Süddeutsche Zeitung

Gewichtheben:Ästhet unter Kraftmeiern

Minh Tuan Dang kommt aus Erding, ist 1,54 Meter klein und hat dünne Arme. Und er ist deutscher Meister: Sein Rekord liegt bei 121 Kilo. Am schwersten wiegen aber die Klischees

Von Michael Fischer, Erding

Dem Gewichtheben lasten ja so einige Vorurteile an. Schmutzig sei der Sport mit den ganzen Dopingfällen, nur etwas für Proleten, Kraftprotze, bei denen die Waage ins Dreistellige ausschlägt. Wer Minh Tuan Dang in der Erdinger Gewichtheberhalle sieht, würde ihn kaum mit dieser Disziplin in Verbindung bringen. Einen Hinweis darauf gibt eher das Drumherum: die karge Einrichtung, die überall herumliegenden Hantelscheiben, der etwas anrüchige, raue Charme eines typischen Kraftraums. Und natürlich ein Brocken Magnesia, für viele eine leidvolle Erinnerung an den Turnunterricht im Schulsport.

Dang, 28, Ingenieur, reibt den Klotz zwischen seinen Händen, umgreift die Stange. Auf seinen unerwartet dünnen Unterarmen zeichnen sich die Adern ab. Dann geht alles ganz schnell. Dangs Gesichtsausdruck verzerrt sich, ein lautes "Pfffffft" - und schon ist die Stange über dem Kopf. Sechzig Kilo - kein Problem. Solche Lasten stemmt Dang zum Aufwärmen. Mit einem Knall lässt er den Stahl wieder zu Boden fahren.

Minh Tuan Dang passt in kein Gewichtheber-Klischee. Der gebürtige Erdinger mit vietnamesischen Wurzeln ist 1,54 Meter klein - "meine Mutter ist sogar noch kleiner" - und wiegt gerade einmal 56 Kilo. Seine Bestmarken liegen bei 91 Kilo im Reißen und 121 im Stoßen. Leistungen, die ihm in seiner Gewichtsklasse zwölf deutsche Meistertitel eingebracht haben; sieben davon im Seniorenbereich. Das wirft Fragen auf, nach dem Wie gleichermaßen wie nach dem Warum.

Zweiteres beantwortet Dang mit einer alltäglichen Begebenheit vom Praktikum seiner Schwester in einer Bank: "Mein früherer Trainer Rudi Mayer hat mich auf einem Familienfoto gesehen und gemeint, meine Schwester solle mich mal hierher bringen." Vor 14 Jahren war das. Der damals ebenso alte Junge begann, mit einem Besenstiel zu üben. Technik einschleifen nennt man das wohl spartenübergreifend. Technik, die dem 28-Jährigen zu solchen Höchstleistungen wie dem Stemmen von mehr als dem Doppelten seines Körpergewichts verhalf. "Außerdem habe ich durch meine sehr kurzen Beine einen günstigen Hebel, nur die Arme könnten aus sportlicher Sicht noch etwas kürzer sein", witzelt Dang. Die Kraft sei gar nicht so ausschlaggebend, wie viele meinten. Stattdessen brauche es in der entscheidenden Situation Konzentration und den Fokus auf den Moment.

Er selbst sei mehr der Ästhet, sagt Dang, kurz nachdem er die Stange wieder mit einem lauten Knallen auf den mit Gummiplatten überzogenen Holzboden hat fallen lassen. Ein Ästhet, der für die gängigen Gepflogenheiten wenig übrig hat: "Eiweißshakes habe ich beispielsweise noch nie probiert", stattdessen stehen Vollkornbrötchen mit Marmelade oder Linsen auf dem Speiseplan, "und abends wenige Kohlenhydrate". Zu Beginn seiner Karriere sei die Devise aber "spachteln, spachteln, spachteln" gewesen: "Wer viel heben will, muss auch viel essen", lässt er einen nebenan trainierenden Nachwuchsathleten wissen.

Ist der Sport nun eine Qual, eine Sucht? Dang überlegt und antwortet dann mit Bedacht. Er trainiere für die Wettkämpfe, bei denen er regelmäßig Glücksgefühle und einen "Adrenalinrausch" bekomme: "Und wenn man viel schafft, trainiert man noch härter, um noch mehr zu schaffen - ein bisschen Sucht ist es schon." Das beständige Streben nach Höherem führt bei den verwendeten Gewichten aber auch zu Problemen. Vor einigen Jahren klagte Dang über Knieprobleme, bei einer Operation mussten schließlich Stücke einer Sehne in der Oberschenkelmuskulatur entfernt werden; ein Teil war bereits abgestorben. Ein Jahr habe er nach der OP gebraucht, um wieder an seine alten Leistungen anzuknüpfen. Momente, in denen andere Menschen schon mal mit dem Gedanken gespielt haben aufzugeben. "Daran denke ich nicht", erwidert Dang. "Der Sport hält ja auch gesund und fit - wenn man ihn mit moderaten Gewicht betreibt." Viele Ärzte würden Krafttraining verschreiben, "und ich kenne keinen Gewichtheber, der Probleme mit seinem Rücken hat."

Höhere Ziele hat er dagegen nicht mehr. Den persönlichen Rekord von 121 Kilogramm im Stoßen habe er während seines Studiums in Berlin erreicht, nun soll die Bestmarke auch auf bayerischem Boden fallen. "Der Sport ist aber mittlerweile nur noch ein Hobby, ich arbeite ja auch Vollzeit, während andere acht Mal pro Woche trainieren." Dang spricht aus Erfahrung. In Berlin hat er selbst an einem Leistungszentrum trainiert.

Als er zum wiederholten Male den weißen Magnesia-Block in die Hände nimmt, fällt ihm eine Anekdote ein. "Zu mir kam mal ein kleiner Junge und fragte, warum ich als deutscher Meister im Gewichtheben denn keine sichtbare Oberarmmuskulatur hätte", sagt Dang. Statt eine Antwort zu geben lacht er. Noch so ein Klischee.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2014
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