Eishockey:Eng wie eine Röhrenjeans

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Der EHC München und Bremerhaven lassen einander keine Luft zum Atmen. Am Ende setzt sich der DEL-Tabellenführer 2:1 durch und baut seinen Vorsprung vor dem Spitzenspiel in Mannheim auf acht Punkte aus.

Von Johannes Schnitzler

Eigentlich hätte es der Abend des Daryl Boyle sein sollen. Der Verteidiger, seit 2014 beim EHC Red Bull München, bestritt am Freitagabend sein 500. Spiel in der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Weil es aber unüblich ist, einen Jubilar vor fremdem Publikum zu ehren (und eventuellen Respektlosigkeiten der gegnerischen Fans auszusetzen), und Boyle so spielte, wie er immer spielt, unauffällig und praktisch fehlerlos, gehörte die Aufmerksamkeit anderen: Yannic Seidenberg zum Beispiel. Der wird zwar erst am Dienstag in Mannheim sein dann sogar schon 1000. Spiel absolvieren (und darf dort als ehemaliger Mannheimer auf einen freundlichen Empfang hoffen). Mit zwei Toren zum 4:2 bei den Iserlohn Roosters feierte der 36-Jährige aber schon mal ein bisschen vor. Die Ehrung für Boyle holten die Münchner am Sonntag nach, vor dem Heimspiel des Tabellenführers gegen die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven. Boyle erhielt das obligatorische Trikot mit der "500" darauf und ein paar warme Worte von Manager Christian Winkler.

Der EHC kann aus nichts ein Tor machen. Dieses Nichts nutzt Trevor Parkes zum Siegtreffer

So feierlich sollte es am "Familientag" im Olympiapark nicht weitergehen. Nach einer über weite Strecken zähen Partie gewann der EHC vor 5390 Zuschauern 2:1 (1:1, 1:0, 0:0). Das Team von Don Jackson sicherte sich damit vor dem Spitzenspiel am Dienstag in Mannheim (das in Berlin nach Verlängerung 3:4 verlor) acht Punkte Vorsprung auf den Meister und mit 99 Punkten nach 45 Spieltagen bereits das Heimrecht für das Playoff-Viertelfinale.

Als Tabellenfünfter vor diesem 45. Spieltag hatte Bremerhaven erstmals die direkte Viertelfinalqualifikation in Aussicht, noch nie seit ihrem Aufstieg in die DEL vor vier Jahren hatten die Pinguine zu diesem Zeitpunkt der Saison mehr Punkte gesammelt. Am Freitag allerdings waren sie in ihrem ersten Match nach der Länderspielpause böse unter die Räder gekommen: 2:6 verlor die Mannschaft von Trainer Thomas Popiesch zu Hause gegen Augsburg, und wenn man Popiesch sah, wie er auf der Bank immer wieder durchschnaufte, konnte man den Eindruck gewinnen, der 54-Jährige wäre unzufrieden. Hinterher mochte er seinen Spielen aber "keinen Vorwurf" machen, sie hätten nicht viel falsch gemacht. "Jetzt heißt es: Mund abputzen, klaren Kopf behalten und dann am Sonntag weitermachen." Im Tor der Pinguine stand diesmal allerdings der Lette Kristers Gudlevskis für Tomas Pöpperle, der am Freitag bei seinem ersten Einsatz seit November ein unglückliches Comeback erlebte. Beim EHC parkte wie zuletzt Daniel Fießinger zwischen den Pfosten ein.

