FC Bayern:Bedarfsanalyse

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Männer in Ekstase: Geschäftsführer Marko Pesic busselt Stefan Jovic. (Foto: Jan Huebner/imago)

Nach der Titelverteidigung ist vor der Titelverteidigung: Beim alten und neuen Meister München laufen etliche Verträge aus.

Von Ralf Tögel

Es ist vollbracht. Der FC Bayern München hat seinen Titel erfolgreich verteidigt und ist zum fünften Mal deutscher Basketball-Meister. Wie Präsident Uli Hoeneß stolz erläuterte, soll der Erfolg nur ein weiterer Schritt sein auf dem Weg zur internationalen Referenzgröße. Bis 2021 wird die neue Halle gebaut, das Startrecht für die Euroleague ist solange gesichert, national ist der Klub sowieso das Maß der Dinge. Doch weil Stillstand beim FCB ein Fremdwort ist, wird bereits an der kommenden Saison gebastelt. Geschäftsführer Marko Pesic und Sportdirektor Daniele Baiesi arbeiten an der Verpflichtung eines Guards und eines Spielers für die sogenannten großen Positionen. Zuvorderst gilt es aber, viele auslaufende Verträge zu verlängern. Wer hat die besten Chancen? Wer hat eher keine mehr? Ein Überblick.

Der MVP

Die Auszeichnung sei ihm "völlig egal", wie Nihad Djedovic kurz nach seiner Wahl zum wertvollsten Spieler der Finalserie mitteilte, Basketball sei Teamsport. Dennoch zeigt die Ehrung, wie wichtig der 29-jährige Small Forward für das Team ist, zumal er sich neben seinen Scorer-Qualitäten zu einem der besten Abwehrspieler entwickelt hat. Trainer Dejan Radonjic betraut ihn gerne mit Spezialaufgaben. Djedovic spielt gerne für den FCB, ließ er noch wissen, ein kleiner Hinweis für den Willen zur Vertragsverlängerung. Marko Pesic sagte, der Klub sei immer gut damit gefahren, "den MVP zu halten", was man ebenfalls als Hinweis deuten darf. Seit 2013 ist Djedovic in München, keiner spielt länger für den Klub, keiner hat mehr Punkte erzielt, er ist erneut Topscorer der Mannschaft. Klare Tendenz: Djedovic bleibt.

Der Ausgebuffte

Vladimir Lucic war neben Djedovic der prägende Spieler der Serie gegen Berlin - und der gesamten Saison. Der athletische 2,04-Meter-Forward ist extrem vielseitig und ausgebufft, Lucic ist der Energizer im Team, der mit seinen Aktionen ein Spiel drehen kann. Sei es ein überraschender Dreier, ein Ballgewinn oder ein provoziertes Stürmerfoul, wie zuletzt im Auftaktspiel gegen Alba. Zudem scheint der serbische Nationalspieler keine Nerven zu kennen. Der 30-jährige Routinier übernimmt in heiklen Situationen Verantwortung, so einen hat jeder Spieler gern an seiner Seite. Sein Marktwert dürfte weiter gestiegen sein. Der FC Bayern wird alles tun, ihn dennoch zu halten. Tendenz: Lucic bleibt.

Der Teamplayer

Alex King hatte als erster eine Meisterzigarre im Mund. Er bekam zwar in den beiden letzten Partien keine Einsatzzeiten mehr, der 34-Jährige bewies aber immer wieder, dass er zur Stelle ist, wenn ihn der Trainer am dringendsten benötigt. Dann braucht der Routinier keinerlei Aufwärmphase, er kommt und verteidigt bissig oder trifft. Und King ist einer, der sich nie über seine Rolle beklagt, obwohl er bei vielen Konkurrenten eine tragendere spielen könnte. Er würde gerne eine weitere Saison beim FCB dranhängen. Ob es dafür reicht, ist allerdings fraglich. Tendenz: King muss einem Jüngeren weichen.

Der Regisseur

Stefan Jovic hatte bei einem Gastspiel im Audi Dome bleibenden Eindruck hinterlassen. In Diensten von Roter Stern Belgrad stellte er 2015 mit 19 Assists einen Euroleague-Rekord auf - und die Bayern vor unlösbare Probleme. Es gibt in Europa kaum einen Regisseur mit so viel Übersicht, der so ansatzlose und geniale Pässe spielen kann, wobei er auch von seiner für einen Point Guard stattlichen Größe von 1,98 Metern profitiert. Der 28-Jährige ist in der serbischen Nationalmannschaft gesetzt, beim FCB bewies er gerade in den Finalspielen gegen Berlin seine Fähigkeiten. Allerdings gilt Jovic als verletzungsanfällig. Auch in der abgelaufenen Saison fehlte er den Münchnern immer wieder in sensiblen Phasen. Vielleicht wäre mit einem gesunden Stefan Jovic in der Euroleague der Einzug in die Runde der letzten Acht gelungen. So mussten die Münchner lernen, auch ohne ihn auszukommen. Tendenz: Die Bayern können auch ohne ihn.

