Golf:Die Dysbalancen des Systems

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2016 wählte die deutsche Spielervereinigung den Münchner Florian Fritsch zum "Player of the Year". Doch mit den Erfolgen kam der Druck. Von einem, der versucht, seinen Schwung wieder zu finden.

Von Gerald Kleffmann

Florian Fritsch muss sanft lachen, als er auf das Thema zu sprechen kommt, wie er denn die vergangenen Monate überbrückt habe. Er hat ja keine Tourkarte, die Spielberechtigung für die European Tour, mehr. "Wir erwarten das dritte Kind", sagt er und verrät: Paul und Luise bekommen eine Schwester. "Danach sind wir aber fertig", sagt Fritsch und strahlt. Als es kurz darauf um seinen Beruf geht, um den Rückschlag, den er 2018 hinnehmen musste, als er dachte, er starte jetzt so richtig durch, und dann "ging es in die ganz andere Richtung", da verändert sich seine Stimmung kaum. Er klingt immer noch begeistert von seiner Arbeit, selbst wenn es "definitiv nicht so ein lustiges Jahr" war. Der 33-jährige Münchner, der mit seiner Familie in Neckargemünd bei Heidelberg (Baden-Württemberg) lebt, weiß mit seiner Situation umzugehen. Er war schon immer der Analytiker.

Florian Fritsch ist seit nun zehn Jahren als Profi im Golfgeschäft tätig, die Wettkampfhärte lernte er in den USA, in South Carolina, wo er studierte und College-Golf spielte. Es dauerte ein paar Jahre, bis er sich in Europas höchster Profiserie festgebissen hatte. Aber die Jahre 2015, 2016 und 2017 waren gute Jahre. Zusammengerechnet um die 800 000 Euro Preisgeld erspielte er sich in dieser Zeit, auch dank mehrerer Top-Ten-Platzierungen. Die deutsche Profivereinigung PGA of Germany wählte ihn zum "Player of the Year 2016".

Just, als er "dachte, der nächste Schritt ist dann, es einfach durchzuziehen, und dann sollte es mal mit einem Sieg klappen", kam es anders. Weil Golf eben Golf ist. Eine unberechenbare Diva. Fritsch, der zum eigenen Bedauern noch nie einen Titel auf der Challenge Tour oder der European Tour errang und dies nachholen wollte, kämpfte immer öfter um den Cut, um die Teilnahme an den beiden Schlussrunden. Nur die obere Hälfte des Feldes darf dies. Heute weiß er: "Das, was zu guten Ergebnissen geführt hat, war eine nicht vorhandene Erwartungshaltung." Im Umkehrschluss heißt das: Als er anfing, sich mehr Chancen auszurechnen, litt sein Spiel. Er verspannte. So sehr, dass er Ende 2018 auch auf der Qualifying School, dem letzten Qualifikationsturnier, die Tourkarte verpasste.

Der Analytiker: Florian Fritsch sieht sich mehr als Taktierer auf dem Platz, als Sammler: "Das ist anscheinend mein Naturell." (Foto: Andreas Gora / Imago)

Wenn Fußballprofis mit Teams absteigen, können sie sich auf laufende Verträge berufen oder sie wechseln den Klub. Sie fallen meistens nicht ins Ungewisse. Im Golf ist das komplizierter, das System härter. Wer einen Cut nicht übersteht, kassiert keinen einzigen Cent, selbst bei einem Major nicht. Und auf der Challenge Tour, unterhalb der European Tour, sind die Verdienstmöglichkeiten eher so, dass man, wenn man nicht reihenweise vorne landet, gerade mal so seine Kosten decken kann. Manchmal auch dies nicht. Das hat auch mit einer "Dysbalance" im System zu tun, wie es Fritsch nennt. Und er muss das wissen. Er steckt seit 2018 mittendrin.