Ganz schön strecken mussten sich Trevor Parkes, rechts gegen Alex Friesen und Ross Mauermann (v.l.), für die drei Punkte gegen die Pinguine. (Foto: Markus Fischer/imago images/Passion2Press)

Schon nach vier Minuten kam es zum ersten Vergleich der Special Teams: Weil Bremerhavens Luca Gläser auf die Strafbank musste, trat das beste Powerplay der DEL - kein Team hat mehr Überzahltore geschossen als München (42) - gegen die wehrhaftesten Defensive an: Die Pinguine sind mit acht Strafminuten pro Spiel nicht nur die fairste Mannschaft, sie bleiben in 85 Prozent aller Fälle auch ohne Gegentor. Die zwei Minuten gegen Gläser endeten ohne einen einzigen Münchner Torschuss, dafür traf Ross Mauermann bei einem Bremerhavener Konter den Pfosten.

Im zweiten Anlauf machte Mauermann es besser, luchste Maximilian Kastner den Puck ab und schob ihn Fießinger zum 1:0 für die Gäste durch die Beine (10.).

Statistisch blieben dem EHC noch drei Überzahlspiele übrig. Das zweite ergab sich in der 14. Minute, als Stanislav Dietz in die Kühlbox musste. Und es dauerte gerade einmal 24 Sekunden, bis Mark Voakes mit einem mächtigen Schlagschuss aus kurzer Distanz zum 1:1 ausglich.

Bremerhaven putzte sich den Mund ab, behielt klaren Kopf und machte weiter. Justin Feser hätte die Gäste allein vor dem Tor wieder in Führung bringen können, doch Fießinger war auf dem Posten (17.). Die Gäste blieben ihrem Matchplan treu, hielten München weitgehend von ihrem Drittel fern und somit die Zahl der Schüsse auf ihr Tor niedrig. Allerdings ist der EHC dank seiner individuellen Qualität in der Lage, jederzeit auch aus nichts ein Tor zu machen. Dieses Nichts nutzte Trevor Parkes nach einer Unachtsamkeit von Stefan Espeland zu seinem 24. Saisontreffer (25.).

Frustrierender Faktor: 32 von 33 Schüssen auf sein Tor wehrte Daniel Fießinger gegen Bremerhaven ab. „Da können wir uns bei ihm bedanken“, sagte Teamkollege Frank Mauer. (Foto: Markus Fischer/imago images/Passion2Press)

Dieses 2:1 schien Wirkung zu zeigen. Direkt danach leistete sich Will Weber eine unmotivierte Strafzeit, Bremerhavens dritte bereits. Doch wieder hatte Mauermann die Konterchance (28.) - und vergab abermals. Der EHC erhöhte den Druck, aber die Pinguine würgten jeden Spielfluss ab, so gut sie konnten, und starteten, wann immer sie konnten, zu überfallartigen Gegenstößen. Wieder war es Mauermann, der Chance zum Ausgleich hatte. Wieder konnte er sie nicht nutzen (37.). Auch Verlic und Friesen (39.) scheiterten an Fießinger. "Bremerhaven macht uns viel Druck. Sie schauen, dass sie die Scheiben schnell raus bringen, und lauern auf Konter", analysierte Münchens Emil Quaas die Situation zur zweiten Pause. Die Frage war: Wie das Bremerhavener Bollwerk überwinden?

Ein Mal rutscht der Puck noch Daniel Fießinger durch die Beine - aber nicht über die Linie

Es waren dann aber nicht ganz überraschend die Gäste, die im letzten Drittel zunächst attackierten. Und sie jubelten bereits, als der Puck Fießinger ein Mal durch die Schoner rutschte - aber eben nicht über die Linie, wie der Videobeweis einwandfrei ergab (47.). Immer mehr entwickelte sich Fießinger zum frustrierenden Faktor für die Pinguine. Auch den Versuch von Patrick Joseph Alber (48.) stoppte der 23-Jährige. Das Spiel blieb eng wie eine Röhrenjeans, beide Teams ließen einander keine Luft zum Atmen. "Bremerhaven spielt super unangenehm", sagte Münchens Frank Mauer nach der Partie. "Das wussten wir aber vorher." Was sie vorher nicht wissen konnten: Es blieb beim 2:1. "Da können wir uns bei Fießi bedanken."

© SZ vom 17.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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