Boulder-Weltcup:Fest im Griff der anderen

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Die deutschen Kletterer waren mal das Maß aller Dinge. Beim Weltcup-Finale im Bouldern in München zeigt sich einmal mehr, dass sie abgehängt wurden. Wenn alte Muster nicht mehr greifen, muss man kreativ werden.

Von Nadine Regel und Niccolo Schmitter

Am Ende war es ein einziger Griff. Alexander Averdunk hängt an seinem letzten Boulder im Halbfinale, er muss mit seiner rechten Hand nur noch den roten Klotz über ihm festhalten, dann kann er sich bis ganz nach oben ziehen. Doch er rutscht ab. Statt ins Finale zu klettern, fällt er rücklings auf die Matten unter ihm. Tausende Zuschauer stöhnen auf.

Er sei auf jeden Fall zufrieden, versicherte der Markt Schwabener nach seinem Ausscheiden. "Ich wollte einfach mein Bestes geben, schön klettern, und das habe ich, glaube ich, ganz gut geschafft." Der 21-Jährige mit den rotblonden Haaren grinst. Er durfte zufrieden sein mit seinem Auftritt beim Finale des Boulder-Worldcups unter dem Dach des Münchner Olympiastadions. In der Weltspitze geht es um Nuancen. In den vier Minuten, die die Sportkletterer zum Bezwingen eines Boulders zur Verfügung haben, kann ein missglückter Griff den gesamten Wettbewerb entscheiden. Wäre Averdunk nicht abgerutscht, hätte er den Topgriff wohl erreicht und den Slowenen Gregor Vezonik vom sechsten und letzten Finalplatz verdrängt. Ein paar Stunden später war es dann Vezonik, der als letzter auf das Podium stieg und seinen ersten Weltcup-Sieg feierte. Auch bei den Frauen siegte in Janja Garnbret eine Slowenin, die Plätze zwei und drei gingen an Japanerinnen. Zweiter bei den Männern wurde ebenfalls ein Slowene, nur der Österreicher Jakob Schubert durchbrach als Dritter die Dominanz dieser beiden Nationen.

Es gehe nun mal um die Details, erklärt Urs Stöcker, einer der Bundestrainer beim Deutschen Alpenverein (DAV). "Mit der Teamleistung bin ich zufrieden, mit dem Ergebnis nicht ganz", sagt der Schweizer. Tatsächlich kletterten die Deutschen ansehnlich, am Ende erreichten von 16 männlichen Teilnehmern aber nur drei das Halbfinale, ins Finale kam keiner. Unter den neun Frauen kletterte nur Alma Bestvater in die nächste Runde - trotz einer Handverletzung. Auch sie ist zufrieden, "aber es wäre sicher mehr drin gewesen". Es ging wie immer um die Nuancen.

"Es ist toll, wie die Leute einen die Boulder hochschreien": Der Slowene Jernej Kruder schreit nach dem Gewinn des Gesamtweltcups am Münchner Olympiastadion gerne zurück. (Foto: Marco Kost/DAV/oh)

Beim Finale der Weltcupserie wurde abermals ersichtlich, wie sehr das Niveau im Sportklettern in den vergangenen Jahren zugenommen hat. "Das Feld ist extrem dicht geworden", sagt Stöcker. Ehemalige Weltcup-Gewinner schaffen es jetzt nicht mehr in die Top 15. Das eigentliche Ziel, ein oder zwei Deutsche ins Finale zu bringen, wurde somit nicht erreicht. Jetzt müsse man analysieren, woran es gelegen hat.

Udo Neumann, in der Szene als "Boulder-Professor" bekannt, liefert einen Erklärungsansatz. Vor vier Jahren sei Deutschland noch "das Maß aller Dinge" gewesen. Jan Hojer, der am Wochenende Zwölfter wurde, sicherte sich damals noch den Sieg im Gesamtweltcup. Die jetzt dominierenden Japaner kamen extra nach Köln, um sich weiterzubilden. Davon sei nicht viel übrig geblieben. "Der DAV betreibt kein Wissensmanagement", sagt der ehemalige Trainer des Verbands. So könne man nicht aus vergangenen Erfolgen lernen, um sich weiterzuentwickeln.

Die Sportart habe sich verändert, in der Spitze machen Persönlichkeitsmerkmale den Unterschied. Erfolgreich ist, wer die Gratwanderung zwischen Fehlervermeidung und Risikofreudigkeit meistert: "Athleten müssen Vertrauen in ihre eigene Lösung haben." Soft Skills wie Resilience und Ambiguitätstoleranz gewinnen an Bedeutung. "Modewörter", wie Neumann sie nennt. Einfach ausgedrückt gehe es darum, Ungewissheit ertragen zu lernen. Wenn alte Muster nicht greifen, muss man den Mut aufbringen, kreativ zu werden.

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(Foto: Marco Kost/DAV/oh)

Die Neu-Münchnerin Alma Bestvater überzeugt beim Bouldern.

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(Foto: Marco Kost/DAV/oh)

Trotz der starken Leistungen der Münchner Sportlerinnen und Sportler sind vor mehreren Tausend Zuschauern andere stärker, wie die slowenische Siegerin Janja Garbret.

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(Foto: Marco Kost/DAV/oh)

Heimspiel: Alex Averdunk geht es sichtlich gut vor der Kulisse am Olympiastadion.

Kreativität ist auch beim Verband gefragt, der die Professionalisierung des Klettersports und die Vorbereitung auf Olympia 2020 gestalten muss. Wolfgang Wabel, Ressortleiter Leistungssport beim DAV, blickt auch auf andere Verbände: "Wir trainieren zum Teil mit den Japanern und waren im Frühjahr in Tokio, um dort die Kultur und Atmosphäre kennenzulernen."

Nicht verbesserungswürdig ist definitiv die Stimmung im Olympiapark. "Der Boulder-Weltcup in München ist eine unserer besten Veranstaltungen", sagt auch Marco Maria Scolaris, Präsident der Internationalen Föderation des Sportkletterns. "Die Stimmung ist von allen Weltcups die Beste", findet Averdunk. Es sei toll, wie die Leute einen "die Boulder hochschreien".

Jetzt blicken die Deutschen auf die Weltmeisterschaft in Innsbruck im September, "der richtige Gradmesser", wie Wabel sagt. Alles konzentriert sich auf ein besseres Abschneiden im Nachbarland. In der so variablen Welt des Sportkletterns sind Weltmeisterschaften die "Events für Außenseiter", sagt Stöcker und verpasst seinem Kader die Rolle, die er vor vier Jahren noch nicht inne hatte: "Es liegt an uns, als deutsches Team zu überraschen."

© SZ vom 20.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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