FC Pipinsried: Konrad Höß:Patriarch und Platzwart

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Konrad Höß hat den FC Pipinsried allein erschaffen, er herrscht streng über den Fußball-Landesligisten - und verteidigt ihn notfalls auch vor Gericht.

Ralf Tögel

Nordwestlich von Dachau liegt der Markt Altomünster. 76 Quadratkilometer, 7500 Einwohner, irgendwo zwischen München, Augsburg und Ingolstadt. Ob Hutgraben, Schmarnzell, Übelmanna oder Teufelsberg, kaum einer der 47 Ortsteile wurde je aus seinem friedlichen Tiefschlaf an die Öffentlichkeit gezerrt - im Gegensatz zu Pipinsried. Denn in Pipinsried lebt Konrad Höß. Und Konrad Höß ist ein Mann mit einer Mission.

öchentlicher Blick auf sein Lebenswerk: Konrad Höß in typischer Pose am Spielfeldrand. (Foto: Stefan Salger)

Er hat sich dieser Mission, dem Fußballclub Pipinsried, mit ganzer Kraft verschrieben. "Was der FC Bayern München in der Bundesliga ist, das ist der FC Pipinsried in der Landesliga", sagt Höß, und er meint es ernst. "Das hat auch der Dr. Koch gesagt." Also der Präsident des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV). Ohne seinen Fußballklub wäre Pipinsried so bekannt wie Schmarnzell oder Übelmanna. Und ohne Höß gäbe es keinen Fußballklub, so einfach ist das. Wenn man sich mit Konrad Höß unterhält, über Fußball, dann sollte man viel Zeit haben. Es dauert nicht lange und er landet beim FC Pipinsried - dann sollte man noch mehr Zeit haben. Für ihn ist der FCP mehr als ein Verein, er ist sein Lebenswerk, er hat ihn erschaffen. Er leidet mit dem Klub, er kämpft für den Klub und er hält ihn am Leben, seit 43 Jahren.

1967 hat Höß den FC Pipinsried gegründet, weil "das Dorf tot war". Die Schützen, die Landjugend, "alles eingeschlafen", erzählt er. Höß ist Träger der Ehrennadel des Marktes für besondere Verdienste im Vereinsleben, und er ist gebürtiger Pipinsrieder - diese Frage versteht er fast als Beleidigung: "Ja was denn sonst?", fragt er. Und er hatte schon immer Spaß am Fußballspielen: "Ich habe das ein bisschen besser gekonnt als alle anderen." Höß sagt so etwas mit beneidenswertem Selbstverständnis.

Anfangs stand der Präsident noch selbst auf dem Rasen, bald verlegte er sich ganz aufs Funktionärsdasein. Mit viel Chuzpe trieb er die Entwicklung seines FCP voran. Im Februar gegründet, fanden die ersten Spiele bereits im Juni statt, in der C-Klasse. Danach ging es stetig bergauf, zwischen 1975 und 1979 von der untersten Liga bis in die Bezirksliga: "Die schönsten Jahre meines Lebens."

Legendäre Geschichten ranken sich um diese Zeit, wie folgende: Nach einem Aufstieg war der Vereinsboss derart entzückt, dass er sich kurzerhand das örtliche Feuerwehrauto schnappte und mit Blaulicht durch den Ort bretterte. Höß ist ein begnadeter Vermarkter seines Produktes, nicht selten tauchte er in früheren Jahren sonntags bei den örtlichen Zeitungen auf, mit einem Karton Joghurt aus der Produktion des Sponsors unter dem Arm; PR in eigener Sache, noch heute faxt er handgeschriebene Berichte und Ankündigungen in die Redaktionen.

Sein Beruf kam der Arbeit als Klubpräsident zupass. Höß, der im kommenden Februar 70 wird, war Milchleistungsprüfer; in einer ländlich geprägten Gegend kein Nachteil. Dass ihn die Landwirte unterstützen, wie viele vermuten, weist er aber ins Reich der Legenden: "Versuchen Sie mal von einem Bauern einen Cent zu bekommen. Die müssen hart arbeiten, für Fußball geben die kein Geld." Der Aufstieg des Vereins war dennoch nicht aufzuhalten. "Am Anfang haben mich alle ausgelacht. Sie haben meinen Ehrgeiz unterschätzt." Diese Aussage beschreibt den Antrieb des Konrad Höß wohl am besten, er wiederholt sie immer wieder.