Das Zirkuspferd

Derrick Williams hat nicht nur den FC Bayern bereichert, der 28-Jährige ist das Zirkuspferd der gesamten Liga. Selbst in der Euroleague gibt es nicht viele Spieler von seinem Format. Der Startplatz der Bayern im höchsten europäischen Format war ein gewichtiges Argument für Williams' Wechsel an die Isar gewesen. Zu Hause in den USA spielte er mit Superstar LeBron James zusammen, er fühlt sich aber auch im Kader der Bayern wohl. Trotz 428 Spielen in der NBA ist dem 2,03-Meter-Athleten Dünkel fremd, Williams hat sich als Teamplayer entpuppt. Wurde wegen seiner sympathischen Art und seiner Spielweise - keiner dunkt und blockt so spektakulär wie er - schnell zum Fanliebling. Sein Ziel ist die NBA. Sollte kein passendes Angebot kommen, wäre eine Rückkehr nach München aber denkbar: "Bayern ist mein erster Ansprechpartner, die Chancen sind 50:50." Tendenz: Die NBA will Williams.

Der Aufrüttler

Danilo Barthel kam vor drei Jahren als Nationalspieler aus Frankfurt, um zu lernen. Seitdem lernt er ständig dazu. Mittlerweile gilt er vielen als der beste Power Forward der Liga. Auch persönlich ist Barthel beim Meister gereift, was nicht zuletzt seine Wahl zum Teamkapitän belegt. Der 27-Jährige ist trotz seiner 2,07 Meter flink und wendig, verteidigt stark und ist hinter Djedovic zweitbester Scorer. Barthel ist einer, der vorangeht, die Kollegen aufrüttelt und mitreißt. Mittlerweile hat der Nationalspieler auch international auf sich aufmerksam gemacht. So mancher Euroleague-Konkurrent dürfte ihn zumindest interessant finden. Barthel weiß allerdings auch, was er am FC Bayern hat, das betont er stets. Spieler und Klub haben noch einiges zusammen vor. War im Vorjahr MVP der Finalserie, und wie sagte Marko Pesic: Der Verein sei immer gut gefahren, den MVP zu halten. Tendenz: Barthel bleibt.

Der Polizist

Braydon Hobbs wollte eigentlich zur Polizei gehen, er hat einen Uni-Abschluss in Kriminalistik. Doch dann begann der Amerikaner eine abenteuerlichen Basketball-Reise, die ihn über Australien, Ungarn und Spanien zunächst zum Zweitligisten Nürnberg führte. In Gießen gelang ihm der Durchbruch in der Bundesliga, dann holte ihn Ulm. Bei einem Gastspiel mit den Schwaben in München hinterließ der 30-Jährige mit seinen Distanzwürfen so viel Eindruck, dass Präsident Hoeneß befand: "So einer fehlt uns." Was umgehend korrigiert wurde. Hobbs ist der Lieblingsspieler des Präsidenten, auch weil er mit seiner anarchischen Spielweise nicht nur seine Gegenspieler zu überraschen weiß. Trainer Radonjic ist sein Spiel zu risikoreich und abwehrschwach, weshalb Hobbs als siebter Ausländer in den Playoffs bis auf eine Ausnahme auf die Tribüne musste. Tendenz: Hobbs muss weiterziehen.

Der Ruhige

Nemanja Dangubic begann trotz Euroleague-Erfahrung mit Roter Stern Belgrad die Vorbereitung bei den Bayern als Trainingsspieler. Doch der 26-Jährige überzeugte und wurde als letzter Baustein für den Kader verpflichtet - auch weil sich Milan Macvan in der Vorbereitung abermals schwer verletzte. Dangubic hat die Chance genutzt, er gilt als guter Distanzschütze und vor allem als starker Defensivspieler. Diese Qualität macht den 2,04 Meter großen Serben unersetzlich, Trainer Radonjic misst der Abwehrarbeit eine entscheidende Bedeutung bei. Dangubic stellt sich klaglos in den Dienst des Teams. Tendenz: So einen hat man gern in der Mannschaft.

