Süddeutsche Zeitung

Basketball:Von Kindern und Models

Saisonstart in der zweiten Liga ProB: Die Tropics Oberhaching erwarten die Baskets Speyer, der FC Bayern München II ist spielfrei - Gegner White Wings Hanau muss in Quarantäne.

Von Ralf Tögel, Oberhaching

Mario Matic hatte ein paar schlaflose Nächte. Denn der ausgedünnte Kader der Tropics Oberhaching dezimierte sich wegen der beruflichen Neuorientierung von Ferdi Kleber, Bruder von NBA-Profi Maxi, der für Dallas spielt, unerwartet um einen weiteren wichtigen Spieler. In Chris Würmseher, Justin Hedley, John Boyer und Omari Knox hatte sich nach der abgebrochenen Saison ohnehin Stammpersonal auf den Guard-Positionen verabschiedet, und weil die Tropics zwar solide wirtschaften aber nicht mit Geld um sich werfen können, stieg der Druck auf den Trainer, denn an diesem Samstag beginnt die Saison für die Oberhachinger in der zweiten Liga ProB mit dem Heimspiel gegen die Baskets Speyer. Die 80 Zuschauerplätze, die das Hygienekonzept zulässt, sind vergriffen, dafür stellt der Klub einen Livestream (https://youtu.be/-wfQcF9pXes) auf Youtube zur Verfügung. Und Matic hat auf den letzten Drücker noch einen Coup gelandet: In dem 26-jährigen Franzosen Joris Ortega kommt ein erfahrener und variabler Guard, der das Spiel lenken und aus der Distanz hochprozentig treffen kann.

Ortega stammt aus dem französischen Mülhausen im Elsass, sein Weg in den professionellen Basketball war durch Vater Christian vorgezeichnet, einem ehemaligen französischen A-Nationalspieler. Starken Leistungen in den Jugendteams von Toulouse folgte ein Angebot von Frankreichs Topklub und Serienmeister Limoges. Dort avancierte er im U21-Team zum Topscorer und bekam bald Kurzeinsätze im Profiteam - mit dem er 2014 die französische Meisterschaft gewann. Den Durchbruch schaffte der 1,88 Meter große Flügelspieler aber nicht, so wechselte er zum Zweitligisten BC Orchies und später zu JSA Bordeaux in die dritte Liga. Was sicher auch der einträglichen Nebenbeschäftigung des gut aussehenden Basketballers geschuldet war: Ortega arbeitete nebenher als Model. Als ihn dieser Job bis nach Hongkong führte und er für ein französisches Modelabel fortan auf den Laufstegen in der ganzen Welt unterwegs war, ruhte der Basketballsport für geraume Zeit.

Im vergleichsweise beschaulichen Oberhaching will der pfeilschnelle Aufbauspieler nun auf dem Court wieder angreifen, den Sport aber gleichzeitig mit Modelaufträgen in der bayerischen Landeshauptstadt kombinieren. Matic ist von seinem neuen Führungsspieler überzeugt: "Wir haben einen Spieler gesucht, der seinen eigenen Wurf kreieren und offensiv einen Vorteil für das Team schaffen kann." Von früheren Trainern des 26-Jährigen habe er ausschließlich positives Feedback bekommen: "Wir haen das passende Puzzlestück im Kampf um die Playoffs gefunden."

Andreas Wagner hat gut geschlafen in den vergangenen Tagen, ob ihm das auch am Wochenende gelingt, bleibt offen, denn am Freitagabend hat ihn eine unschöne Nachricht erreicht: Im Zuge der von der Liga geforderten Corona-Tests zum Saisonstart wurden vier Spieler der White Wings Hanau, die am Samstag eigentlich Gastgeber gegen den FC Bayern II sein sollten, positiv getestet. Daher muss Hanau, in dessen Reihen nun der ehemalige Oberhachinger Omari Knox steht, statt auf das Parkett in Quarantäne. So verzögert sich Wagners Debüt in seiner Funktion als Chefcoach des Talentschuppens. Freilich ist er bestens mit den Abläufen bei den Bayern vertraut, denn der 44-Jährige war mehrere Jahre für die Bayern als Cheftrainer in der Regionalliga und der zweiten Liga tätig, sowie unter Svetislav Pesic als Co-Trainer. Zwischenzeitlich war er unter anderem Chefcoach der Erstligisten Bayreuth und Rasta Vechta, 2018 holten ihn die Bayern in ihr Nachwuchsprogramm zurück. Nach der langen Corona-Pause sei es nicht einfach gewesen die Spieler wieder an die Belastungen heranzuführen, zumal es sich um sehr junge Talente handelt. "Der Durchschnitt im Team liegt bei 18,6 Jahren, ich glaube nicht, dass eine andere Mannschaft jünger ist", sagt Wagner. Damit wird er Recht behalten, was zum einen "eine extrem unerfahrenes Team" bedeute, zum anderen hätten viele Spieler noch nicht auf diesem Niveau gespielt: Wir haben die Mannschaft komplett umgekrempelt", erklärt der Coach, das Gros der Spieler entstamme dem eigenen Nachwuchsbereich, spielte vergangene Saison also noch Junioren- oder Jugendbundesliga. "Es ist schon ungewöhnlich, 16-, 17- und 18-Jährigen solche Rollen zu geben und in die Verantwortung zu nehmen", sagt Wagner, aber primäres Ziel der zweiten Mannschaft sei es nun einmal, "Spieler zu entwickeln und mittelfristig in den Profibereich zu bringen."

Immerhin drei gute Beispiele für diesen Weg stehen im Kader: Sasha Grant, Matej Rudan und Jason George gehören bereits dem Profikader an, werden das ProB-Team aber unterstützen, sofern es Zeit und FCB-Chefcoach Andrea Trinchieri zulassen werden. Was nicht ganz unerheblich sein dürfte für den Saisonverlauf, denn erklärter Maßen liegt der Fokus auf der Ausbildung zukünftiger Basketball-Profis, doch dies gelingt im Umfeld der zweiten Liga besser als in der Regionalliga. Der Klassenerhalt sollte daher gewährleistet sein. "Sicher werden uns viele Gegner unterschätzen", glaubt Wagner, "und denken, das wir eine Kindermannschaft sind."

Doch die Kindermannschaft hat in der Vorbereitung einige Zweitligisten düpiert, unter anderem die Tropics.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5076222
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 18.10.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.