Süddeutsche Zeitung

Handball:"Es gibt eine tiefe Verunsicherung"

Der Bayerische Handball-Verband hat die Saison wegen Corona unterbrochen. Präsident Clarke erklärt, wie es weitergeht.

Interview von Ralf Tögel

SZ: Herr Clarke, am Mittwoch wurde der bayerische Handball für drei Spieltage ausgesetzt. Glauben Sie an eine Wiederaufnahme der Saison?

Georg Clarke: Bei der Entwicklung bin ich zwiegespalten, aber solange uns die Regierung die Möglichkeit lässt und wir die Hygienekonzepte einhalten können, bin ich optimistisch.

In der Bayernliga ist die Hälfte der Spiele ausgefallen. Wann wollen Sie die nachholen - wohl kaum in englischen Wochen?

Das geht im Amateurbereich nicht. Aber wir haben die Möglichkeit, die Saison bis 30. Juni, unter Umständen sogar bis 30. Juli 2021 zu verlängern. Den Joker werden wir auch ziehen, weil wir an einer sportlichen Lösung interessiert sind und nicht an einer Quotienten-Regelung.

Also kein zweiter Abbruch ohne Abstieg?

Die sportliche Mindestanforderung ist, die Saison mit mindestens einer Einfachrunde abzuschließen. Der sportliche Anspruch ist mit der Verlängerung eine vollständige Saison mit Hin- und Rückspiel.

Gibt es angesichts der Quarantänesituationen überhaupt Chancengleichheit?

Nein, das ist im Amateursport derzeit nicht gegeben. Es gibt Teams mit infizierten Spielern, oder welche in Randgebieten, wo Spieler aus einem Risikogebiet nicht anreisen dürfen. Oder Spieler, die nicht spielen können, weil das Risiko für die Arbeitgeber zu hoch ist.

Genügen sieben gesunde Spieler, um antreten zu dürfen?

Diese Vorgabe gibt es nicht, das ist eine Mär in den Vereinen. Wenn es nachgewiesen zwischen ein und drei positive Corona-Fälle gibt, wird das Spiel abgesetzt.

Und als verloren gewertet?

Nein, als im Moment ausgesetzt und nicht sportgerichtlich gewertet, bis wir sehen, wie weit wir kommen.

Eishockey will noch, Basketball hat kürzlich begonnen, der BHV schon Anfang Oktober. Würden sie das erneut so machen?

Wir haben das Mitte Juli den Vereinen kommuniziert, im bundesweiten Vergleich waren wir der drittletzte Verband. Aber im Hinblick auf die Schulferien und die Hygienevorgaben war es zu früh. Wir hätten die Herbstferien abwarten und Ende Oktober beginnen sollen. Wir haben das falsch eingeschätzt.

Es wurde kritisiert, dass die Hygienevorschriften erst drei Tage vor Spielbeginn bei den Klubs ankamen, stimmt das?

Ja, leider. Wir mussten warten, bis wir die Rahmenbedingungen vom Freistaat bekamen. Die Vereine hatten seit dem 1. August aber die Hygienekonzepte für den Freundschaftsspielbetrieb vorliegen, die unterscheiden sich nur in der Hinzunahme von Zuschauern, eine Nuance. Aber ich kann die Kritik verstehen und nehme sie ernst.

Also waren die Klubs etwas träge?

Auch das ist verständlich, es gibt ja momentan kein Richtig oder Falsch, sondern eine tiefe Verunsicherung.

Die Verantwortlichen in den Klubs sind ja meist Ehrenamtliche. Wird von denen nicht ein bisschen viel verlangt?

Man muss wissen, dass Verbände und Politik Rahmenbedingungen vorgeben, die Hygienekonzepte aber von den Halleneignern abgenommen werden, also Landratsamt oder Stadtverwaltung. Die geben die Inhalte vor, das ist in jeder Halle anders. Die Vereine sind enorm beansprucht, das ist eine ganze Saison so nicht zu leisten.

Man hört wilde Sachen, etwa, dass Gästespieler einzeln am Parkplatz abgeholt werden müssen.

Es gibt unterschiedlichste Vorgaben der Halleneigner, Mundschutz bis zum Betreten des Spielfeldes, oft sind die Umkleiden gesperrt, die Spieler müssen umgezogen kommen, das ist im Winter undenkbar.

Angeblich muss jeder Verein eine Person benennen, die haftet.

Nein, jeder Verein muss einen Hygienebeauftragten benennen, der ist zuständig, dass Hygienerichtlinien vorliegen und nach Möglichkeit umgesetzt werden. Die Haftung liegt wie sonst auch beim Vorstand des Hauptvereins.

Wenn nun eine Gruppe Maskenverweigerer in die Halle kommt?

Wird sie der Halle verwiesen, oder die Polizei gerufen.

Der Einfachheit halber lassen viele Vereine erst gar keine Zuschauer zu. Das kann doch nicht die Lösung sein?

Derzeit ist es mir lieber, wir können Handball spielen und verzichten auf Zuschauer, als anders herum.

Einige Vereine haben gleich komplett abgemeldet.

Das sind in Bayern derzeit acht Vereine. Ich sehe es kritisch, kann aber die Entscheidung durchaus nachvollziehen, das muss jeder Verein mit seinen Mitgliedern ausmachen. Wir haben das zu tolerieren, schauen aber darauf, dass diesen Vereinen keine maßgeblichen Nachteile entstehen.

480 Handballspiele

wurden am vergangenen Wochenende allein in Bayern abgesagt - mehr als die Hälfte der 800 angesetzten Partien. Alle Absagen hatten mit der Corona-Pandemie zu tun. Entweder waren Spieler mit dem Virus infiziert, es gab Verdachtsfälle oder die Vereine sahen sich außer Lage, die Hygienevorschriften der jeweiligen Gesundheitsbehörde umzusetzen.

Der Bayernligist Roßtal hat so entschieden und steht als erster Absteiger fest.

Der BHV behält sich aber die Option offen, am Ende der Saison Härtefallentscheidungen zu treffen, um unter Umständen auch Abstiege zu vermeiden.

Also doch ein Abbruch ohne Absteiger?

Das wäre eine Möglichkeit.

Auch ein Saisonende nach drei Wochen?

Das wäre eine Katastrophe für den Handball, wir würden massiv an Mitgliedern verlieren. Derzeit will die Mehrheit der Klubs spielen, nur die Rahmenbedingungen sind schwierig. Ohne Wettkampf entziehe ich dem Sport die Grundlage.

Nicht zu vergessen die gesellschaftliche Bedeutung des Sports.

In unserer jetzigen Situation hilft uns etwas Normalität, besser mit der Pandemie umzugehen. Dabei hat der Sport, wie auch Schule, Bildung und Kultur, eine zentrale Bedeutung. Deshalb wollten wir den Spielbetrieb schnell wieder aufnehmen, um zu zeigen, dass wir ein relativ normales Leben führen können, wenn wir die Hygienemaßnahmen einhalten können.

Der BHV steckt in einem Dilemma zwischen Normalität und Infektionsgefahr.

Es muss uns gelingen, den Mitgliedern Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine gewisse Sicherheit ausstrahlen. Deshalb auch die Pause, um daran zu arbeiten.

Sie repräsentieren den BHV. Werden Sie angefeindet oder bedroht?

Das gibt es alles, aber auch sehr viel Verständnis und Unterstützung. Wir versuchen auf alles einzugehen, solange das in einer vernünftigen Form geschieht. Aber auf soziale Medien schaue ich schon lange nicht mehr.

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Quelle:
SZ vom 24.10.2020
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