Boulderer:"Ich würde nicht das Studium für Klettern schmeißen"

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Alexander Averdunk aus Markt Schwaben gehört zu den besten deutschen Boulderern. Nun startet er in Paris erstmals bei einer WM. Ein Gespräch über Familientraditionen, Kulturschocks, die Olympischen Spiele 2020 - und was noch alles an einem einzigen Finger hängt

Interview von Max Ferstl und Sebastian Winter

Der Finger. Er war in den vergangenen Wochen Alexander Averdunks wohl größtes Handicap. Wegen einer Sehnenzerrung am rechten Ringfinger musste der 19-jährige Markt Schwabener das Weltcup-Finale der Boulderer Mitte August im Münchner Olympiapark absagen. Bei der am Mittwoch beginnenden Kletter-Weltmeisterschaft in Paris-Bercy kann Averdunk nun aber starten. Ebenso wie Monika Retschy (München) und Christoph Hanke (Olching). Im Interview spricht der Informatik-Student über seine Chancen bei seiner WM-Premiere, die stressigen letzten Monate, den Neuling Klettern im Olympia-Kalender und sein Training im heimischen Keller.

SZ: Herr Averdunk, Sie gelten als Münchens bester Kletterer. Einverstanden?

Alexander Averdunk: Bester Wettkampfkletterer. Es gibt ja sehr viele Felskletterer in München, die auch stark sind. Sich mit Felskletterern zu vergleichen, ist immer ein bisschen schwer, weil ich das kaum mache.

Aber mit so einer Auszeichnung kann man doch gut leben.

Ach, ich bin darüber hinweg, auf Stadtebene der Beste zu sein. Mir geht es eher um die nationale und internationale Ebene.

Das Weltcup-Finale in München haben Sie Mitte August wegen einer Fingerverletzung verpasst, jetzt ist die Weltmeisterschaft in Paris, Ihre erste bei den Männern. Wie fit sind Sie?

Ich bin noch nicht komplett beschwerdefrei, aber es geht schon wieder erstaunlich gut. Die Pause war zum Glück nicht allzu lang. Ich hoffe, ins Halbfinale zu klettern, habe aber nicht zu große Erwartungen nach meiner Verletzung. Zumal ich die Anlage auch überhaupt nicht kenne.

Wie wichtig sind die einzelnen Finger überhaupt beim Bouldern?

Die Finger sind das Wichtigste. Dort hängt alles mit allem zusammen: Ich habe mir die Sehne am rechten Ringfinger gezerrt. Wenn ich den Zeigefinger belastet habe, tat der Ringfinger trotzdem weh. Denn derselbe Muskel setzt an beiden Sehnen an.

Schon vor dem Weltcup in München mussten Sie die Junioren-EM in Lengenfeld abbrechen, es waren und sind keine einfachen Wochen. Wie ist die Saison zuvor denn gelaufen?

Überhang-Mandat: Eigentlich sollte Alexander Averdunk Karateka werden. (Foto: Lukas Barth)

Ziemlich gut. Ich durfte bei den Erwachsenen-Weltcups starten, war einmal im Halbfinale. Leider habe ich das Finale oft sehr knapp verpasst, weil mir kleine Fehler unterlaufen sind. Ich kann jetzt dennoch gelassener in einen Weltcup gehen als vor einem Jahr, auch mental. Es passiert mir nicht mehr, dass ich so gestresst bin durch den Druck, dass mir der Fuß abrutscht.

Kletterer gelten ja als Individualisten - auch auf Reisen zu Wettkämpfen?

Individualisten schon, aber wir sind immer im Team zu Weltcups gereist, Trainer, Physiotherapeut, Athleten. Jan Hojer, Monika Retschy, Simon Unger, Moritz Hans und ich.

Wo reisen Sie überall hin?

Japan, China, zwischendurch Innsbruck und Meiringen in der Schweiz. In Vail/Colorado war noch ein Weltcup. Von März bis Juni war ich vielleicht vier Tage daheim, die ganzen Jugendwettkämpfe kamen ja auch noch dazu. Das war sehr anstrengend, ich musste mir auch ein Urlaubssemester von meinem Bachelor-Studium nehmen, damit ich das Pensum schaffe. Auf Dauer vergeht einem dann schon die Lust. Nächstes Jahr, wenn die Jugend-Wettkämpfe wegfallen, wird es hoffentlich besser.

