Süddeutsche Zeitung

Boxen:Aus dem Teufelskreis in den Ring

Mario Daser boxt am Wochenende um die internationale deutsche Meisterschaft. Den härtesten Kampf hat der 27-Jährige schon gewonnen - gegen sich selbst

Von Stefan Galler

Das Ambiente ist atemraubend: Mario Daser wohnt in einem fast 200 Quadratmeter großen Loft mit mehreren Dachterrassen, im achten Stockwerk eines auffälligen Wohnhauses direkt an der Stadtgrenze. Schicke Einrichtung, topmoderne Küche, frei stehende Badewanne mit Alpenblick, riesiger Flachbildfernseher in der gemütlichen Sitzecke. Auf dem Tisch liegen zwei Porsche-Autoschlüssel. Eines ist klar: Mit seiner Sportart kann sich der Profiboxer diesen Luxus nicht erarbeitet haben, zumindest noch nicht, da seine Karriere gerade erst neu startet. Er ist Geschäftsführer eines traditionsreichen Kieswerks, das den Eltern seiner Ehefrau gehörte. Doch wenn sportlich alles nach Plan läuft, dann werden auch die Börsen für seine Boxkämpfe schon bald üppiger ausfallen, denn Daser ist ehrgeizig und hat Talent - das attestieren ihm die Experten.

In einem der ersten Vier-Augen-Gespräche hatte sich Daser vor seinem neuen Chef aufgebaut. Er wollte ganz genau wissen, was ihm der erfahrene Hamburger Box-Promoter Erol Ceylan wirklich zutraut. "Hätte er gesagt, ich könnte es vielleicht zu einem deutschen Meister oder Europameister bringen, dann hätte ich die Handschuhe sofort wieder an den Nagel gehängt", sagt der 27 Jahre alte Münchner. Doch Ceylan sagte exakt das, was Daser hören wollte: "Er meinte, ich hätte alles, was einen Weltmeister ausmacht. Ich sei stark und ein echter Kämpfer. Ich brauche nur Training, Training, Training."

Ceylan bestätigt das, allerdings mit Einschränkungen: "Er hat Talent, das ist unbestritten. Aber Talent macht nur 50 Prozent aus. Man muss auch bereit sein, sich den Hintern aufzureißen." Daser sei voll motiviert, "aber durch seine lange Pause auch etwas eingerostet".

Wie sehr der 1,93 Meter große Cruisergewichtler es nötig hatte, fünf Jahre nach seinem letzten Profikampf erst einmal richtig fit zu werden, bewies ihm der 44-jährige Ceylan dann im Ring: "Er hat mir tatsächlich beim Sparring eine Rippe gebrochen", klagt der 17 Jahre jüngere Daser. Ceylan relativiert: "Es war eher eine Prellung." Zunächst war der junge Boxer konsterniert, konnte gar nicht fassen, dass das wirklich passiert war. "Und dann habe ich begriffen, worum es wirklich geht: Nämlich darum, nicht nur körperlich in Form zu kommen, sondern auch ständig konzentriert zu sein und einen Plan im Ring zu haben." Die schmerzhafte Verletzung war ein zusätzlicher Ansporn, sein Talent in die richtige Richtung zu entwickeln und dort anzusetzen, wo er vor seiner Pause mit dem Sport aufgehört hatte.

Rückblende: Als 19-Jähriger war Daser in die Boxfabrik am Frankfurter Ring gekommen und hatte sich dort dem Chef Roland Suttner vorgestellt. Der baute den jungen Athleten schnell zu einem versierten Faustkämpfer auf, der in seinen ersten Kämpfen in diversen Bierzelten zeigte, welches Potenzial er besitzt: Sechsmal stieg Daser zwischen Mai und Oktober 2009 in den Ring, jeden dieser Fights entschied er für sich. Und doch war er mit der Situation nicht zufrieden. Jeden Morgen um 8 Uhr trainierte er, anschließend schuftete er "ohne Bezahlung" (Daser) für Suttner, seinen Frust baute er dann beim Weggehen ab. "Ich komme aus dem Hasenbergl, es lief nicht immer alles glatt für mich", sagt Daser. Immer wieder war er in Schlägereien verwickelt. Meistens habe er nur Freunden aus der Patsche helfen wollen, sagt er. "Die Richter haben immer gesagt, ich habe eigentlich keine kriminelle Energie." Dennoch verurteilte einer ihn schließlich zu einer Gefängnisstrafe: Elf Monate saß er in Bernau am Chiemsee ein, sein direkt an den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer adressiertes Gnadengesuch wurde abgelehnt.

