Eishockey:Stress mit der Ex

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Härtetest im Halbfinale: Keiner hat die DEL so oft gewonnen wie Don Jackson. Nun trifft der Trainer mit Titelverteidiger EHC München erstmals in einer Playoff-Serie auf seine alte Liebe Berlin.

Von Johannes Schnitzler

Wenn die Eisbären kommen, sind die Münchner immer ganz aus dem Häuschen. Am vergangenen Donnerstag versammelten sich 200 Menschen und riefen, sie woll'n die Eisbär'n sehn, sie woll'n die Eisbär'n sehen. Aber Quintana, das vier Monate alte Eisbärenmädchen, zierte sich ein wenig. Als sie endlich ihre Höhle verließ, quietschten die Besucher im Tiergarten Hellabrunn vor Verzückung. 90 000 Münchnerinnen und Münchner hatten sich an dem Namenswettbewerb für die kleine Eisbärin beteiligt. Sie hätte auch Queenie heißen können, aber eine solide 48-Prozent-Mehrheit entschied sich für Quintana. Eisbären bewegen das Münchner Herz.

Als am Freitagabend die Eisbären nach München kamen, die Eisbären aus Berlin, waren keine 90 000 Menschen im Stadion. Passen halt auch nur 6142 Menschen ins betagte Olympia-Eisstadion. Immerhin, es war ausverkauft. Das war am Tag, als Eisbärchen Quintana lautstark begrüßt wurde, noch nicht klar gewesen. Auf der Facebook-Seite des EHC gingen besorgte Postings von Fans ein: "Für Freitag gibt es noch Stehplätze und für das zweite Halbfinalspiel noch Karten überall. Ich versteh das nicht! Sollte normal schon alles ausverkauft sein." Der deutsche Meister selbst meldete vor dem ersten Spiel der Best-of-seven-Serie (das nach zweimaliger Verlängerung 2:3 endete), es gebe noch Plätze.

Eisbären-Kapitän André Rankel: "Niemand kann in Donnies Kopf schauen."

Obwohl der EHC die Vorrunde gewonnen hat, kamen zu den Heimspielen im Schnitt weniger als 5000 Zuschauer. In Berlin kennt man andere Zahlen. Die Eisbären sind mit sieben Titeln Rekordmeister der Deutschen Eishockey Liga. Hinter dem SC Bern, der laut Weltverband IIHF 16 399 Besucher pro Partie empfängt, Dinamo Minsk (13 230) und den Kölner Haien (12 662) liegen sie mit 12 052 Besuchern auf Platz vier der kontinentalen Beliebtheitsskala. Trotz der miserablen Vorrunde, als das Team von Uwe Krupp mit Ach und Krach die Playoff-Qualifikation erreichte.

Bärenbrüder: Don Jackson 2013 nach seinem fünften und für die Berliner bis dato letzten Titelgewinn mit Pokal und Eisbären-Maskottchen Bully. (Foto: Daniel Reinhardt/dpa)

Krupp ist zwar so groß wie ein Eisbär. Aber er ist lange nicht so knuffig wie Knut, der Vater aller Kuscheltiere. Knut kam 2006 zur Welt. Er war die erste Eisbärengeburt im Berliner Zoo seit mehr als 30 Jahren und löste einen Medienhype aus. Die Eisbären hatten in diesem Jahr gerade ihren zweiten Meistertitel nacheinander geholt, damals noch unter Pierre Pagé. Ganz Berlin war eine Wolke. 2011, als Knut starb, gewannen die Eisbären ihre fünfte Meisterschaft, die dritte unter Don Jackson, der Pagé 2007 beerbt hatte. Zwischen 2008 und 2013 gewann Jackson insgesamt fünf Mal den Titel mit Berlin, er ist der Rekordmeistermacher der DEL. Und knuffig wie Knut.

