gehofft, dass wir mit drei Reihen anfangen können, aber Max Frenchs Einsatz ist sehr fraglich.

Der ist immerhin kürzlich zum DEL2-Spieler des Jahres gekürt worden. Was ist das Problem?

Er hat immer noch Leistenprobleme. Es sieht nicht gut aus, wir werden ein Wunder brauchen. Aber wir müssen positiv bleiben und die Reste einsammeln.

Mit wie vielen Spielern planen sie für Donnerstag?

Ohne Max hätten wir 15 Feldspieler.

Sind das genug für die Playoff-Strapazen?

Fragen Sie mich das nach der ersten Runde. Es ist ganz dünn, denn jetzt kommt die härteste Zeit des Jahres. In den Playoffs ist ein anderes Niveau als in der Hauptrunde, es wird nicht einfach.

Sie hatten vor dem Playoff-Start zweieinhalb Wochen Pause. Hat sich die Mannschaft gut erholt?

Wir sind fit. Die Frage ist natürlich: Wie wirkt es sich aus, dass wir acht Tage lang nicht trainieren konnten?

Alle Playoff-Teilnehmer haben in jener Phase auf Beschluss der Liga nicht trainiert. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?

Das war hart. Ich denke, wir haben das für jene Mannschaften getan, die aufsteigen können. Die waren von Corona zuletzt betroffen (die Bietigheim Steelers waren bis 17. April in Quarantäne, d. Red). Die Liga hat es entschieden, man muss es so nehmen.

Als Ihr Team im Dezember wochenlang in Quarantäne war, hat niemand auf sie gewartet.

Das ist hundertprozentig richtig.

Haben Sie so eine angeordnete Trainingspause schon einmal erlebt?

Nein, habe ich nicht.

Zurück zum Sportlichen: Was ist der Schlüssel gegen Ravensburg?

In den Playoffs stehen zwei Dinge immer ganz oben. Erstens, von der Strafbank wegbleiben, denn sie haben ein hervorragendes Überzahlspiel, und zweitens: eine gute Defensive. Wir hatten Phasen in der Hauptrunde, in denen wir zu viele Gegentore kassiert und schlechte Defensiventscheidungen getroffen haben. Das kannst du dir bei einer Best-of-Five-Serie nicht leisten.

Was zeichnet die Towerstars aus?

Sie haben 13 Spieler in ihren Reihen, die bereits Meister waren. In der Hauptrunde haben sie unter ihren Möglichkeiten gespielt, ihr Etat ist doppelt so hoch wie unserer. Sie sind der Favorit.

Können die Löwen die Meisterschaft gewinnen?

Der Traum ist immer da. Ich bin lange im Geschäft, ich denke, ich weiß, was es braucht, um zu gewinnen. Klar, der Ausfall von Max French würde uns wirklich weh tun. Aber ich habe der Mannschaft gesagt, wir denken jetzt nur an das erste Drittel von Spiel eins gegen Ravensburg.

Apropos Max French. Er war einer der vielen Tölzer Gewinner bei der DEL2-Gala am vergangenen Samstag, bei der auch Ihr Torhüter Maximilian Franzreb und Angreifer Luca Tosto Preise abräumten. Fehlte Ihre Ehrung zum Trainer des Jahres?

(Lacht) Ich habe diesen Titel einige Male gewonnen, es ist eine große Ehre. Meine Mannschaft hat hervorragend für mich gespielt, es wäre schön gewesen zu gewinnen. Aber Kassels Trainer Tim Kehler hat auch einen Top-Job gemacht. Ich komme damit klar.

Sie können ja noch in den Playoffs den wichtigsten Titel holen.

Da haben Sie recht. Ich will aber nicht, dass meine Mannschaft vergisst, was sie in diesem Jahr schon geschafft hat.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: