Süddeutsche Zeitung

Eishockey:Hamburger Jung unter Tölzer Buam

Für Maximilian Franzreb könnte seine Geburtsstadt doch noch jene Heimat werden, die sie für ihn nie war.

Von Johannes Schnitzler, Bad Tölz

Die meisten Interviews finden zurzeit telefonisch statt. Das ist aus journalistischer Sicht bedauerlich, denn so fehlt die Mimik des Gesprächspartners als wesentlicher Bestandteil der Kommunikation, der persönliche Eindruck bleibt um eine Komponente ärmer. Der Vorteil ist: Fernmündlich überträgt sich virusgeschützt nur die Sprache. Manchmal flutscht ein erhellender Unterton mit durch die, nun ja, Leitung, manchmal auch eine sprachliche Färbung. In Maximilian Franzrebs Fall ist es eine norddeutsche Tönung, die den Ersthörer überraschen dürfte. Franzreb ist in Bad Tölz geboren, er spielt für die Löwen, auch bekannt als "Tölzer Buam", Eishockey in der DEL 2 - und spricht wie'n Hamburger Jung?

Des Rätsels Lösung ist relativ einfach. Als Franzreb noch ein Junge war, trennten sich seine Eltern. Er blieb bei der Mutter und zog mit ihr nach Hamburg, wo er aufwuchs und jetzt gerade wieder wohnt. "Ich bin zu Haue", sagt Franzreb am Telefon. Zu Hause bedeutet für ihn Hamburg.

Sportlich ist Bad Tölz, seine Geburtsstadt, nun aber erst mal der Ort, an dem er heimisch werden soll. Im Januar wurde der Torhüter von den Löwen nachverpflichtet, weil Sinisa "Silo" Martinovic, 39, in den Augen der Verantwortlichen nicht ganz der erhoffte Rückhalt war. Franzreb, zuletzt vier Jahre bei den Eisbären Berlin unter Vertrag, startete stark mit einem 3:2-Sieg in Bietigheim und einem Shutout gleich in seinem ersten Heimspiel beim 2:0 ebenfalls gegen Bietigheim. "So stellt man sich das vor", sagt Franzreb, und sogar durchs Telefon meint man ein zufriedenes Grinsen zu spüren. In 14 Spielen stand der 23-Jährige bis zum vorzeitigen Saisonende zwischen den Pfosten, hielt 91,7 Prozent aller Schüsse, die auf sein Tor kamen und kassierte im Schnitt nur 2,39 Treffer pro Spiel. Zahlen, die Trainer Kevin Gaudet und Geschäftsführer Christian Donbeck überzeugten, dass sie mit Franzreb als neuer Nummer eins in die nächste Saison gehen wollen. "Maxi war letzte Saison hervorragend", sagt Donbeck. Zum Vergleich: Martinovic kam nur auf eine Fangquote von 87,9 Prozent und musste im Schnitt 3,28 Tore pro Partie hinnehmen. Martinovic, dreimal Meister mit Bietigheim, muss gehen.

Das neue Torhüter-Duo der Löwen ergänzt Henrik Huwer, 19, aus dem Tölzer U-20-Team, womit die Löwen auf das derzeit jüngste Gespann der Liga bauen. Ein Risiko? "Warum sollte das nicht funktionieren?", fragt Franzreb. In Weißwasser, bei den Lausitzer Füchsen, bildete er einst schon mal das jüngste Torhüterduo der DEL 2 gemeinsam mit dem in Bad Tölz ausgebildeten Konstantin Kessler. Beide waren damals 19. "Wichtig ist, dass man vom Trainer und vom Umfeld das Vertrauen bekommt. Das trägt dich durch die Saison", sagt Franzreb. Auch Donbeck ist überzeugt: "Jung, aber qualitativ super" seien die beiden Schlussmänner. "Die beiden werden sich gegenseitig pushen."

Franzreb ist sportlich beim Hamburger SV groß geworden, der mal dafür berühmt war, eine recht ordentliche Fußballmannschaft zu besitzen. Aber Eishockey? In der Tat unterhält der HSV seit mehr als 50 Jahren auch eine Eishockey-Abteilung, die aktuell in der vierten Liga spielt und zuletzt bundesweit traurige Bekanntheit erlangte, als Verteidiger Tjalf Caesar bei einem Spiel mit dem Kopf gegen die Bande schlug und einen Genickbruch erlitt. Caesar ist seitdem vom Hals abwärts gelähmt. Franzreb half, Spenden für den ehemaligen Mitspieler zu sammeln.

Mit 18 debütierte er für den Kooperationspartner des HSV, die Hamburg Freezers, in der DEL. Danach ging es, nicht unüblich für einen jungen Torhüter, hin und her - die Plätze zwischen den Pfosten sind knapp. Nach dem Aus der Freezers wechselte er zu den Eisbären nach Berlin, die ihn immer wieder leihweise nach Weißwasser schickten. In der DEL kam Franzreb in diesen vier Jahren nur zu 25 Einsätzen. Kann Tölz nun die sportliche Heimat werden, die es für ihn persönlich eigentlich nie war? "Hm, ja, wenn man spielt, warum nicht", sagt Franzreb. "Ich fühle mich wohl, das ist das Wichtigste. Aber mein Ziel bleibt auf jeden Fall die DEL." Er wolle die Leistung dieser letzten 14 Spiele über eine ganze Saison bestätigen, dann werde man weitersehen.

In Hamburg brachten ihn Mutter und Stiefvater jeden Tag zum Training. Jetzt aß er vor jedem Heimspiel bei seinem Vater Markus, ehemals Torhüter beim ECT und beim TuS Geretsried, Spaghetti Bolognese, obwohl das eigentlich die heilige Domäne von Löwen-Betreuer Ernst "Opa" Frech ist. Franzreb lacht. "Ich weiß. Aber die von meinem Vater hat auch gut geschmeckt. Und geschadet hat's auch nicht." Offensichtlich nicht.

Derzeit ist er also wieder in Hamburg und versucht sich fit zu halten. "Man kann Kraft und Ausdauer trainieren, auch die Koordination, durch Jonglieren oder ein bisschen Tennis spielen. Aber das ist schon was anderes, wenn du jeden Tag 300 oder 400 Pucks um die Ohren geschossen bekommst." Und wenn er sich aussuchen könnte, wo ihm in Zukunft die Pucks um die Ohren geschossen werden, in München zum Beispiel, wo in der vergangenen Saison Kevin Reich, 24, und Daniel Fießinger, 23, auf sich aufmerksam machen durften? "Zu München würde ich nicht Nein sagen", sagt Franzreb. Bei Red Bull ist in Christian Winkler ein ehemaliger Torhüter Managing Director, "der versteht was davon". Wieder meint man ein Grinsen zu hören. Außerdem hat Winkler eine starke emotionale Bindung zum HSV: Sein Onkel Hermann Rieger knetete einst die Beine von Felix Magath. Hat nichts zu bedeuten. Aber schaden muss es Maximilian Franzreb ja auch nicht.

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SZ vom 22.05.2020
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