Hockey:Zwischen den Zahlen

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Nationalspielerin Nina Hasselmann beendet ihre Karriere. Der Münchner SC verliert damit eine Identifikationsfigur

Von Kathrin Freiburghaus, München

Wenn Sportler ihre Laufbahn beenden, tauchen meist irgendwann die unvermeidlichen Fotos auf, die sie dabei zeigen, wie sie ihre frisch abgestaubte Pokalsammlung küssen, noch einmal alle Medaillen durchzählen oder im Moment ihres größten Erfolges irgendeine Trophäe in die Luft halten. Die Hockey-Nationalspielerin Nina Hasselmann hätte anlässlich ihres beruflich bedingten Abschieds vom Leistungssport genug zum Zählen. Doch ein solches Foto würde der 30 Jahre alten Abwehrchefin des Münchner Sportclubs (MSC) kaum gerecht. Denn neben zahlreichen Finalteilnahmen, mehr als 200 Länderspielen und einem Europameisterschaftstitel mit dem Nationalteam sind es womöglich gerade die fehlenden Medaillen und Urkunden, die ihre Laufbahn besonders machen.

Hasselmann wurde mit dem MSC nie deutscher Meister. Der finale Versuch scheiterte am vergangenen Wochenende trotz der Tabellenführung nach der Hauptrunde im Halbfinale gegen Köln, und Hasselmann wäre keine gute Sportlerin, wenn dieser unbefriedigende Abschied ein paar Tage später schon nicht mehr an ihr nagen würde. Ihre Karriere in der A-Nationalmannschaft begann mit der späten Streichung aus dem Olympia-Kader für die Spiele in Peking 2008 und endete vor wenigen Wochen mit der späten Streichung aus dem Kader für Rio de Janeiro. Die Olympischen Spiele dazwischen bestritt sie in London ohne realistische Medaillenchance - und somit ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack.

Für mich ist sie das Gesicht dieser Mannschaft geworden, und das allein ist eigentlich Aussage genug geworden", sagt ihr aktueller Trainer Benjamin Lang über Nina Hasselmann. (Foto: Schunk)

Ihre Karriere deshalb als unvollendet zu betrachten, wäre aus Sicht des ehemaligen MSC-Trainers Claas Henkel dennoch ein Fehler. "In unserer Ergebniswelt geht es leider schnell, dass einem da ein Makel angedichtet wird, aber insbesondere Mannschaftssportler sind nie nur während der Ergebnisse Sportler", sagt der aktuelle Coach des UHC Hamburg, der Hasselmann von 2008 bis 2013 trainierte. Auch der Umstand, dass Hasselmann 2010 Deutschlands Hockey-Spielerin des Jahres war, belegt, dass es noch eine zweite Wahrheit geben muss. Eine, die zwischen den Zahlen liegt. Oder dahinter. Oder ganz woanders. Diese zweite Wahrheit lässt sich weder einrahmen noch fotografieren, doch Henkel ist sich sicher, "dass Nina beim MSC wie in der Nationalmannschaft immer eine sein wird, an die sich die Leute aufgrund ihrer Art und ihres Spielstils erinnern werden".

Henkel war der Trainer, mit dem Hasselmann während ihrer elf Jahre beim MSC am längsten zusammenarbeitete. "Wir haben herrlich zusammen gekämpft und uns Gedanken gemacht, und es hat auch mal richtig gerappelt", sagt er, "sie ist halt mit Haut und Haaren dabei, da gab es keine halbgaren Sachen." Wer Hasselmann auf dem Feld erlebte, konnte den unverwüstlichen Willen in ihren Augen sehen und ihn mitunter sogar hören. Etwa, wenn ihr die Ansagen vom Spielfeldrand zu viel wurden und sie mit dem Ball am Schläger einfach zurückbrüllte. Vor allem aber sah man ihn, wenn sie jedem noch so verlorenen Ball hinterherrannte. Ihre technischen, taktischen und athletischen Fähigkeiten sind über jeden Zweifel erhaben, doch damit war sie beim MSC nie allein.

Dass ihr Foto als beliebtes Motiv auf Saisonheften des Klubs prangte, hatte mit ihrem Einsatz zu tun und damit, dass er während ihrer gesamten Karriere im Erwachsenen-Bereich ausschließlich dem MSC galt. "Für mich ist sie das Gesicht dieser Mannschaft geworden, und das allein ist eigentlich Aussage genug", sagt ihr aktueller Trainer Benjamin Lang. Sie hätte andernorts problemlos Titel gewinnen können, doch sie entschied sich für die Stadt, "in der ich wahrscheinlich den Rest meines Lebens geblieben wäre, wenn ich zu Hause nicht ins Familienunternehmen einsteigen würde", wie sie sagt.

2005 war sie als Jugendnationalspielerin aus ihrer Heimatstadt Nürnberg nach München gewechselt und 2009 sogar mit in die zweite Liga gegangen. Bereits am Tag des Abstiegs hatte sie in einer sehr eigenen Form von konstruktiv schlechter Laune das Saisonziel Wiederaufstieg verkündet. Dass sich die Mannschaft anschließend im Spitzenquartett der Bundesliga etablierte, schreibt MSC-Sportdirektor Stefan Kermas auch Hasselmann zu: "Der Aufschwung hängt wahnsinnig eng mit Ninas Leistung und ihrer Persönlichkeit zusammen. Und es ist völlig klar, dass wir für jemanden wie sie immer alle Türen offen haben."

Neben den sportlichen hat ihre Karriere auch andere Türen für sie geöffnet. "Ich habe so viele Länder gesehen und so viele Freunde gefunden, dass ich, egal wo ich hinkomme, immer irgendwo willkommen bin", sagt sie. Ein Rücktritt vom Rücktritt ist für das kommende Frühjahr trotzdem fest verabredet. Weil der Berufseinstieg und das Trainingspensum in der Bundesliga für die Bauingenieurin zeitlich nicht mehr vereinbar sind, werde es zwar kurz ausfallen, "aber wenn wir zum ersten Mal international spielen, möchte ich das schon noch erleben".

© SZ vom 08.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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