Süddeutsche Zeitung

Bogenschießen:Das Leben geht weiter

Ein Jahr nach ihrer Krebserkrankung wird die Compound-Bogenschützin Kristina Heigenhauser von der BSG Ebersberg wieder deutsche Meisterin.

Von Andreas Liebmann, Hallbergmoos/Ebersberg

In einer langen Reihe stehen sie nebeneinander, dicht an dicht, atmen ein, halten die Luft an, atmen aus. Kristina Heigenhauser ist mittendrin, auch wenn sie mit ihren 1,90 Meter natürlich etwas herausragt. Volle Körperspannung. Visiert die Scheibe an. Atmet einfach mit all den anderen mit. Muss sich darüber keine Sorgen mehr machen.

Es ist nicht lange her, da schoss die junge Frau aus dem Chiemgau, die für die BSG Ebersberg antritt, allein. Mit einer Sondergenehmigung. Die Ärzte hatten ihr dazu geraten, wegen der Ansteckungsgefahr. Bayerische Hallenmeisterschaften waren das, nichts Besonderes für eine Weltmeisterin mit dem Compound-Bogen. Aber natürlich greift eine Chemotherapie nicht nur das Immunsystem an, der ganze Körper leidet. Sie kam damals weiter zu den deutschen Hallenmeisterschaften in Hof im März. Sie traf ihre Nationalmannschaftkollegen wieder, wurde sogar Dritte. War stolz auf sich, spürte aber auch die Blicke. Ist sie das wirklich? Die Tina? Mit dem Krebs?

Nun steht sie zwischen den Teamkollegen, wie früher, deutsche Freiluftmeisterschaft in Hallbergmoos bei Freising. Fast ein Heimspiel. Sie hat die Ausschreibung nicht richtig gelesen, kam kurz vor neun Uhr an, weil sie dachte, da begänne das Einschießen. Doch es war der Wettkampfbeginn. Sie musste gleich loslegen. "Das war wieder typisch für uns", sagt sie lachend - und sah es positiv: "Das spart Kraft."

Ein paar Tage vor diesen Meisterschaften sitzt Kristina Heigenhauser auf einer der drei Ledercouches auf der Veranda des Bogensportzentrums Chiemgau. Sie führt das Geschäft am Rande von Ruhpolding gemeinsam mit ihrem Mann Roman, einem ehemaligen Europameister. Roman Heigenhauser serviert gerade Kaffee. Die beiden vertreiben hier Equipment, pflegen einen Parcours, geben Kurse. Ein idyllisches Fleckchen Erde. Kristina Heigenhauser, 29, trägt eine rote Arbeitshose. Sie hält hier nebenbei ein paar Hühner und Schafe. "Ich bin sehr zufrieden", sagt sie.

Es war der 8. August 2016, das Datum weiß sie noch genau. Heftigen Husten habe sie gehabt, der immer schlimmer wurde, "bis ich mir gedacht habe: Jetzt muss ich doch zum Hausarzt und einen Hustensaft holen." An etwas Böses dachte sie nicht, "vielleicht Raucherbeschwerden". Schnell war klar: Da war etwas anderes. Sie zückt ihr Handy und zeigt das Bild eines Computertomografen: Ein 20 mal 20 Zentimeter großes Gebilde ist da zu sehen, direkt über dem Herzen, wo eigentlich ihr zweiter Lungenflügel sein sollte. "Lymphdrüsenkrebs", diagnostizierten die Ärzte. Ein zweiter, kleinerer Tumor steckte über dem Schlüsselbein. "Klingt eklig, oder?", fragt Kristina Heigenhauser augenzwinkernd.

Im Nachhinein hätte sie bei einem Ruhepuls von 180 wohl doch skeptisch werden sollen, sagt sie. Und irgendwo habe sie gehört, dass 80 Prozent der Betroffenen Männer über 65 seien. Ob das also eine Art Sechser im Lotto für sie sein solle? Heigenhauser kann nicht anders: Sie bringt einen dazu, mit ihr über diese Krankheit zu lachen.

