Süddeutsche Zeitung

Fußball-Regionalliga:"Auf uns kommt ein Riesenbrett  zu"

Der mögliche Abstieg bereitet Garching und Heimstetten zurzeit die geringsten Sorgen.

Von Stefan Galler

Christoph Schmitt wirkt einigermaßen entspannt, obwohl die Situation natürlich auch für den SV Heimstetten alles andere als angenehm ist. "Zunächst mal bin ich überzeugt, dass wir auch in der kommenden Saison in der Regionalliga spielen werden", sagt der Fußballtrainer. "Und zwar ganz egal, wie sich die Sache in den nächsten Wochen entwickelt und wie die bisherige Saison bewertet wird."

Schmitt hat alle Szenarien durchgespielt und festgestellt, dass seine Elf weder nach der Hinrunde auf einem Abstiegsplatz lag noch in der aktuellen Tabelle. "Und wenn doch noch zu Ende gespielt werden sollte, gehe ich davon aus, dass wir es dann eben aus eigener Kraft schaffen, drinzubleiben." Schließlich sei sein Team perfekt aus der Winterpause gekommen. Aufstiegsaspirant Schweinfurt schlug der SVH 2:1, man sehe, findet Schmitt, dass "die Jungs einen tollen Charakter haben". Nun hätte sich auch noch die Personalsituation entspannt. Gleich drei Spieler wären für das Abstiegsduell gegen den TSV 1860 Rosenheim nach Sperren in den Kader zurückgekehrt. Dann kam Corona und mit ihm der Stillstand im Fußball.

"Selbstverständlich ist es ärgerlich, dass wir jetzt den Schwung nicht mitnehmen können", sagt Schmitt. Prognosen, wann oder wie es weitergehen könnte, lehnt er ab: "Das ist doch alles Kaffeesatzleserei. Hauptsache ist, dass alle gesund bleiben." In der vergangenen Woche hätten seine Spieler noch einen Fitnessplan von Co-Trainer Memis Ünver bekommen, an dem sie sich orientieren sollen. "Das werden wir jetzt erst mal sein lassen. Das sind alles Sportler, sie wissen, wie sie sich verhalten müssen, um fit zu bleiben." Darüber macht man sich auch beim VfR Garching keine Sorgen: Athletiktrainer Pierre Widmann kann dank moderner Pulsuhren vom Sponsor sogar ganz genau nachvollziehen, wie viel jeder Spieler für seine Fitness tut.

"Die Rahmenbedingungen sind absolut top, die ganze Mannschaft zieht hundertprozentig mit", sagt Sportdirektor Ludwig Trifellner am Telefon. Er sitzt in seinem Wohnort Langkampfen in Tirol und darf die Gemeinde bis auf Weiteres nicht verlassen. "Ich kann nicht mal nach Wörgl zum Einkaufen, alles muss bei uns im Dorf passieren." Und dann kommt noch nicht einmal Fußball im Fernsehen: "Die Classics von 1875 schaue ich mir bestimmt nicht an, da habe ich zum Teil ja selbst noch mitgespielt", sagt der ehemalige Torwart. Zumindest der Humor hat also weiterhin Freigang.

Es bleibt also umso mehr Zeit, sich aus der Ferne um Garchinger Belange zu kümmern. Und da sieht es sportlich wie wirtschaftlich nicht gut aus. "Wir haben ja nun bis 19. April keinen Trainingsbetrieb, demnach ist auch nicht vorstellbar, dass wir am nächsten Tag gleich wieder anfangen zu spielen", sagt Trifellner. "Realistisch wäre ein Neustart der Saison frühestens am letzten April-Wochenende." Es könnte aber auch alles ganz anders kommen, glaubt der Sportdirektor. "In Baden-Württemberg sind bis 15. Juni alle Trainingsstätten gesperrt." Angesichts der neuesten Ausgangsbeschränkungen könne er sich "nicht vorstellen, dass wir am 19. April wieder zur Tagesordnung übergehen", blickt Trifellner voraus.

Dabei hat der akut abstiegsbedrohte VfR eigentlich einiges zu erledigen: Fünf Punkte beträgt der Rückstand des Tabellenschlusslichts auf die Relegationsplätze, sieben fehlen zum rettenden Ufer. Doch wer weiß schon, ob die Saison 2019/20 nicht eine unvollendete bleibt. "Sollten wir nicht zu Ende spielen können, bin ich dafür, dass der Tabellenführer aufsteigt, es aber keine Absteiger gibt. Lieber spielen wir nächste Saison mit 20 oder 21 Mannschaften", sagt Trifellner. "Wir können schließlich nicht dafür bestraft werden, dass wir keine Chance hatten, unseren Rückstand aufzuholen."

Eine Aufstockung der Liga zur kommende Saison würde dann womöglich auch die Defizite aus der laufenden Spielzeit zumindest ein wenig ausgleichen, denn die finanzielle Lage der meisten Regionalligisten sei "eine einzige Katastrophe", glaubt Trifellner. Zuschauereinnahmen fielen weg, ebenso die Einnahmen aus dem Kioskverkauf. "Und da auch unsere Sponsoren finanziell am Krückstock gehen, können die ihren Zusagen ebenfalls nicht nachkommen, zumindest nicht auf einmal. Das wird ein Riesenbrett, das da auf die Amateurvereine zukommt. Ich erwarte schon, dass der Staat nicht nur an die Unternehmer denkt, sondern auch an die Vereine, denn wir haben ja auch eine Bedeutung für das soziale Gefüge in der Gesellschaft." Aktuell jedenfalls schwebten die Vereine im luftleeren Raum, sagt Garchings Sportdirektor.

Die Gesamtgemengelage macht auch die Verantwortlichen beim SV Heimstetten ratlos. "Auch ohne Corona ist der Etat bei uns immer mit heißer Nadel gestrickt", sagt Abteilungsleiter Stephan Rehme. "Aber der jetzige Ausfall von Einnahmen tut uns absolut weh."

Fußball sei beileibe nicht das Wichtigste im Leben, findet der Spartenchef, aber es hingen eben Existenzen daran, im Profibereich wie auch im Breitensport. Deshalb werden beim SVH vorerst die Mitgliedsbeiträge nicht ausgesetzt, damit etwa Jugendtrainer weiterhin bezahlt werden können.

Was den Regionalligabetrieb angeht, hat man sich intern darauf verständigt, bis Anfang April alles laufen zu lassen wie bisher. Danach müsse man auch über Trainer- und Spielergehälter nachdenken. "Es geht einfach nicht unendlich so weiter. Wir haben hier einen Spagat zu bestehen, weil wir sowohl dem Verein, als auch unserer Regionalligamannschaft gegenüber eine Verantwortung haben", sagt Rehme. Wie Garchings Sportdirektor Trifellner hofft er auf staatliche Hilfen. "Neue Sponsoren finden wir in der jetzigen Zeit sowieso nicht", glaubt Rehme. Der SV Heimstetten könne ja keinerlei Gegenleistung in Form von Präsenz bringen, weder auf dem Feld noch bei Internetübertragungen.

Rehme hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Saison doch zu Ende gespielt wird: "Ich gehe davon aus, dass wir durch die Absage der EM jetzt Luft haben bis Ende Juni und dass die nun ausgefallenen Spieltage dann hinten drangehängt werden."

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SZ vom 23.03.2020
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