Was nehmen Sie an positiven Dingen mit aus dem Ausland?

Ich fand es super interessant, die verschiedenen Kulturen in China und Japan zu erleben. Es ist aber auch sehr gewöhnungsbedürftig. In China ist man ja allein schon eine Attraktion, wenn man blond ist. Da sind uns im Supermarkt ein paar Mädels eine Viertelstunde hinterhergelaufen und wollten Fotos mit uns machen.

Sind die Asiaten stärker als die Europäer?

Die Japaner sind superstark und haben auch eine tolle Förderung. Sie trainieren zusammen, bei uns ist das dagegen sehr verteilt. Jan kommt aus Köln, Moritz aus Stuttgart, ich aus München. Da ist es sehr schwer, sich zum Training zu treffen. In Japan wohnen alle in Tokio um die Ecke.

Stichwort Tokio: Dort finden 2020 die nächsten Olympischen Spiele statt. Zum ersten Mal ist Klettern im Programm - mit einer Art Triathlon, bei dem der Gesamtbeste der drei Disziplinen Bouldern, Lead und Speed gewinnt. Erklären Sie einem Laien doch mal die Unterschiede.

Das Speed-Klettern ist eine genormte Route, 15 Meter hoch, auf Zeit. Ganz oben gibt es einen Buzzer, den man anschlägt. Bouldern ist Klettern in Absprunghöhe, ohne Seil, aber mit Matten auf dem Boden, damit man sich nicht verletzt. Und Lead ist eigentlich die gängigste Kletter-Disziplin. Da geht es darum, an einem Seil gesichert möglichst hoch und weit zu kommen.

Er setzte sich durch - und klettert nun sogar zu Hause im Keller. (Foto: Lukas Barth)

Die drei Disziplinen sind eigentlich eigenständig, einen Triathlon gibt es bislang nicht, auch nicht bei der WM in Paris, wo Sie im Boulder-Wettkampf starten. Ist das ein großes Problem für Sie?

Ich habe in den vergangenen drei Jahren nur Bouldern gemacht. Ein Boulderer tut sich superleicht bei den Zügen im Lead, hat aber nicht die Ausdauer, um 50 Züge hintereinander zu machen. Das ist mein größtes Problem. Beim Speed bin ich die Route viel zu selten geklettert. Die Besten sind sehr fix, unter sechs Sekunden. Aber bei Olympia zählt die Overall-Wertung. Entscheidend ist, wer am konstantesten ist.

Japan ist Ihr Traum. Glauben Sie, dass die Spiele Ihrem ohnehin boomenden Sport einen weiteren Schub geben können?

Ja, total. Ich hoffe, dass das Klettern dadurch viel populärer wird und man irgendwann davon leben kann. Im Moment würde ich nicht das Risiko eingehen, das Studium für Klettern komplett zu schmeißen. Soweit sind wir noch nicht (lacht).

Wie sind Sie überhaupt zum Klettern gekommen?

Eigentlich macht meine ganze Familie Karate. Aber mein Opa war oft Bergsteigen. Ich hing dann immer an den Felsen und habe da ein bisschen gebouldert. Als bei uns in der Nähe eine Kletterhalle aufgemacht hat und ich dort bei einem Kindergeburtstag eingeladen war, hat es mich gepackt.

Wie alt waren Sie da?

Sieben.

Ihre Eltern waren nicht begeistert.

Am Anfang sollte ich schon Karate machen, da wollten sie mich in die Familientradition reinziehen. Mir haben damals auch ganz viele Sportarten nur einen Monat lang Spaß gemacht, danach hatte ich keine Lust mehr. Also waren sie froh, als ich endlich etwas gefunden hatte. Seither haben wir sogar eine kleine Kletterwand im Keller, die ich mit der ganzen Familie aufgebaut habe. Die ist zwar super, dennoch fahre ich meistens lieber in die Boulderhalle und trainiere dort mit Freunden.

Fernab von den Spielen in Tokio und der WM in Paris: Welche Boulder möchten Sie unbedingt einmal angehen?

Ein Traum für alle Kletterer sind die Rocklands in Südafrika (Felsenmeer in der Nähe von Kapstadt, d. Red.). Ich war letztes Jahr in den Red Rocks bei Las Vegas. Dort habe ich den für mich schönsten Boulder überhaupt gesehen. Den Stehstart habe ich gemacht, aber ich will unbedingt noch mal hin für den schwierigeren Sitzstart.

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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