Die Ärzte hätten ihr gesagt, dass es für diese Krebsart gute Heilungschancen gebe. "Ich habe mich gar nicht sonderlich damit beschäftigt", behauptet sie. "Für mich war nur klar: Jetzt muss ich eben eine Chemo machen." Ihr Mann habe unter der Diagnose sicher mehr gelitten. Roman Heigenhauser schüttelt zwar den Kopf, verneint. Aber er habe tatsächlich schon viele Bekannte durch Krebs verloren, erzählt er, da seien grässliche Bilder zurückgekehrt.

Gold bei der Abschiedstour? Eigentlich hat sie beschlossen, den Compound-Bogen abzulegen

Es ist diese Sorglosigkeit, der unerschütterliche Optimismus, mit dem Kristina Heigenhauser damals auch ihre Bogensport-Karriere begann. Vor acht Jahren hielt sie während eines Austauschjahrs in Australien erstmals einen Compound-Bogen in der Hand, bald darauf lernte sie ihren heutigen Mann kennen. Vor sechs Jahren stellte sie in Ebersberg einen Weltrekord auf, ohne es zu ahnen, 353 von 360 Ringen über 70 Meter. Er gilt bis heute. Ein zweiter Weltrekord, 1418 Punkte über 70, 60, 50 und 30 Meter, hielt ein Jahr lang. Kristina Berger, wie sie damals hieß, wurde Weltmeisterin, war Zweite der Weltrangliste. Dann überwarf sie sich mit dem damaligen Bundestrainer. "Er wollte uns genauso trainieren wie die Recurve-Schützen", erklärt sie. Das ist die olympische Bogendisziplin. "Aber die sind alle in der Fördergruppe, wir sind berufstätig." Sie verlor die Lust und stieg aus. Als der Bundestrainer wechselte, kehrte sie ins Nationalteam zurück, aber die großen Erfolge blieben aus. Sie wollte zu viel, wollte es "allen möglichen Leuten beweisen". "Target panic" oder "Goldangst" nennen Bogenschützen das Problem, mit dem sie es nun zu tun bekam. Sie war dabei bei den Weltcups, doch der olympische Gedanke ist ihr fremd. "Das kann mir keiner erzählen, dass er das ernst meint", sagt sie.

Kristina Heigenhauser blickt sich um, blickt auf die Chiemgau-Idylle. Dann sagt sie: "Das Leben geht auch ohne Medaillen weiter." Vor allem: Das Leben geht weiter.

Gleich nach der ersten Chemo habe sie ihren Mann zu einem Turnier nach Italien begleitet, sie habe kaum stehen können vor Schmerzen. Die langen Haare fielen in Büscheln aus, der Rest wurde abrasiert. Nun aber ist der kleine Tumor ganz verschwunden, erzählt sie, der große zu 90 Prozent. Bei ihrer Rückkehr zu den deutschen Hallenmeisterschaften habe sie noch "ein gschamiges Gefühl" gehabt, auch wegen der Haare. Inzwischen trägt sie eine leicht blondierte Wuschelfrisur, fast lausbubenhaft, was gar nicht schlecht zu ihr passt.

Im Krankenhaus sei es "stinkfad", sie habe dort beschlossen, nach diesem Jahr aufzuhören mit dem Compound-Bogen; nicht wieder so viel Energie ins Training zu stecken. Auf den Blankbogen zu wechseln, das sei "entspannter". Für die WM haben sich die Heigenhausers schon qualifiziert.

Aber nun hat sie ja in Hallbergmoos ihr Team wiedergetroffen, "grandiose, lustige Leute", findet sie. Einige haben bei ihnen übernachtet. Vielleicht hängt sie deretwegen doch noch ein Jahr dran. In Hallbergmoos überwindet sie am Freitag ihre Goldangst, sie ist wieder deutsche Meisterin. Das Finale gewinnt sie 144:142 gegen ihre Nationalteamkollegin Pia Eibeck: "Ein super Mädel, ein Traumfinale." Nur schade, dass sie der Freundin den Titel vermasselt habe. Pia Eibeck wird ihr den Erfolg wohl genauso gönnen.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2017
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