Die Erschwernis für einen wie ihn ist, dass sporadische Top-Platzierungen die Spieler mehr belohnen als konstant gute Leistungen. "Ich kann fünf Turniere hintereinander 30. werden und ordentliches Golf spielen, habe aber keine Chance gegen jemanden, der sich viermal komplett wegschießt und einmal Zweiter wird", sagt Fritsch. Die Dysbalance, erklärt er, sei sogar von der Tour mal rechnerisch dargestellt worden, mit der Verhältnisangabe 1:12. Diese besagte: Ein Spieler muss zwölfmal bei kleinen Turnieren gewinnen, um auf eine Punktzahl wie bei einem großen Sieg zu kommen.

Immerhin, die Tour hat erste Korrekturen vorgenommen und führt die Rangliste nun nicht mehr in Preisgeld, sondern in Punkten, die die Turnierkategorien fairer berücksichtigen. Und doch ist eine Folgeerscheinung des vorherrschenden Systems, dass ein bestimmter Typ Spieler sich wie in einer Evolution herauskristallisiert hat. "Es geht im Golfsystem darum, alles auf Sieg zu setzen", sagt Fritsch. "Das moderne Spiel ist sehr aggressiv, risikofreudig, ist ein Powergame geworden." Fritsch sieht sich selbst als Taktierer auf dem Platz, als einen Sammler, "das ist anscheinend mein Naturell". Er lächelt. Ihn kostet es daher mehr Überwindung, die Komfortzone auszureizen, "man muss sich ja wohl fühlen", sagt er. Als er 2018 vermehrt ins Risiko gehen musste, weil die Ergebnisse fehlten, fühlte er sich nicht mehr immer wohl. So setzte sich die Spirale fort.

Diese Saison versucht Fritsch, auf der Challenge Tour und der Pro Golf Tour Punkte und Schwunggefühl zu gewinnen. Für die BMW International Open (19. bis 23. Juni, Golfclub Eichenried), eine Veranstaltung der European Tour, hat er diesmal eine Einladung erhalten. Er weiß, dass er sich gedulden muss. "Golf ist ein Sport, der - wenn man es mit der Brechstange versucht - einem Demut lehrt."

Viele Gespräche hat Fritsch über die Jahre mit Spitzenspielern geführt, er ist einer, der Dingen auf den Grund gehen will, der verstehen will. Henrik Stenson, der schwedische British-Open-Sieger, machte ihm wenig Hoffnung, dass man sich als Golfer je richtig ruhig fühlt. "The battle is always going on", der Kampf finde permanent statt, gab er ihm mit auf den Weg. Auch er, Stenson, spüre immer Druck, gut sein zu wollen. Der Unterschied: Bei Stenson lief es zuletzt auch nicht immer prächtig, aber mit einem Millionen-Polster lässt sich ein Formtief leichter überstehen.

Für zwei Jahre könnten Fritschs Rücklagen reichen, diese Zeit gibt er sich, aus der Dysbalance auszubrechen. "Wenn man einen Misserfolg hat und dann die Chance nutzt, wie Phoenix aus der Asche zu steigen, ist das auch ein Glücksgefühl", sagt Fritsch. Er glaubt an seine Fähigkeiten, wenngleich er weiß: "Ich bin weniger der Typ Bam-Bam, Keule raus und drauf! Ich muss mit meinen Stärken spielen." Das ist das präzise Eisenspiel, das kurze Spiel, Annäherungen. Fritsch nimmt den Kampf an, er akzeptiert die Gesetzmäßigkeiten. Ein wirklich gutes Ergebnis fehlt ihm bislang noch, wobei er erst kürzlich in die Saison eingestiegen ist. Aufgrund seiner Flugangst kommen für ihn im Winter keine Turniere auf fernen Kontinenten in Frage. Im vergangenen Jahr hatte er seine 13. Behandlung: ohne Erfolg. Zu den Events reist er mit einem Kombi, den ihm ein bayerischer Hersteller zur Verfügung stellt.

"Wahrscheinlich kennt keiner Europa so gut wie ich", sagt er - und da ist es wieder zu spüren: das sonnige Wesen des Golfprofis Florian Fritsch, der für sich als Mensch die Balance gefunden hat. Und sollte er mal zweifeln, muss er nur daran denken, wer ihn zu Hause alles erwartet.

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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