Deutsche Eishockey-Liga:Missionarssohn mit Kriegsbemalung

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Richie Regehr gehört zu einer seltenen Spezies von Verteidigern - mannschaftsdienlich und torgefährlich zugleich. Der EHC München scheint gut investiert zu haben: Im Team ist der Kanadier "ein absolutes Vorbild". Nur in seiner Familie ist er lediglich die Nummer zwei

Von Christian Bernhard, München

Eishockey kann sehr einfach sein: Scheibe an die blaue Linie, Schlagschuss, Tor. Um dieses scheinbar simple Prinzip umzusetzen, braucht es allerdings: einen Spieler, der hart und präzise schießen kann und dazu noch ein Auge für seine Mitspieler hat. Solche Spieler ausfindig zu machen, ist eigentlich nicht so schwer, sie ragen aus der Masse heraus. Allerdings sind sie, wie alle seltenen Dinge, teuer.

Nun ist der EHC München seit der Übernahme durch Red Bull etwas flüssiger als vorher. Und er hat sein Geld offenbar klug investiert - klüger zumindest als noch im Jahr davor. Der EHC hat sich zum Beispiel einen 31-jährigen gebürtigen Indonesier geholt. Indo-was? Na gut, Richie Regehr ist natürlich Kanadier. Aber der Reihe nach.

Wenn Regehrs Agent kurzfristig ein Highlight-Video seines Mandanten bräuchte, könnte er die Aufzeichnung des Spiels vom Sonntag einreichen. Der EHC tat sich schwer gegen defensiv disziplinierte Straubinger, die Niederbayern ließen kaum Chancen zu. Was tun? Ganz einfach: Scheibe zu Regehr. Erst traf der Kanadier bei zwei Mann Überzahl mit einem Schuss unter die Latte selbst, dann - wieder im Powerplay - passte er die Scheibe so zu Mads Christensen, dass der Däne sie zwei Minuten vor Spielschluss zum 2:1-Endstand ablenken konnte. "Ich habe Mads und Wolfi (Michael Wolf, d. Red.) vor dem Tor gesehen und geschossen, damit sie abfälschen können", schilderte Regehr die Szene. So einfach ist das also.

Kein Verteidiger in der DEL hat öfter getroffen als Regehr (vier Tore), nur Mannheims Danny Richmond (der vergangene Saison noch in München spielte) hat mehr Punkte (13). Damit ist Regehr (11) Münchens zweitbester Scorer. Schuld daran ist auch das System von EHC-Trainer Don Jackson, bei dem die Verteidiger viele Offensivaufgaben übernehmen. Auch Florian Kettemer und Daryl Boyle haben schon je acht Scorerpunkte gesammelt, Kettemer sagt: "Es ist das offensivste System, das ich je gespielt habe." Durch die seit dieser Saison größeren Angriffszonen kommt Distanzschüssen von der blauen Linie noch größere Bedeutung zu, die meisten Teams riegeln in Unterzahl erst einmal das eigene Tor ab. Dadurch haben die sogenannten Blueliner mehr Raum und Zeit. Regehr ist wie geschaffen dafür, diese Raum-Zeit-Komponente zu nutzen: Vor dem Saisonstart bat der EHC seine Spieler bei einem Showtraining zum Schusswettbewerb. Regehr beschleunigte den Hartgummi auf 160 km/h - einsame Spitze. Dabei deutete zunächst wenig darauf hin, dass der kleine Richie eines Tages Eishockeyprofi werden sollte.

Der Scharfschütze, der aus dem Dschungel kam: Richie Regehr justiert sein Präzisionswerkzeug. (Foto: Eibner/Imago)

Regehrs Eltern waren als christliche Missionare in der Welt unterwegs; als er geboren wurde, lebten sie gerade im Dschungel von Indonesien. "Mein Vater zeigte den Menschen, wie man Felder bestellt, Wasser umleitet, eine Kanalisation anlegt. Meine Mutter arbeitete als Krankenschwester", erzählt Regehr. Als er vier Jahre alt war, zog seine Familie aus dem indonesischen Dschungel ins kanadische Saskatchewan, eine ziemlich ruhige Gegend. "Es gibt nicht viele Menschen dort", sagt Regehr. "Ich lebe an einem See, trainiere am Morgen und fahre dann mit dem Boot zum Fischen raus." Wenn der Kanadier den Puck wieder einmal ins Netz katapultiert hat, sagt er: "Das Tor hat dem Team gut getan." Fragt man ihn nach seiner Rolle im Team, antwortet er: "Ich bin ein Powerplay-Guy." Regehr steht nicht gern im Mittelpunkt. Er sei eben ein ruhiger Typ, sagt Teamkollege Alexander Barta, "er lässt Taten sprechen". Und er verwandelt sich auf dem Eis. Don Jackson sagt, Regehr trage "immer die Kriegsbemalung im Gesicht".

Jackson kennt Regehr lange und gut. Dreimal gewannen sie zwischen 2008 und 2012 zusammen mit den Eisbären Berlin die deutsche Meisterschaft, zudem holten sie 2011 die European Trophy. Und trotzdem ist Richie Regehr nur die Nummer zwei in der Eishockey-Familie Regehr. Sein Bruder Robyn, drei Jahre vor ihm in Brasilien zur Welt gekommen, gewann 2014 mit den Los Angeles Kings den Stanley Cup - für Richie "das unvergesslichste Erlebnis" überhaupt. Er erlebte den größten Erfolg, den ein Eishockeyspieler erringen kann, hautnah mit, lebte zwei Monate bei seinem großen Bruder in Kalifornien. Die Freude über den Titel war so groß, dass selbst seine Eltern, die keinen Alkohol trinken und Kneipen meiden, bis drei Uhr morgens mitfeierten, "so emotional war das".

Um den Stanley Cup wird Richie Regehr mit dem EHC nicht spielen. Mit seiner Erfahrung und Einstellung ist er aber einer der Schlüsselspieler bei der Jagd nach dem DEL-Titel. Barta schwärmt, wenn er über den Teamkollegen, der 20 NHL-Partien für die Calgary Flames bestritten hat, spricht. "Er ist der Erste in der Kabine und der Letzte, der geht", betont Barta, "ein absolutes Vorbild." Das Wissen, alles gegeben zu haben und den Lohn für seine Arbeit einzufahren, lässt Regehr eine "tiefe innere Befriedigung" verspüren. "So will ich leben", sagt er, "nur so will ich Erfolg haben." Die guten Dinge können so einfach sein.

© SZ vom 21.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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