Boxen:Rückkehr und Aufbruch

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Nach dreieinhalb Jahren boxt der Münchner Robin Krasniqi wieder in seiner Heimat - im EM-Kampf gegen Stanislaw Kashtanow.

Von Benedikt Warmbrunn, München

In der Nacht auf den Sonntag wird Robin Krasniqi lange mit seiner Familie und seinen Freunden zusammensitzen, es gibt viel zu besprechen nach langen Monaten der Trennung, und weil es so viel zu besprechen gibt, wird vor dem Frühstück keine Zeit für Schlaf bleiben. Nach dem Frühstück, das hat sich Krasniqi als höflicher Mensch vorgenommen, wird er jeden Einzelnen verabschieden, und weil auch dabei einiges bequatscht werden muss, wird es sich bis in den Mittag ziehen. Am Nachmittag wird Krasniqi sich ins Bett legen, dann werden die Schmerzen sich langsam durchsetzen, und diese unendliche Erschöpfung nach langen Monaten der Qual. Er wird sich aber, auch das hat Krasniqi sich vorgenommen, hinlegen als neuer Europameister im Supermittelgewicht.

An diesem Samstag boxt Robin Krasniqi, 31, geboren in Junik im Kosovo, aufgewachsen in München, erstmals seit knapp dreieinhalb Jahren wieder in seiner Heimat. Der Kampf in Bad Tölz gegen den zwei Jahre älteren Russen Stanislaw Kashtanow wird für Krasniqi eine Rückkehr zu seinen Wurzeln; in München und im Umland stand er vor nicht ganz eineinhalb Jahrzehnten erstmals als Preisboxer im Ring, er verstand fast kein Deutsch, und er wusste auch nicht wirklich, was er als Boxer zu tun habe. Dass er nun um die EM boxt, dazu gegen einen Mann, der zweimal vergeblich um die WM gekämpft hat, ist für ihn ein Zeichen, dass er viel erreicht hat. Der Kampf in Bad Tölz ist für Krasniqi aber auch ein Aufbruch.

Krasniqi war immer akkurat vorbereitet - aber in der Hektik fehlte ihm manchmal die Ruhe

"Ich bin sehr hungrig. Ich werde nicht ruhen, bis ich an mein Ziel gekommen bin. Etwas anderes als das Erfüllen all meiner Träume werde ich nicht akzeptieren können", sagt Krasniqi. Der Kampf in Bad Tölz wird der 53. in seiner Karriere, fünf Duelle hat er bisher verloren, davon zwei um die WM, 2013 gegen Nathan Clevery sowie 2015 gegen Jürgen Brähmer. Die bitterste Niederlage jedoch war die im April 2017 gegen Arthur Abraham. Krasniqi fühlte sich vor dem ersten Gong stärker als je zuvor. Als er im Ring stand, erkannte er sich selbst nicht mehr, er verfiel in schwere Zweifel. "Ich habe brutal gelitten", sagt Krasniqi, "aber das war mir eine Lehre. Ich hoffe, dass meine Zeit jetzt gekommen ist."

Es gibt Boxer, die haben sofort ein Gespür für den richtigen Moment, die folgen einem Instinkt, die entdecken erst in der größten Hektik die Ruhe in sich. Krasniqi dagegen war immer einer, der sich akkurat vorbereitet hatte, der erst dann ruhte, wenn er wusste, dass er im Vorfeld auch wirklich nichts unversucht gelassen hatte. In der Hektik im Ring fehlte ihm dann manchmal die Ruhe, gerade in Momenten, auf die er sich nicht vorbereiten konnte, zum Beispiel auf die Schlitzohrigkeit eines Abraham. "Alles, was ich bisher geschafft habe, habe ich meinem Fleiß zu verdanken", sagt Krasniqi, "aber erst in den vergangenen Monaten bin ich als Boxer richtig erwachsen geworden. Ich bin viel schlauer geworden, und das kannst du nicht trainieren, das kommt über die Jahre dazu." Schlau sein, das weiß Krasniqi schon jetzt, bedeutet etwa, Kashtanows linke Hand aus dem Kampf zu nehmen, jene linke Hand, mit der dieser so hart zuschlagen kann, am liebsten auf die Leber. Mit dieser Schläue kann Krasniqi das eine Vorhaben, den Gewinn des Europameistertitels, vielleicht erreichen. Ob er dann noch die Kraft hat, um erst am Sonntagnachmittag zu schlafen, ist dagegen eine nachrangige Frage.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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