"Er kann sehr fordernd sein, wenn er etwas braucht", sagt Konrad Wagner, seit 1990 Bürgermeister in Altomünster. Allerdings beschränke sich das auf den FC, "für den will er immer nur das Beste, sofort". Höß selbst habe er als "umgänglichen Menschen" kennengelernt, mit dem man über alles reden könne. Auch im sportlichen Bereich setzte Höß seine Maxime bald um, nur die Besten sollten seine Mannschaft führen. Hermann Brunner etwa, seinerzeit im Landkreis eine Legende. Heute leitet Brunner die Sportschule Oberhaching. Einige namhafte Amateurkicker stehen in dieser Reihe, Ex-Profi Franz Becker, Wolfgang Krebs, Denis Dinulovic. Am längsten war Michael Stiller in Pipinsried. Zehn Jahre als Spieler, sechs als Spielertrainer. Stiller will über seine Zeit beim Dorfklub nichts sagen, nur so viel: "Es waren schöne 14Jahre." Über die letzten beiden Spielzeiten: "kein Kommentar." Nicht immer enden Gastspiele beim FCP, egal ob Trainer oder Spieler, in ländlicher Eintracht.

Jüngstes Beispiel ist Ex-Profi Marco Küntzel, er warf nach einer halben Saison als Spielertrainer das Handtuch. "Einvernehmlich", sagt Höß. Küntzel sieht das anders. Vor dem ersten Rückrundenspiel habe Höß zwei Spieler ins Probetraining geschickt, ohne Küntzel zu informieren. "Man kann sich vorstellen, was das für Unruhe in die Mannschaft gebracht hat." Der Spielertrainer lehnte beide als untauglich ab, kurz darauf wurden sie von Höß verpflichtet. Für Küntzel war das Maß voll, drei Wochen später quittierte er den Dienst.

Derlei Kompetenzgerangel zieht sich durch die Historie. Höß will Einfluss nehmen, starke Trainer, die das nicht zulassen, haben einen schweren Stand. Das Hößsche Mantra verlangt nach harter Arbeit. Küntzel habe "kicken wollen", gepflegtes Kurzpassspiel, nicht unüblich. Aber nichts für Höß: "Die wollen spielen, spielen, spielen. In der Landesliga gibt es aber keine Rennpferde, sondern nur Ackergäule. Die müssen kämpfen, kämpfen, kämpfen." Wer sich dem verschließt, liegt falsch. Und wer falsch liegt, bleibt nicht lange. Nach Küntzels Ansicht ist der Fachverstand des Präsidenten überschaubar: "Der hat keinen Plan." Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, verfällt der Chef bisweilen in Übereifer. Regelmäßig wird der Kader fast komplett ausgetauscht, der Verein sucht in Sachen Spielerfluktuation seinesgleichen. 21 Spielertrainer hat der FCP verschlissen, Kandidat Nummer 22, Roland Baumgärtner, wurde soeben verpflichtet. Bayernligaakteur Qemajl Beqiri hat Höß als dritten Zugang in der Winterpause angekündigt, noch ist der Wechsel aber nicht perfekt.

Dieser Aktionismus ist Ergebnis von Höß' Urangst: dem Abstieg. Im Jahr 2004 hat er diesen auf dem Rechtsweg verhindert - dank eines schwammig formulierten Paragrafen zur Abstiegsregel und einer erfolgreichen Klage vor dem Verbandssportgericht. Der Rechtsanwalt an seiner Seite ist sein Sohn Reinhard. Ein einmaliger Vorgang, die Landesliga ging daraufhin mit 19 Teams an den Start.

Ihr gehört der FCP nun seit 1999 ununterbrochen an. Der Klub muss das Alphatier im Dachauer Land bleiben, sonst ginge das Alleinstellungsmerkmal verloren, Grundlage des Systems FC Pipinsried. Höß hat seinen Klub als Ausbildungsstation für Talente der Region etabliert, dazu verpflichtet er ehemalige Größen im Herbst ihrer Schaffensphase. Alexander Schmidt war so einer, heute Co-Trainer von Reiner Maurer beim TSV 1860 München. Er bescheinigt seinem ehemaligen Chef "ein gutes Auge" bei Neuverpflichtungen. Dass sich Höß in der Szene auskennt, ist unbestritten - und er sei ,,ein ausgekochtes Schlitzohr''. Keiner investiert so viel Zeit in Spielersuche wie Höß. Als Spielertrainer installiert er meist einen Neuling, was die Kosten senkt.

