Fußball: Bezirksliga-Serie:Solisten aller Länder

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Der "Multi-Kulti-Klub" FC Anadolu hegt große Ambitionen. Doch sein illustrer Kader ist noch nicht zusammengewachsen

Von Stefan Galler, München

Eines macht Erol Balci im Gespräch frühzeitig klar: Der Sportliche Leiter des Münchner Bezirksligisten FC Anadolu Bayern ist kein Anhänger der im Amateurfußball weit verbreiteten Elf-Freunde-Romantik. Demnach glaubt er auch keinem Funktionär, der behauptet, in dieser Spielklasse werde den Kickern kein Geld bezahlt: "Es geht doch schon in der A- und B-Klasse kaum mehr ohne Prämien. Man muss den Spielern ja schon alleine den Zeitaufwand bezahlen, und der ist in der Bezirksliga durchaus gegeben", sagt Balci.

Allerdings hat der Manager des "türkischen Multi-Kulti-Klubs" (Balci) auch einen entscheidenden Vorteil im Vergleich zu den meisten Konkurrenten: Über einen Mangel an Geldgebern muss sich Anadolu nicht beschweren: "Wir haben drei, vier große Sponsoren und gut 50 kleine. Aber Kleinvieh macht auch Mist", sagt der 42-Jährige. Man gibt sich selbstbewusst im Münchner Westen, der Verein verfüge schließlich über den "besten Kader der Liga". Einziges Problem: "Die Mannschaft ist noch nicht so zusammengewachsen, wie wir uns das vorgestellt haben."

Genau deshalb hat es in der Winterpause einen großen Knall gegeben: Trainer Markus Wolf, 47, wurde entlassen, obwohl seine Mannschaft auf dem fünften Tabellenplatz der Bezirksliga Süd steht. Wolfs bisheriger Assistent Ismail Sahmurat, 39, rückt nun in die Verantwortung. "Markus ist ein guter Typ", sagt Erol Balci, "aber ich habe manchmal das Gefühl, er identifiziert sich noch zu sehr mit den Spielern". Und genau das hätten die Spieler zum Anlass genommen, nicht immer an ihre Leistungsgrenze zu gehen. Einen Punkt nur holte Anadolu aus den letzten drei Partien vor Weihnachten, das letzte Spiel des Jahres gegen den Abstiegskandidaten SC Fürstenfeldbruck ging gar mit 0:4 verloren. "Wir haben vor der Saison das Ziel ausgegeben, um den Aufstieg mitzuspielen", betont Balci. Und das Erreichen jenes Ziels sei nach der Krise im November akut gefährdet gewesen.

Der geschasste Trainer reagierte damals mit Unverständnis auf seine Entlassung. Gegenüber einem regionalen Fußballportal widersprach er dem Vorwurf, er sei den Spielern gegenüber zu wenig hart aufgetreten. In der Kabine sei es nach weniger geglückten Spielen auch mal hoch hergegangen, betonte Wolf, der dem Verein trotz seines enttäuschenden Abschieds alles Gute für die Zukunft wünschte.

Das dürfte im Falle von Torhüter Nazim Kücükkaya anders sein: Von ihm trennte sich der Verein im Streit, nachdem er beim 3:3 in Oberalting vom Platz geflogen war und sich anschließend zu obszönen Gesten in Richtung des Publikums hatte hinreißen lassen. "Wir wollen unseren guten Ruf bewahren, wir möchten nicht, dass dieser durch solche Aktionen beschädigt wird", sagt Erol Balci. In Windeseile wurden zwei neue Keeper verpflichtet, Semih Cakmakci, 20, von der DJK Pasing, sowie Fabian Roosenmaalen, 24, vom TSV Gilching-Argelsried. Cakmakci, der in der Jugend bei 1860 München und Wacker Burghausen gespielt hat, dürfte sich den Stammplatz erkämpfen, sobald seine Spielberechtigung vorliegt - er ist noch bis März gesperrt.

Der zum Chefcoach beförderte Ismail Sahmurat wird nicht nur in der Torwartfrage Fingerspitzengefühl benötigen, denn die Gemengelage im Multi-Kulti-Klub mit Spielern aus Togo, Senegal, Bosnien, Kroatien und Albanien ist nicht einfach, auch wenn Erol Balci betont, es gebe zumindest zwischen den Nationalitäten keine Probleme: "Bei uns sind die deutschen Spieler prächtig integriert", scherzt er. Schwieriger könnte da schon werden, die Eitelkeiten im Kader zu moderieren. Für Anadolu kicken eine Reihe ehemaliger Profis. Etwa Orkan Balkan, 29, der einst für die SpVgg Unterhaching in der zweiten und dritten Liga gespielt hat, auch bei türkischen Profivereinen Station machte und nun nach abgeschlossener Ausbildung in der Rückserie voll angreifen will. Oder Selcuk Sahin, 33, der bei Bayern und Sechzig ausgebildet wurde und später in der Süper Lig für Orduspor spielte. Im Januar kam der Bosnier Damir Suljanovic von Türkspor Augsburg, auch der 33 Jahre alte Mittelfeldspieler blickt auf eine abwechslungsreiche Karriere zurück, spielte schon in Frankreich, Marokko, Zypern und der Slowakei.

Im Verein hofft man, dass Suljanovic bei Anadolu durchstartet. So wie das in der Vorrunde Sinan Neumaier-Sünüoglu gelungen war: Der 26-jährige, in Oberösterreich geboren und in der Jugend bei Bayern und Haching, führt mit 15 Toren die Schützenliste in der Bezirksliga Süd an. Er war im Sommer 2016 vom ambitionierten Landesligisten SV Türkgücü-Ataspor München gekommen, wie beispielsweise auch Verteidiger Mevlüt Cam oder die Mittelfeldspieler Kazim Emre Anuk und Ferhat Mavi. Kaum verwunderlich, dass es um das Verhältnis zwischen den beiden türkischen Klubs der Stadt nicht zum Besten bestellt ist. "Wir waren befreundet", sagt Anadolus Sportlicher Leiter Balci. "Aber zuletzt gab es Zank, weil die uns vorgeworfen haben, wir würden Spieler aktiv abwerben." Noch gebe es ja keine Berührungspunkte. Vielleicht aber schon bald, wenn man sich in der Landesliga oder sogar in der Bayernliga trifft. "Da müssen wir dann sehen, wie wir miteinander umgehen", sagt Balci. Es klingt wie eine kleine Kampfansage.

© SZ vom 17.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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