Der Schrank

Kein Akteur im Kader ist derart muskelbepackt wie Center Devin Booker. Wegen einer Sprunggelenkverletzung musste er allerdings wochenlang passen, was den Verantwortlichen zeigte, wie sehr sie diesen coolen Schrank - 2,05 Meter groß, 110 Kilo schwer - brauchen. Rechtzeitig zu den Playoffs war Booker wieder fit und hatte maßgeblichen Anteil an der Titelverteidigung. Neben Barthel ist er einer der besten Scorer und der beste Rebounder. Diese Qualitäten hat ganz Basketball-Europa mitbekommen, ob sein Vertrag verlängert wird, dürfte also nicht zuletzt an ihm liegen. Der Vater von drei kleinen Kindern fühlt sich aber sehr wohl in München, hier ist er zum kontinentalen Top-Center gereift. Ob er bleibt, wird nicht zuletzt eine Frage des Geldes sein. Tendenz: Die Bayern haben genug davon.

Der Lernfähige

Leon Radosevic zog vor der Saison eine Ausstiegsoption beim ehemaligen Serienmeister Bamberg, der sich für fünf Jahre an die drittklassige Champions League gebunden hatte. Der gebürtige Kroate, der seit 2017 den deutschen Pass besitzt, will aber im höchsten europäischen Wettbewerb mitmischen, da kam das Angebot aus München gerade recht. Dass der 29-Jährige keine Ausländerposition besetzt, macht ihn besonders interessant. Zu Saisonbeginn fremdelte der 2,08-Meter-Riese noch ein wenig im neuen System, zeigte sich aber lernfähig und wurde zusehends zu einem wichtigen Faktor im Spiel. Radosevic hat seine Qualitäten unter dem Brett noch längst nicht ausgeschöpft, weshalb es für die Bayern gut ist, dass er noch eine weitere Saison Vertrag hat.

Der Feingeist

Spielmacher Maodo Lo, 26, kam im Paket mit Radosevic aus Bamberg, auch er verspürte wenig Lust auf einen Abstieg im internationalen Geschäft. Der Nationalspieler gilt als Regisseur der Zukunft, keiner tanzt seine Gegenspieler so elegant aus wie der 1,91 Meter große Point Guard. Auch Lo benötigte etwas Zeit, um sich bei den Bayern zu akklimatisieren, fand aber schneller als Kollege Radosevic zur Bestform und etablierte sich bald als Alternative zu Jovic. Lo ist korbgefährlicher als sein serbischer Teamkollege, sammelt dafür weniger Assists, weshalb sich die beiden als Spielmacher-Duo optimal ergänzen. Lo ist der Sohn der Künstlerin Elvira Bach, sein Interesse für Kunst wurde ihm also in die Wiege gelegt. Der gebürtige Berliner besucht in seiner Freizeit gerne Ausstellungen. Wofür er in München noch viel Zeit hat, sein Vertrag läuft eine weitere Saison.

Der Azubi

Wohl in keinem anderen Kader würde ein Nationalspieler so viel auf der Bank sitzen wie beim FC Bayern. Eine Erfahrung, die auch Robin Amaize machen muss, allerdings ist er auch gekommen, um zu lernen. Zwar zählt der 25-Jährige mittlerweile nicht mehr zum deutschen A-Kader, aber in einigen Partien hat der 1,96 Meter große Spieler gezeigt, dass seine Fähigkeiten, zu denen ein sicherer Distanzwurf und hohes Tempo zählen, ihn dorthin zurückbringen können. Zumal er in München mindestens eine weitere Saison lernen kann.

Der Scharfschütze

Ausgerechnet gegen seinen alten Verein gab Petteri Koponen die beeindruckendste Kostprobe seines Könnens: Gegen den FC Barcelona war der Finne Topscorer und erzielte mit der Schlusssirene die beiden Siegpunkte. Der 1,94 Meter große Guard ist ein Dreier-Spezialist, der sich seine Würfe meist mit flinken Dribblings selbst vorbereitet. Aber der 31-jährige Routinier kann auch den Spielmacher geben, was er in der Auswahl seines Heimatlandes immer wieder bewiesen hat. In seiner ersten Saison in München hat sich Koponen zwar bereits zu einem wichtigen Faktor entwickelt, aber auch den Eindruck hinterlassen, dass er zu mehr in der Lage ist. Das will er zeigen. Sein Vertrag läuft zwei weitere Spielzeiten.

Der Schüler

Marvin Ogunsipe hatte in dieser Saison seine bisher meisten Einsätze für Bayern - und einige feine Aktionen. Der 23-jährige Wiener hat mittlerweile auch die deutsche Staatsbürgerschaft - und einen Vertrag, der ihm zwei weitere Lehrjahre einbringt.

© SZ vom 25.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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