Süddeutsche Zeitung

EHC München in der Krise:"Bei uns ist Gift und Galle im Bauch"

Eishockey-Nationalspieler Frank Mauer war dreimal mit dem EHC Red Bull München deutscher Meister. Nach dem 4:5 gegen Mannheim spricht der Stürmer über die Krise seines Klubs und eine nicht gekannte Unsicherheit im Team.

Interview von Christian Bernhard

SZ: Herr Mauer, wie war nach dem Mannheim-Spiel die Stimmung in der EHC-Kabine?

Frank Mauer: Es hat gequalmt.

Der EHC ist mit einem 1:5-Rückstand ins letzte Drittel gegangen und hat sich in der Schlussphase noch einmal auf 4:5 herangekämpft.

In der letzten Drittelpause haben wir uns gesagt, es ist egal, wie es steht, wir geben nicht auf, wir spielen unser Spiel und im Vordergrund steht, wie wir uns jetzt hier rausziehen. Wenn man also die letzten 20 Minuten als Maßstab nimmt, haben wir beschlossen, in welche Richtung die Nummer laufen soll.

Woran hapert es im Moment?

Im Großen und Ganzen stehen wir uns gerade selbst auf den Füßen. Es ist generell ziemlich frustrierend, wie es momentan läuft. In den Jahren, seitdem ich hier bin (seit Herbst 2015, d. Red.), habe ich das erste Mal das Gefühl, dass wir ein bisschen unsicher sind. Es sind momentan ein paar Fragezeichen da. Trainer Don Jackson sagte am Freitag, dass Mannheim die Details besser spielt. Das hat uns die vergangenen Jahre immer ausgezeichnet, da waren wir vielen Teams überlegen. Das fehlt uns im Moment. Diese unwahrscheinliche Konstanz, die wir über lange Phasen hatten, die suchen wir gerade. Es liegt aber an uns, das zu beheben. Wir haben am Freitag eigentlich gar nicht so schlecht gespielt, aber Mannheim war unheimlich effizient, das hat uns ein bisschen den Zahn gezogen. Ich denke, wir haben jetzt noch einiges zu tun und zu analysieren, damit wir unseren Swag, wie wir es nennen, zurückkriegen.

Ist diese Unsicherheit eine mentale Sache, eine Frage der Konzentration?

Wir sind lange genug dabei und waren die Jahre über ja auch immer sehr erfolgreich. Das ist jetzt das erste Jahr, in dem wir uns richtig schwer tun. Da müssen wir uns selbst wieder rausholen. Wir müssen wieder an einem Strang ziehen.

Der EHC hat in dieser Saison alle fünf Duelle gegen Mannheim und den ERC Ingolstadt, die in der Süd-Gruppen-Tabelle vor Ihnen liegen, verloren. Das kannte man in den vergangenen Jahren so nicht. Beunruhigt Sie das?

Ich sage es mal auf gut deutsch: Es kotzt uns an - weil wir das nicht kennen. Das kratzt natürlich auch an der Ehre, das muss man ganz klar sagen. Die Duelle gegen Mannheim sind Prestigeduelle, beide Teams wollen die Besten sein, da gibt es nichts zu verschenken. Es kann aber auch wichtig für eine Mannschaft sein, diese Erfahrungen zu sammeln, und sich zu sagen: Hey, es läuft nicht jedes Jahr so, wie du es willst. Du musst auch mal durch so eine Phase gehen. Letztes Jahr haben wir vom zweiten bis letzten Hauptrundenspieltag die Tabelle angeführt, da spielte uns vieles in die Karten. Da haben wir auch Spiele gewonnen, die wir vielleicht hätten verlieren sollen. Und jetzt ist es aktuell so, dass wir uns auch schwer tun, die schwierigen Spiele zu gewinnen.

Sie haben auch viele Verletzte.

Mannheim fehlen auch viele Spieler, aber sie finden immer einen Weg zu gewinnen oder zu punkten. Die spielen ihren Stiefel, machen ihr Ding - und es funktioniert. Das gibt dir ein gutes Gefühl. Je mehr du gewinnst, umso selbstverständlicher wird es. Das war für uns jahrelang völlig normal. Jetzt ist es zum ersten Mal eine Situation, in der wir uns wieder zusammenreißen müssen. Aber wir können das, davon bin ich zu 100 Prozent überzeugt. Wir haben gute Spieler und die richtigen Trainer, wir werden eine Lösung finden. Da müssen wir jetzt einfach durch, die Arschbacken zusammenkneifen und uns herausarbeiten.

Ebenfalls ungewöhnlich sind die vielen Gegentore, die der EHC in dieser Saison kassiert. Woran liegt das?

Wenn es immer so leicht wäre, das zu benennen. Wir können es uns selbst nicht erklären: Wir machen Videoanalyse, wir arbeiten an den richtigen Dingen, wir reden miteinander, wir wollen. Bei uns fängt die Verteidigung immer an, sobald wir den Puck nicht haben. Und in den letzten Jahren waren wir immer sehr dominant im Forechecking. Im Moment ist es mal ein verlorener Zweikampf da, mal laufen wir nicht mit, und auf einmal geben wir Chancen ab, die wir sonst nie abgeben. Wenn wir wie in dieser Saison zuhause viermal fünf Gegentore oder mehr fressen, dann ist natürlich bei uns auch Gift und Galle im Bauch. Nach dem 1:5 am Freitag habe ich hoch zum Videowürfel geguckt und mir gesagt: Das gibt es nicht. Es arbeitet schon in uns, aber da musst du einen kühlen Kopf bewahren und nicht anfangen, alles zu überanalysieren.

Was muss jetzt passieren?

Die richtigen Dinge ansprechen. Kopf runter, ackern und los geht's. Schnell spielen, das hat uns immer ausgemacht, aggressiv spielen. Wir schießen viele Tore, die meisten in der Liga. Wenn wir die Defensive wieder besser in den Griff kriegen, wo wir sonst immer sehr gut waren, dann sind wir okay. Ich sehe das als Möglichkeit, für uns als Mannschaft zu wachsen. Vielleicht ist es das, was wir jetzt benötigen, um nochmal zu sagen: Hey, die Jahre zuvor waren super, aber es ist nicht selbstverständlich, dass es so läuft, wie es lief. Uns fällt eben nichts in den Schoß.

Und was stimmt Sie positiv?

Keiner in der Kabine ist zufrieden damit, wie es aktuell läuft. Das ist das Wichtigste. Ich kenne die Jungs gut, wir sind alle extrem ehrgeizig. Es ist für uns eine Frage der Ehre, dass wir für uns selbst einstehen und da rauskommen. Mit Situationen umzugehen, die einem mal nicht so schmecken, das ist ein Reifeprozess, aus dem wir noch mal was lernen können. Wenn wir da rauskommen, bin ich mir sicher, dass wir langfristig wieder sehr erfolgreich spielen werden.

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