Der 1,90-Meter-Mann, den alle "Donnie" nennen, der als NHL-Profi an der Seite des großen Wayne Gretzky zweimal den Stanley Cup gewann, wurde zu einer Art Ober-Eisbär für die Berliner. 2013 verließ er die Hauptstadt und wechselte erst nach Salzburg (wo er 2014 österreichischer Meister wurde), dann nach München. 2016 führte er den EHC zum ersten DEL-Pokal seiner Vereinsgeschichte.

Über seine Berliner Jahre sagt Jackson: "Es war eine schöne und erfolgreiche Zeit. Berlin war meine erste Station in Europa. Und sie hat es mir als US-Amerikaner einfach gemacht." Den Abschied habe er "ein bisschen wie ein gebrochenes Herz" empfunden - schließlich habe er damals "eine alte Liebe" verlassen: "Aber mit München habe ich nun eine neue." Mit dieser neuen, jüngeren Flamme trifft der 60-Jährige in diesen Tagen erstmals in einer Playoff-Serie auf seine alte Liebe. Jackson sagt: Begegnungen mit Berlin würden für ihn immer etwas Besonderes bleiben. "Aber wenn die Partie losgeht, ist es einfach nur ein großes Halbfinalspiel."

Titelhamster: Als Verteidiger gewinnt Don Jackson an der Seite von "The Great One" Wayne Gretzky mit den Edmonton Oilers zweimal den Stanley Cup in der nordamerikanischen Profiliga NHL. (Foto: Getty)

So offen Jacksons Herz ist, so undurchsichtig ist er selbst für Weggefährten geblieben. Berlins Kapitän André Rankel, 31, der alle sieben Meisterschaften mit den Eisbären geholt hat, sagt: "Niemand kann in Donnies Kopf schauen." Einerseits gilt Jackson als gemütvoller Familienmensch. Mit seiner Frau Nancy hat er drei erwachsene Kinder, manche Profis sind für ihn wie Ziehsöhne. Dass der große Mann mit der leisen Stimme andererseits reizbar ist wie ein Grizzly, hat er selber bei seinem Antritt in München klar gemacht: In der Kabine, warnte Jackson, "kann ich auch anders".

"Donnie ist ein alter Fuchs", sagt Eisbären-Urgestein Sven Felski. "Er ist keiner, der permanent rumschreit. Er ist eigentlich ein relativer ruhiger Vertreter. Wenn er mal austickt, weiß jeder, was Sache ist."

EHC-Verteidiger Deron Quint: "Er bringt dir als Mensch Respekt entgegen. Er sieht das Individuum im Spieler. Das ist enorm wichtig."

Jackson ist das, was man einen Spieler-Trainer nennt, einer, den die Profis lieben. Für Deron Quint ist er schlicht "der beste Trainer, den ich kenne, weil er sich nicht nur fürs Eishockey interessiert." Quint, so heißt der alte Seebär in dem Film Der Weiße Hai (der am Ende allerdings von dem Monster gefressen wird). Der Name passt gut zu Deron Quint. Der 41-Jährige hat in der nordamerikanischen NHL gespielt und in der russischen KHL, er hat die Welt befahren, ehe er nach München kam. In Berlin gewann er unter Jackson drei Titel. Er sagt: "Don bringt dir als Mensch Respekt entgegen. Er sieht das Individuum hinter dem Spieler. Das ist enorm wichtig."