Als er die schwere Zeit hinter sich hatte, wollte er einen Neuanfang. "Meine Mutter hat bei meiner Verurteilung geweint, das war für mich der entscheidende Punkt. Ich musste mein Leben ändern." Bei Suttner, der in der Branche als harter Hund bekannt ist, glückte ihm die Wende: "Er ist alles andere als einfach, aber er hat mir viel beigebracht", sagt Daser über den Münchner Manager. Plötzlich verstand Daser, dass er sich alles erkämpfen musste und ihm nichts geschenkt werden würde. Das galt für das Leben ganz allgemein und für den Sport im Besonderen. "Ohne das Boxen wäre ich wahrscheinlich heute wieder im Knast oder sogar schon tot", sagt er und wird philosophisch: "Der größte Kampf, den wir führen, ist der gegen uns selbst. Wir stehen uns so oft nur selbst im Weg."

Er kämpfte weiter, gewann im Sommer 2011 weitere vier Kämpfe - und hatte dann doch irgendwann genug. "Ich fühlte mich ausgebeutet, irgendwann geht das einfach nicht mehr." Der damals 22-Jährige arbeitete als Kraftfahrer, dann lernte er seine heutige Ehefrau kennen. Die wohlhabende Familie akzeptierte den jungen Mann trotz seiner Biografie ohne Vorbehalte. Und er ging ein hohes finanzielles Risiko ein, um nach dem Tod des Firmengründers dessen Witwe einen sorgenfreien Lebensabend zu gewährleisten: Er lehnte es ab, das Grundstück zu verkaufen, verschuldete sich, übernahm die Verantwortung für das Kieswerk und ist nun dabei, das Unternehmen wieder deutlich in die Gewinnzone zu führen. Dazu kommen lukrative finanzielle Beteiligungen an Immobilien in Augsburg und Dubrovnik. "Ich habe mir mein ganzes wirtschaftliches Wissen selbst beigebracht, schon unglaublich, wo ich doch eigentlich Kfz-Mechaniker werden wollte, aber nirgends genommen wurde."

Und doch füllte ihn sein neues seriöses Berufsleben ebenso wenig aus wie seine nun endlich gestillte Lust auf schnittige Sportwagen. Er spürte, wie sehr ihm der Sport fehlte, wie sehr sich seine Gedanken immer nur um das Geschäft drehten. Er versuchte es bei EC-Boxing in Hamburg, fasste sehr schnell Vertrauen zu Boss Ceylan und Chefcoach Bülent Baser, der einst Weltmeistertrainer Fritz Sdunek assistierte. Der 27-jährige Linksausleger brachte sich nach der Rippenverletzung schnell wieder in Form, Anfang August folgte dann der Comeback-Kampf, den Daser gegen den Schweden Alexander Todorovic nach Punkten gewann. "Da hat er gesehen, wie schwer man sich tun kann gegen einen Mann, der viel Masse mitbringt und sich kaum bewegt", sagt Ceylan, der Daser dazu bewegen will, ins Halbschwergewicht zu wechseln. "Da muss er nicht so viel Kraft aufwenden, um Wirkungstreffer zu setzen."

An diesem Samstag bekommt Daser nun seinen ersten Kampf um den internationalen deutschen Titel im Cruisergewicht, er tritt im Rahmenprogramm einer Boxgala in Göppingen gegen seinen Stallkollegen Nikola Milacic an. Bekannte Kollegen Dasers wie Firat Arslan, der an jenem Abend um die Europameisterschaft kämpft, Christian Hammer oder Manuel Charr, der 2012 gegen Vitali Klitschko verlor, sind an diesem Abend ebenfalls im Einsatz. "Da werden wir sehen, wie gut er schon ist. Ich bin mir sicher, wir können etwas aus ihm machen", sagt EC-Boxing-Chef Ceylan über den Münchner. "Er ist voll motiviert, und sein Erfolg im Beruf tut ihm gut." Für Daser sind jene Namen, für die er am Samstag das Vorprogramm bestreitet, zusätzliche Motivation, sich selbst zu verbessern. Denn seine Ziele sind ehrgeizig: "Ich will Pflichtherausforderer werden, gegen Marco Huck antreten. Und in anderthalb Jahren um die WM boxen." Denn eines ist ihm ganz wichtig: zu zeigen, dass eine negative Phase keine Einbahnstraße sein muss.

Bei allem Ehrgeiz und aller Ungeduld steht für Mario Daser, der vor wenigen Wochen zum ersten Mal Vater wurde, eines definitiv fest: "Ich werde nicht meine Gesundheit aufs Spiel setzen." Dazu hat er mittlerweile deutlich zu viel zu verlieren.

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Quelle:
SZ vom 16.09.2016
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