Süddeutsche Zeitung

Deutsches Abschneiden:Abgerutscht

Für die meisten Deutschen stellt die Qualifikationsrunde beim Weltcup in München ein zu großes Hindernis dar.

Von Elena Bruckner

Die Hände an den ersten Griff, noch ein Blick um die Ecke der Kletterwand: Sind da noch mehr Griffe? Ein letztes Mal Magnesium auf den Händen verteilen, noch mal ein konzentrierter Blick zur Wand - dann macht sich Leonie Lochner an den Aufstieg der zweiten Wand in der Qualifikationsrunde des Boulder-Weltcups im Olympiastadion. Mit viel Schwung schafft sie es bis zu dem runden, schwer zu fassenden Griff auf halber Höhe, der schon einigen Athletinnen vor ihr Probleme bereitet hat, da rutscht sie ab.

Kurze Wartezeit, während ein Helfer die Griffe abfegt, noch einmal die Route im Kopf durchgehen. Ein Piepton zeigt an: Noch eine Minute! Lochner probiert es erneut, vom Publikum, ihrer Familie, ihren Freunden angefeuert, rutscht wieder ab. Am ersten Boulder hatte sie sich im dritten Versuch zum obersten Griff, dem Top, hochgezogen, beim zweiten muss sie sich mit der Zone - dem Griff auf halber Höhe, der immerhin eine Teilwertung einbringt - zufrieden geben.

Vor mehreren tausend Zuschauern in ihrer Heimatstadt zu klettern, ist für Lochner trotz ihres jungen Alters noch nicht einmal wirklich mehr etwas Neues. Schon 2016 und 2017 war sie beim Heim-Weltcup Teil des Kaders des Deutschen Alpenvereins (DAV). Eine tolle Erfahrung ist es aber auch noch beim dritten Mal: "Das ist mit der beste Weltcup, die Stimmung ist immer mega gut", sagt sie, nachdem sie nach dem fünften und letzten Boulder ihre Kletterschuhe im Rucksack verstaut und ihr Handy, das sie wie alle Teilnehmer vor dem Wettkampf abgeben musste, aus dem Briefumschlag geholt hat.

Am Ende der Qualifikation stehen für die 18-jährige Münchnerin ein Top und vier Zonen zu Buche, für das Halbfinale reicht es damit nicht. "Es hätte schon noch ein bisschen besser sein können. Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden, aber irgendwas ist ja immer verbesserungswürdig", sagt Lochner. Am schwersten sei übrigens der vierte Boulder gewesen, der einzige, an dem sie es nicht einmal zur Zone geschafft hatte. Kein Wunder, hatte doch als einzige die Seriensiegerin dieser Weltcupsaison, Janja Garnbret, diese Wand, die mit dem größten Überhang und den großen, runden Griffen, mit viel Mühe gemeistert. So kam die Slowenin auch als einzige mit einer perfekten Qualifikation - fünf Mal zum Top - ins Halbfinale.

Weniger glatt lief es für Alma Bestvater und Afra Hönig, die vor dem Wettkampf als die aussichtsreichsten Kandidatinnen des DAV galten. Bestvater, die seit Januar Teil des Olympia-Fokusteams ist, erwischte mit drei Tops einen guten Start, erreichte das vierte wie viele nach ihr nicht und bekam auch an der fünften Wand trotz eines beherzten Sprungs Sekunden vor Schluss das Top nicht zu fassen.

Danach musste sie zusehen, wie sie in der Wertung ihrer Gruppe immer weiter durchgereicht wurde. Zuerst verdrängten sie die starken Sloweninnen Mia Krampl und Vita Lukan auf den zehnten Platz, den letzten, der zur Teilnahme am Halbfinale berechtigt, und schließlich kletterte auch die Italienerin Camilla Moroni zum vierten Mal ganz nach oben - das bedeutete den Platz elf und keine Chance mehr aufs Halbfinale für Bestvater.

Auch Hönig, die derzeit als Deutschlands beste Boulder-Athletin gilt, musste um ihren Einzug ins Halbfinale zittern. In ihrer Gruppe war die Leistungsdichte etwas geringer, so reichte ein zehnter Platz mit zwei Tops und vier Zonen gerade noch - während in der anderen Gruppe gleich acht Athletinnen mit drei Tops ausschieden.

Bei den Männern schaffte es der einzige Teilnehmer aus München, Alexander Averdunk, ebenfalls nicht über die Qualifikation hinaus. Mit zwei vollständig gekletterten Bouldern und drei Zonen landete der 21-Jährige in seiner Gruppe auf Rang 19, zwischen seinen Teamkollegen Max Kleesattel und Kim Marschner - aus deutscher Sicht hätten es gerne je zehn Plätze höher sein dürfen. "Ein paar haben das Halbfinale echt knapp verpasst, da hätten wir uns gewünscht, dass sie das schaffen", bilanzierte DAV-Sportdirektor Martin Veith.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2019
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