Freund und Lehrmeister: 1992-94 assistiert Jackson Pierre Pagé (links) bei den Québec Nordiques in der NHL. 2004 holt Pagé Jackson nach Berlin, 2014 folgt Jackson ihm beim EHC München nach. (Foto: Imago)

Jackson kann Konflikte in der Kabine moderieren, er bändigt die Diven und würdigt die Arbeiter und pflegt langfristige Bindungen. Neben Quint stehen in Richie Regehr und Mads Christensen zwei weitere ehemalige Berliner im EHC-Kader. Der Däne Christensen sagt: "Donnie ist ein ruhiger und netter Mensch. Ein sehr, sehr guter Mensch." Die selbe Treue wie zu seinen Spielern hält Jackson zu seinen Klubs. "Wenn ich irgendwo unterschreibe, gehe ich immer mit der Einstellung ran, dass ich mich gerade für mein Leben gebunden habe", sagt er. Aber im Profisport halten Ehen selten lebenslang. Vielleicht hält er deshalb immer eine gewisse Distanz zu allem, was jenseits der Kabinentür geschieht. Geschichten über sich selbst will er nicht lesen. Schon in Berlin habe er bisweilen unnahbar gewirkt, erzählt Felski.

Die verlassene Geliebte hat die Trennung ganz gut verwunden, scheint es. Es sei "schon erstaunlich", sagt Claus Vetter, wie Jackson "in Berlin durchgerauscht ist". Vetter begleitet die Eisbären seit Jahren für den Tagesspiegel. Er glaubt, zwischen Berlin und Jackson, das war trotz der fünf Titel "nicht die ganz große Liebe". Die größere Dankbarkeit der Berliner gelte Pierre Pagé, der den Klub erst in die sportliche Erfolgsspur gesetzt habe. In der Tat trat Jackson immer in Pagés Fußstapfen: erst als sein persönlicher Assistent in Berlin, dann als Chefcoach in Salzburg und München. Jacksons Verdienst war es dabei stets, auch das Temperament des ideensprühenden Kanadiers, mit dem er schon in der NHL zusammenarbeitete, zu moderieren. In Berlin ist es aber ohnehin nicht so wichtig, wer an der Bande steht, Poltergeist Pagé, der joviale Jackson oder der kantige Krupp. Was zählt, ist die Liebe zum Klub.

Und noch ein Pokal: 2016 führt Don Jackson den EHC München erstmals zur deutschen Meisterschaft. Für Jackson ist es der sechste Titel. Er ist der Rekordmeister und den DEL-Trainern. (Foto: imago/GEPA pictures)

Auch nach dem Umzug aus dem legendären Wellblechpalast in Hohenschönhausen in eine moderne Arena nach Friedrichshain brüllen die Fans weiter "Dy-na-mo!", eine mehr oder weniger ironische Anspielung auf die Stasi-Vergangenheit des Klubs. Vor allem aber verehren sie ihre Meisterspieler. Baxmann, Braun und Busch mögen in die Jahre gekommen sein, aber sie sind Identifikationsfiguren. "Hier gibt es viel Lokalkolorit", sagt Claus Vetter.

Beim EHC Red Bull München versuchen sie gerade, das Stigma des Dosenklubs loszuwerden und allmählich eine eigene lokale Identität zu erschaffen. Mit Spielern wie Kapitän Michael Wolf, einem Allgäuer, oder Konrad Abeltshauser, dem Ur-Bayern aus Bad Tölz; 2018 kommt Patrick Hager von den Kölner Haien, ein Rosenheimer. Im Olympiapark soll ein neues Stadion entstehen, in dem neben dem EHC auch die Basketballer des FC Bayern ihre Heimspiele austragen. Wie diese Woche aus Verhandlungskreisen zu hören war, haben sich die Parteien weiter angenähert, Spielbeginn könnte 2020 sein .

Ob München dann eine Eishockeystadt wird wie Berlin? Wenn er so weitermacht wie bisher, könnte Don Jackson 2020 seinen fünften Meistertitel mit dem EHC feiern. Am Sonntag glichen sie mit einem 2:1 (0:1, 2:0, 0:0) in Berlin die Halbfinal-Serie aus, vor 14 200 Zuschauern. Deron Quint sagt: "In Berlin ist Eishockey noch etwas größer als in München. Aber wir werden gerade größer." Wenn dann in Hellabrunn ein männliches Eisbären-Junges zur Welt kommen sollte, böte sich Quintus als Name an.

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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