Eishockey:Gestern Göteborg, heute Grafing

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„Keine leichte Situation“: Jakob Mayenschein stand Anfang Februar mit dem EHC München im Champions-League-Finale – am Freitag gastierte er mit dem SC Riessersee in der Grafinger „Scheune“. (Foto: Christian Endt)

Die Nachwuchsprofis des EHC München schießen Kooperationspartner Riessersee gegen Klostersee und Erding zum Oberliga-Klassenerhalt.

Von Fabian Dilger, Grafing

Ein Mann im mittleren Alter, blaue Mütze mit weißem Puschel, sitzt am Grafinger Bahnhof und wartet auf den Bus nach Grafing-Stadt. Kurzer Blick auf die Mütze, "SC Riessersee", Vermutung bestätigt: Ja, der große SC Riessersee ist zu Gast im kleinen Grafing, das Team aus Garmisch-Partenkirchen spielt an diesem Freitag beim EHC Klostersee. Erster gegen Vierter, das Topspiel - für den SCR leider in der falschen Liga. Weil er seinen Etat nicht decken konnte, wurde der zehnmalige deutsche Meister vor dieser Saison von der zweiten in die dritte Liga herabgestuft und muss sich nun in der Verzahnungsrunde zwischen Oberliga und Bayernliga mit Mannschaften aus Peißenberg oder Königsbrunn duellieren. "Die Saison ist halt einfach für den Arsch", konstatiert der Fan, der aus München angereist ist. Nicht wütend oder grimmig, sondern mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Es soll auch keine Kritik an der Verzahnungsrunde oder den anderen Mannschaften sein. "Lieber gegen Königsbrunn und Miesbach als gegen Crimmitschau", sagt er.

In der Verzahnungsrunde gebe es einen "Vier-Klassen-Unterschied", sagt Klostersees Trainer Quinlan

Kann ja auch Spaß machen, wenn quasi vor der eigenen Haustür gegen Teams spielt, die man fast nach Gusto beherrscht. Es ist eine ungewöhnliche Situation. Der SC Riessersee, großer Name, große Tradition, stand vor einem Jahr noch im Finale der DEL 2. Dann passierte das, was im Eishockey öfter mal passiert. Im Frühling 2018 stieg der Hauptgesellschafter aus, die alten Schulden seien zu hoch, neues Geld könne er nicht mehr bereitstellen. Riessersee begab sich in die Planinsolvenz, wurde in die dritte Liga zurückgestuft. Die Auflage: Egal welcher Platz am Ende herauskommt, Riessersee muss in die Abstiegsrunde. Nach Platz vier in der Hauptrunde jetzt also die Tour durch die bayerische Provinz. "Das Ganze ist keine einfache Situation für uns. Egal wo wir hinkommen, wir sind unter Zugzwang, wir sind der Favorit", sagt Trainer George Kink. Es ist für viele Klubs das Spiel des Jahres, wenn der SCR zu Gast ist. Letztens in Peißenberg fuhren die Hausherren sogar eine Blaskapelle auf. Sportlich besteht kaum Gefahr, sich zu blamieren, bislang pflügt Garmisch unbeschadet durch die Verzahnungsrunde. Gegen Klostersee gewinnt der Favorit 4:0, zwei Tage später folgt ein 9:1 gegen die Erding Gladiators. Vier Spieltage vor Schluss hat der SCR den Klassenerhalt sicher.

Eigentlich ist Garmisch viel zu gut für diese Runde. Einen "Vier-Klassen-Unterschied" hat Dominik Quinlan ausgemacht, der Trainer des EHC Klostersee, zwischen seinem Amateurteam und dem SCR, der mit dem EHC Red Bull München kooperiert. Der deutsche Meister stattet seine größten Talente mit Förderlizenzen aus, Spieler wie Emil Quaas, Hagen Kaisler oder Jakob Mayenschein. Der 21-Jährige stand Anfang Februar im Champions-League-Finale von Göteborg und hat mehr als 30 DEL-Spiele gemacht. Gegen Grafing spielt er in der zweiten Sturmreihe zusammen mit seinem Münchner Teamkollegen Tobias Eder, der nach einer Schulterverletzung Spielpraxis sammeln soll.

Es dauert ein bisschen, bis sich der Klassenunterschied bemerkbar macht. Die ersten elf Minuten hält Klostersee gut dagegen, bis Daniel Reichert zum 0:1 trifft. Danach haben die Grafinger nichts mehr zu bestellen, was auch daran liegt, dass Topscorer Bob Wren nach zehn Minuten vom Eis muss. Verdacht auf Unterarmbruch. Nach einem Schuss von Eder staubt Mayenschein im Powerplay zum 0:2 (19.) ab. Später schießt er noch das 0:3 (25.), legt zum 0:4 (43.) auf und wird mit drei Punkten der beste Scorer des Abends sein.

"Es passieren ab und zu ein paar wildere Sachen", sagt Mayenschein nach dem Spiel zum Thema Verzahnungsrunde. Einen großen Unterschied zur Hauptrunde sieht er aber nicht. "Die meisten Teams stehen genauso hinten drin wie die anderen in der Oberliga." Im Herbst hat Mayenschein in der Champions League das Siegtor gegen Malmö geschossen, 0,8 Sekunden vor Schluss. In der Grafinger "Scheune" spielt er nun vor 610 Zuschauern. Klar sei man motivierter auf der großen Bühne, sagt Mayenschein. Aber wenn das Rampenlicht nicht so hell ist, muss man sich eben selbst motivieren: "Das ist eine Aufgabe, die man mental lösen muss."

Die letzten 20 Minuten der Partie zerfasern, viele Strafen gegen beide Teams stören den Spielfluss. Über die Spieldauerdisziplinarstrafe gegen den Grafinger Nicolai Quinlan wegen eines Bandenchecks sind sich die beiden Trainer nachher uneins, einmütig beurteilen sie aber die Schiedsrichterleistung. Während und nach dem Spiel wird heftigst geflucht, die Klage über die Unparteiischen begleitet die gesamte Verzahnungsrunde. "Der Verband hat nichts Besseres, und von daher müssen wir damit leben", sagt Quinlan. "Ich wünsche mir einfach, dass ein paar ehemalige Spieler mehr Schiri machen." (In der DEL, wo ehemalige Profis wie Lasse Kopitz und Lars Brüggemann am Werk sind, ändert das freilich nichts an der Unzufriedenheit, aber das nur nebenbei.)

Im Stadionstüberl läuft nach dem Spiel der Videotext, Tafel 278. Der EHC Klostersee hat immer noch Chancen auf einen Aufstiegsplatz. Ob sie überhaupt hoch wollen in die Oberliga, ist freilich eine andere Frage. Michael Schunda, zweiter Vorsitzender des EHC, sagt: "Wir fahren definitiv kein finanzielles Harakiri." In der Oberliga wäre das Vier- bis Fünffache des aktuellen Budgets notwendig. Und schließlich hat Klostersee erst vor drei Jahren den Rückzug aus der Oberliga angetreten, weil dem EHC die Insolvenz drohte.

Jakob Mayenschein und der SC Riessersee steigen nach dem Spiel alsbald in den Bus, dem nächsten Kantersieg entgegen. In seinen Händen hält er die Auszeichnung als "Man of the Match", eine Erinnerung an diese Verzahnungsrunde: ein Sixpack Grafinger Bier.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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