Wie er alles finanziert, darum macht Höß beharrlich ein Geheimnis. "Bei mir bringen die Spieler noch Geld mit", sagt er. Solche Sätze, die er ansatzlos ins Gespräch schießt, sind Teil seiner Folklore. Das finden nicht alle witzig, und es legt den Verdacht nahe, dass der Präsident etwas zu verbergen hat. Pipinsrieder Vereinsabende, an denen Höß Spielern und Trainer öffentlich die Leviten liest, grenzen an Realsatire. Bisweilen zu viel für empfindsame Kickerseelen. "Er ist ein sehr emotionaler Typ", sagt Schmidt verniedlichend über Höß' rustikale Art. Der mag das nicht verstehen: "Ich bin ein pflegeleichter Mensch." Was wiederum mancher Spieler nicht verstehen mag - nicht alle lassen sich gerne Mimosen oder Rumpelfüßler nennen. Höß liebt dieses Spiel, sein Publikum dankt es ihm. "Wer nach Pipinsried geht, weiß das und muss damit klarkommen", sagt Schmidt, "sonst braucht er nicht hinzugehen."

Höß bleibt seiner Linie stets treu: "Bei mir zählt kein Marco Küntzel und kein anderer Trainer, bei mir zählt nur der FC Pipinsried." Er polarisiert, auch bei der Konkurrenz. Seine polternde Art stößt nicht immer auf Beifall. Das schrille Gejammer des Underdogs ("arm wie eine Kirchenmaus") beherrscht Höß ebenso wie fragwürdige Spielabsagen. Ein Heer von Regenwürmern hatte einst seinen heiligen Rasen so grob durchpflügt, dass er die anstehende Partie stornierte - kein Witz. Auch das Pipinsrieder Vorrecht, Heimspiele im Sommer um 18 Uhr auszutragen, wird kritisiert. Natürlich versteht der Gescholtene auch diese Aufregung nicht: "Wenn nicht jeder zustimmt, würde es nicht gehen." Schlussendlich setzt sich Höß meist durch, er hat sich einen Nimbus als Unikum geschaffen, einen "So-ist-er-halt"-Status.

Seine Verdienste sind groß, das schmucke Stadion im Dachauer Hinterland hat er federführend mit ortsansässigen Helfern aus dem Boden gestampft: "Ich kenne jeden Stein und jeden Strauch." Noch heute setzt er sich regelmäßig auf seinen Traktor zum Rasenmähen, er fegt das Vereinsheim, legt den Spielern die Trikots bereit, gibt den Stadionsprecher. Seine Frau Katharina, mit der er seit 48 Jahren verheiratet ist, steht im Kiosk und wäscht die Trikots. Ohne sie, das betont Höß, wäre alles nicht möglich gewesen. "Von einer anderen wäre ich schon tausendmal geschieden." Eigentlich sollte Höß kürzlich vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) geehrt werden, er lehnte ab. Stattdessen wurde auf seine Initiative hin Ehefrau Katharina ausgezeichnet - auch ein wohl einmaliger Vorgang.

550 Mitglieder zählt der FC Pipinsried laut Höß, mehr als der Ort Bürger hat. Seine "Pionierarbeit" beschränke sich nicht auf die Dorfgrenze, es gelte, den ganzen Landkreis zu missionieren. Wie lange noch? ,,Der Papst ist 83 Jahre alt und hat noch große Ziele.'' Man sieht Höß seine fast 70 nicht an. Kürzer treten, aufhören? Solche Fragen beantwortet er mit verständnislosen Blicken. Damit will er sich nicht befassen. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. "Ich hoffe, dass die Gemeinde nach mir wenigstens die Sportanlagen instand hält", sagt er. Mit etwas Glück ist ihm zu Lebzeiten ja vielleicht sogar noch die Bayernliga vergönnt.

© SZ vom 29.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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