Süddeutsche Zeitung

Behindertensport:Feuerwerk des Schweigens

Wieso ein Rollstuhl-Goldschütze nie ins Nationalteam fand

Von Alexander Mühlbach

Es ist nur ein kurzer Moment, in dem Erwin Lauchner preisgibt, wie sehr ihn all das trifft. Wie sehr er einmal bei einem internationalen Sportgroßereignis dabei sein möchte, einmal das Abschlussfeuerwerk der Paralympics sehen will. Live. Nicht wieder zu Hause vor dem Fernseher. "Wer will das als Sportler nicht?", fragt Lauchner in die Leere. Er lacht, aber jedes einzelne Wort klingt wehmütig, etwas verzweifelt.

Der Rollstuhl-Sportschütze aus Mittelstetten (Landkreis Fürstenfeldbruck) hätte an vielen Großereignissen teilnehmen können. Seit 2010 hat er fünf Mal den deutschen Meistertitel gewonnen. Nur 2014 hat das nicht geklappt. Des Alters wegen, sagt er, da könne man das Niveau nicht immer so hoch halten. Bei den Titelkämpfen im September in München landete Lauchner trotzdem wieder ganz vorne. An seiner sportlichen Situation aber wird das nichts ändern, glaubt der 51-Jährige. Er wird wieder nicht für die Nationalmannschaft nominiert werden, wie schon all die Jahre zuvor.

Lauchner weiß nicht, woran es liegt, dass der Deutsche Behindertensportverband (DBS) ihn bisher nie in Betracht zog. "Der Bundestrainer hat mich noch nie persönlich angesprochen", sagt er. "Dabei war er doch jetzt in München dabei." Es gebe gar keine internationale Startklasse für Lauchner, war unlängst in einer Zeitung zu lesen, weil er oberhalb der Hüfte nicht beeinträchtigt genug sei. "Dabei kenne ich Schützen aus der Nationalmannschaft, die nicht so geschädigt sind wie ich", sagt Lauchner.

Es klingt etwas zynisch, wenn Lauchner das sagt. Aber er braucht den Vergleich, um zu verstehen, was ihm damit eigentlich gesagt wird: Er ist nicht behindert genug, um international zu starten. Vor 15 Jahren wurde Lauchner auf dem Motorrad von einem Auto touchiert, er prallte gegen ein Ortsschild, dabei brachen die Wirbelsäule und der linke Arm. Letzterer gleich neun Mal. Seitdem ist Lauchner vom Brustkorb abwärts querschnittsgelähmt, der linke Arm ist steif. In Deutschland startet Lauchner in einer Klasse, in der das Luftgewehr auf einer Auflage liegt. Das ermöglicht die Bedienung mit nur einem Arm. Und so jemand soll nicht beeinträchtigt genug sein?

Ein Anruf bei Rudolf Krenn, dem zuständigen Bundestrainer, genügt, um das Missverständnis auszuräumen. Natürlich gäbe es eine internationale Klasse für Lauchner, sagt er. Die gab es auch 2012 bei den Paralympics in London. Nur ohne deutsche Beteiligung, was sich in Zukunft freilich ändern könne. Krenn räumt ein, dass es sehr wohl eine Option gäbe, Lauchner zu nominieren. "Ich habe ihn in München nur zum ersten Mal überhaupt wahrgenommen", sagt er. Er sei ja erst seit 2013 Bundestrainer.

Krenn versucht die Angelegenheit sachlich aufzuarbeiten. Er war selbst Sportschütze, gewann mehrere Medaillen bei Europa- und Weltmeisterschaften. "Der Nachwuchs ist bei uns rar gesät, weil jeder Athlet eine gewisse Vorgeschichte haben muss - man muss über jeden froh sein, der kommt", sagt Krenn. Dann lässt er doch durchblicken, warum Lauchner es nie ins deutsche Aufgebot geschafft hat: "Die Sportler müssen sich bei mir melden und an Lehrgängen teilnehmen. Herr Lauchner weiß das, und ihm ist meine Adresse wohlbekannt."

Lauchner wünscht sich zwar eine Aussprache mit Krenn, doch er schließt den telefonischen Weg aus: "Ich spreche nächstes Jahr bei den deutschen Meisterschaften persönlich mit ihm." Die Chance, bei den Paralympics in Rio de Janeiro zu starten, wäre damit vertan. So wird Lauchner vorerst weiterhin nur träumen dürfen von einem Start im Nationaltrikot.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2015
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