Einradfahren:Königin auf einem Rad

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Außerirdische auf Schienen: Ana Schrödinger gewinnt in Südkorea auch Gold im "Rail Race". (Foto: Privat)

Ana Schrödinger gewinnt bei der WM in Südkorea viermal Gold. Sie ist ihre eigene Trainerin, ihre Erfolgsstrategie hält sie geheim.

Von Sebastian Winter, München

Ana Schrödinger hat solche Temperaturen um die 20 Grad, wie sie zurzeit in Helsinki herrschen, geradezu herbeigesehnt. In Finnlands Hauptstadt hatte die Münchnerin am Montag noch einen Zwischenstopp auf der Heimreise von Südkorea in ihre Heimatstadt eingelegt, der Flugplan wollte es so. Aber die Energie, sich die Stadt anzuschauen, hatte sie dann doch nicht mehr, zu zehrend waren die vergangenen Wochen in Asien gewesen, der Jetlag, die Hitze, die hohe Luftfeuchtigkeit. Und so konnte sie in ihrem Hotelzimmer noch einmal diese vier Goldmedaillen betrachten, die sie in ihrem Koffer verstaut hatte.

Die Einradfahrerin Schrödinger hat nicht nur zehrende, sondern auch überaus erfolgreiche Wochen hinter sich. Vier Titel gewann sie bei der Weltmeisterschaft in Ansan, nicht weit entfernt von Seoul, bei der 1076 Athleten am Start waren. In einem Sport, der in Deutschland kaum wahrgenommen wird, aber in Asien große Popularität genießt. Die weltweit beste Einrad-Frau ist aber keine Asiatin, sondern Ana Schrödinger. Vier Titel sind aber auch der Lehramtsstudentin bei ihren bisherigen Weltmeisterschaften noch nicht geglückt.

Im "Stillstand", wo man möglichst lange mit seinem Rad auf einem zehn Zentimeter breiten und 25 Zentimeter langen Brett verharren muss, schaffte Schrödinger eine Zeit von 35:12 Minuten - und lag damit fast 30 Minuten vor der zweitplatzierten Französin Fanny Riom. Ohnehin hält sie in dieser Disziplin den Fabel-Weltrekord von fast zwei Stunden. Im "langsam vorwärts" und "langsam rückwärts", wo die Kunst darin besteht, möglichst langsam über ein zehn Meter langes, sehr schmales Brett zu fahren, verteidigte Schrödinger ebenfalls ihren Titel - obwohl die Athletin im Ansan-Wa-Stadion extrem von der untergehenden Sonne geblendet wurde.

Den vierten Titel sicherte sich Schrödinger schließlich im neu ins Programm aufgenommenen "Rail Race", bei dem auf einem Bahngleis 50 Meter so schnell wie möglich zurückgelegt werden müssen. Die Schiene, schon das würde Laien wohl abschrecken, ist dabei schmaler als der Reifen des Einrades. Schauplatz des Wettkampfes war ein stillgelegtes, ziemlich krummes Gleis aus dem vorletzten Jahrhundert, dessen Schienenoberfläche auch noch gewölbt war. Eine Herausforderung, bei der Schrödinger als einzige Frau ins Ziel kam - ihre 42,89 Sekunden sind damit ebenfalls ein Weltrekord. Ihr dürfte dabei sehr geholfen haben, dass sie ab und an auf einem stillgelegten Gleis in der Heimat übt. "Die größte Herausforderung war das physische und mentale Ressourcenmanagement", sagte Schrödinger, die drei der vier Gold-Wettkämpfe an einem Tag bestritt.

Bei der WM war sie fast schon ein Star, schrieb dutzendfach Autogramme, machte Selfies mit Südkoreas Nachwuchs. Für die Asiaten ist Schrödinger tatsächlich ein großes Vorbild, ihr Stillstand-Weltrekord gilt als Grundlage für den Aufbau eines speziellen südkoreanischen Einrad-Kaders in dieser Disziplin. In französischen Medien wird sie schon mal als Allemande extraterrestre, bezeichnet, als außerirdische Deutsche, an der Fanny Riom einfach nicht vorbeikommt. Vielleicht auch, weil Schrödinger das Geheimnis ihres Erfolgs, die Trainingsstrategie, nicht preisgibt. Sie ist in jedem Fall ihre eigene Trainerin, Unterstützung von außen bekommt sie außer von der Familie vor allem von der Sporthilfe, die ihr finanziell unter die Arme greift. So musste sie auch für die Reise nach Südkorea nicht viel Geld selbst zahlen.

Die nächste WM ist 2020 in Italien, dort möchte Schrödinger natürlich wieder all ihre Titel verteidigen. Danach hat sie Langstreckenrennen im Sinn, den Marathon oder 100-Kilometer-Rennen. Auf einem Rad natürlich.

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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