Süddeutsche Zeitung

Hockey:Die Bessermacher

Die Zwillinge Daniel und Christian Schellinger, 20, sollen den Münchner SC in der nächsten Saison in die Bundesliga führen. Der Klub plant trotz allerlei Begehrlichkeiten langfristig mit den beiden.

Von Katrin Freiburghaus

Das letzte Heimspiel dieser Saison in der zweiten Bundesliga, Gruppe Süd, stand für die Hockeyspieler des Münchner Sportclubs an - und die Zutaten konnten besser nicht sein: Blauer Himmel über dem Kunstrasen im Norden der Landeshauptstadt und darauf ein souveräner 4:1 (1:0)-Erfolg gegen den Tabellenzweiten aus Frankfurt. Entsprechend zufrieden war Trainer Patrick Fritsche: "Wir wollten ein Spiel hinlegen, das Lust auf die nächste Saison macht", erklärte er. Vor allem aber hatte seine Mannschaft hinter ihre Aufstiegsambitionen im kommenden Frühjahr ein "Ausrufezeichen setzen" sollen, und Fritsche befand, "dass wir beides als abgearbeitet betrachten können".

Zwei Auswärtsspiele vor dem Saisonende kann der drittplatzierte MSC zwar nun auch rechnerisch nicht mehr aufsteigen, empfahl sich für die nächste Saison aber als noch aussichtsreicherer Anwärter, als er es in dieser Spielzeit aufgrund der radikalen Kaderverjüngung war. In der Hinrunde waren dem Team die Umbesetzungen auf nahezu allen Schlüsselpositionen deutlich anzumerken gewesen, gegen Frankfurt erweckten die Spieler dagegen glaubhaft den Eindruck, in ihre Rollen gefunden zu haben. Daniel Schellinger etwa, der den im Sommer zurückgetretenen Abwehrchef Felix Greffenius nicht mehr nur vertrat, sondern mittlerweile seine eigene Vorstellung von Defensivarbeit umsetzt.

Der 20-Jährige ist einer der Gründe dafür, dass Fritsche "vor der Zukunft nicht bange ist", wie er sagt. Ein weiterer Grund ist Schellingers Zwillingsbruder Christian, Mittelfeldspieler und seit anderthalb Wochen Nachwuchsnationalspieler. Ein so spätes Debüt in der U21 ist im Hockey die Ausnahme, die meisten Nationalspieler durchlaufen sämtliche Junioren-Teams. "Im letzten Jahr dazuzukommen, war nicht besonders wahrscheinlich", sagt Christian Schellinger. Fritsche wertet die späte Berufung als Beleg dafür, "dass man etwas schaffen kann, wenn man es wirklich will". Schellinger sei jahrelang "komplett unter dem Radar geschwommen", habe seine Nominierung zuletzt aber bewusst forciert. Seit einem Jahr absolvierte er zusätzliche Frühschichten mit Fritsche, als Belohnung kommt nun noch Stützpunkttraining obendrauf. In seinem ersten Länderspiel gegen England erzielte er zwei Tore, "aber da geht noch ein bisschen mehr", sagt sein Bruder Daniel.

Man muss die beiden nach dem Spiel nicht einzeln suchen, sie verlassen den Rasen gemeinsam. Sie sind generell nicht die Art Zwillinge, die spätestens nach der Schule zusieht, sehr unterschiedlich aufzutreten, und bei der Lebensplanung nach einer Weggabelung mit möglichst stumpfem Winkel sucht, damit die ständige Verwechselei endlich aufhört. Das Gegenteil ist der Fall. Nach dem Abitur gingen sie für ein Jahr nach England - gemeinsam. "Wir haben noch nie getrennt gespielt", sagt Daniel, "ich habe am liebsten ihn im Team, weil wir uns blind verstehen und als Doppelpack einfach am besten sind." Die einzige Ausnahme ist und war die Nationalmannschaft: Vor zwei Jahren spielte Daniel dort allein, nun Christian. Das sei aber nicht problematisch, versichern beide, und man glaubt es ihnen.

Für den MSC sind Spieler wie die Schellingers zugleich Aushängeschild und Identifikationsfiguren. Seit dem Kindergartenalter spielen sie im Klub, der Münchner SC half im vergangenen Sommer beim Studienplatz, nun studieren beide in München und sollen bis zu ihrem Abschluss mindestens zwei weitere Jahre bleiben. "Ich habe von beiden die Zusage", sagt Trainer Fritsche, dem bis auf Philipp Schippan, der studienbedingt nach Hamburg wechselt, auch alle anderen Spieler zugesagt haben.

Dass Länderspiele aus Vereinsperspektive auch immer ein Risiko darstellen, weiß er. Nationalspieler wecken Begehrlichkeiten, zumal wenn der eigene Klub zweitklassig spielt. Genau hier sieht Fritsche aber momentan eher eine Stärke des MSC. Christian Schellinger übernehme "genau die Rolle, die man beim Nationalteam sehen will", die des "Entscheiders und Machers", nicht die des Ergänzungsspielers. Beide Brüder sind in einem Kader, der zur Hälfte aus Spielern besteht, die noch jünger sind als sie, bereits zu Führungsfiguren gereift. Fritsche ordnet sie der Kategorie "Bessermacher" zu, weil sie nicht als Solisten glänzten, sondern ihre Mitspieler voranbrächten.

Und sofern die Mannschaft ihre Entwicklung ab dem Herbst bestätigt, spielen sie ja womöglich bald wieder erstklassig. Gemeinsam, versteht sich.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2019
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