Fußball:Auf Klinsis Spuren

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Der ehemaliga Profi Alexander Strehmel träumt von einer Karriere in den USA

Von Stefan Galler, München

Weißes T-Shirt, schwarze Sporthose und über dem Knie ein 20 Zentimeter langes und vier Zentimeter breites blaues Pflaster. So sitzt Alexander Strehmel auf seinem Bett in der Wolfart-Klinik in Gräfelfing. Am Tag zuvor ist er operiert worden, ihm wurde eine fast zehn Zentimeter lange Schraube aus dem Bein geholt. "Ich konnte nicht mehr Fußball spielen", erzählt der 46 Jahre alte frühere Bundesligaprofi. Die Ärzte hatten ihn vor die Wahl gestellt: Entweder müsse er sich wegen fortgeschrittener Arthrose und einem irreparablen Knorpelschaden ein neues Kniegelenk einsetzen oder eine radikale Operation über sich ergehen lassen: "Sie haben mir das Schienbein unterhalb des Knies durchgesägt und dann mit der Schraube fixiert", erzählt Strehmel. Nach ein paar Wochen Reha will er wieder fit sein.

Dann soll sich auch entscheiden, wo die berufliche Zukunft des Deutsch-Amerikaners liegt. Denn Strehmel hat einen Traum: Er will den Fußball-Boom im Heimatland seiner Eltern nutzen und in die USA gehen; eventuell als Ausbilder an einer Soccer Academy. "Ich war im Sommer drüben und habe gute Gespräche geführt", sagt der ehemalige Defensivspieler, der in seiner Karriere 214 Bundesliga- und 169 Zweitligaspiele bestritten hat. 1992 war er deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart, 1999 war er dabei, als die SpVgg Unterhaching in die Bundesliga aufstieg.

Seit seiner Zeit in Stuttgart kennt er Jürgen Klinsmann gut, beim Urlaub in den USA traf er den US-Nationaltrainer sowie dessen Helfer Berti Vogts in Jacksonville/Florida und erhielt Einblicke in die Strukturen des "American Soccer Systems", wie er es in breitestem Kaugummi-Englisch ausdrückt. "Es ist gar nicht so einfach, in diese Strukturen reinzukommen."

Das Problem seien die Colleges, erklärt der Sohn eines in den Sechzigern in Deutschland stationierten amerikanischen Soldaten. "Die Eltern wollen ihre Kinder nur deswegen zu Fußballern machen, damit diese Stipendien erhalten und die Studienkosten erstattet bekommen." Es gehe den Leuten beim Soccer im Gegensatz zu den großen vier US-Sportarten American Football, Baseball, Basketball und Eishockey nicht darum, die Kinder auf eine Profilaufbahn vorzubereiten. "Das geht schon deshalb nicht, weil die Strukturen so wenig professionell sind", findet Strehmel. Es mangele an guten Trainern, zudem dauere die College-Saison nur vier Monate. "Den Rest des Jahres machen die Kids, worauf sie Lust haben. Und das hat meist wenig zu tun mit Leistungssport."

Jürgen Klinsmann sei auf dem besten Weg, diese Strukturen aufzubrechen. Und Strehmel hätte viel Lust, ihn dabei zu unterstützen: "Es ist definitiv ein Boom entstanden durch die WM in Brasilien, bei der die Amerikaner richtig gut gespielt haben." Er habe es selbst erlebt, als er in einer Strandbar in South Carolina mittags etwas zu trinken ordern wollte und eine halbe Stunde auf seine Bestellung wartete. "Da lief im Fernsehen irgendein Algerien-Spiel und die Bar war rammelvoll." Seine Eltern, die im Bundesstaat Washington leben, hätten zuletzt für Spiele der Major League in Portland oder Seattle keine Karten mehr bekommen. "Da ist neuerdings jedes Spiel ausverkauft. Das war früher undenkbar."

Mit Tochter Jamie auf den Schultern: Alexander Strehmel bejubelt im April 2000 den 3:2-Erstligasieg der SpVgg Unterhaching gegen Sechzig. (Foto: dpa)

Wenn Alexander Strehmel so redet über die Faszination Fußball in den USA, dann wähnt man ihn bereits auf dem Sprung. Seine Frau und die zehnjährige Tochter seien wild entschlossen, in die neue Welt aufzubrechen, sagt er. Die 18 Jahre alte Jamie dagegen wolle ihre Ausbildung zur Kosmetikerin in Deutschland abschließen. "Aber sie könnte jederzeit nachkommen." Er selbst hat in seiner Jugend ein Vagabundenleben führen müssen. Geboren in Hannoversch Münden, einer Kleinstadt in der Nähe von Kassel, "weil die dort ein amerikanisches Krankenhaus hatten", verbrachte er seine Kindheit in Bonn, Heidelberg, Schwetzingen und Stuttgart. "Alleine dort sind wir viermal umgezogen", sagt er.

Als der kleine Alex gerade mal zwei Jahre alt war, lebte die Soldatenfamilie gerade im Fasangarten am Münchner Stadtrand, fast vis-à-vis zum Ortsschild der Gemeinde Unterhaching, wo Strehmel später, zwischen 1996 und 2004, Fußball spielte. Damals musste sein Vater in den Vietnam-Krieg. Die Unterstützung der US-Regierung für seine Mutter war nicht erwähnenswert, bald konnte sie ihre damals drei Kinder nicht mehr ernähren. "Dann hat sie mich in ihrer Not ins Kloster Hohenschäftlarn gebracht, ich habe ein halbes Jahr bei den Nonnen gelebt", erzählt Strehmel. Als der Vater verwundet aus dem Krieg heimkehrte und die Versorgung der Familie wieder sichergestellt war, holte die Mutter den Buben sofort zurück. "Die Nonnen wollten mich gar nicht mehr hergeben." Aus Vietnam hatte der Vater seinem Sohn einen Fußball mitgebracht, seinen ersten. Die Leidenschaft war geweckt. Bis zu seinem 14. Lebensjahr kickte Strehmel nur in Kasernen-Teams, als sein Vater in Heidelberg stationiert war, trat der Heranwachsende in die C-Jugend des VfB Stuttgart ein.

Neun Jahre lang blieb er dem Klub treu, dort traf er auch erstmals auf Lorenz-Günther Köstner, der eine Zeit lang als Co-Trainer von Christoph Daum bei den Schwaben arbeitete. Später in Unterhaching war Köstner dann Strehmels Chefcoach, es entwickelte sich eine Bindung, die bis heute hält. Denn nach seiner aktiven Laufbahn wurde Strehmel zum Assistenten des knorrigen Franken, arbeitete mit ihm bei Rot-Weiß Essen und der U23 des VfL Wolfsburg. Als Köstner im Vorjahr in Düsseldorf dazu beitrug, den freien Fall der Fortuna nach dem Bundesligaabstieg zu stoppen, konnte ihn Strehmel wegen seiner Knieprobleme nicht unterstützen. Dann erkrankte Köstner nach einem Zeckenbiss schwer und musste in Düsseldorf aufhören. Mittlerweile geht es dem 62-Jährigen wieder besser. "Er ist topfit und will wieder arbeiten. Genau wie ich", sagt Strehmel.

Vielleicht schließt er sich dann doch dem Fußball-Ziehvater an und verwirft kurzfristig seine USA-Pläne. "Wir sind ein super Team. Ich habe viel von ihm gelernt, auch menschlich. Er ist nämlich kein Speichellecker, sondern immer geradeheraus", sagt Strehmel. Solche Typen gebe es in der Branche kaum mehr.

© SZ vom 11.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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