Süddeutsche Zeitung

Basketball:Türkische Windmühle

Der FC Bayern München empfängt Euroleague-Tabellenführer Efes Istanbul. Das Team will trotz seiner aussichtslosen Situation im höchsten europäischen Wettbewerb und den jüngsten Rückschlägen in der Liga die Spannung hochhalten.

Von Ralf Tögel

Ist die Luft raus? Keinesfalls, sagt Danilo Barthel. Er war im Urlaub, erzählt der Kapitän des FC Bayern München, sozusagen, zumindest hätten sich die vergangenen Tage so angefühlt. Der Basketball-Profi hat etwas erlebt, so erzählt er in einem Interview auf der vereinseigenen Homepage, was er seit seinem Dienstantritt beim deutschen Meister noch nie erlebt hat: "Wir hatten drei Tage frei. Am Stück!" Die Pause kam gerade recht, um "Körper und Kopf" wieder fit zu bekommen. Wie fit, das wird man am Freitag sehen, wenn der schwerstmögliche Gegner im Audi Dome vorstellig wird: Euroleague-Tabellenführer Anadolu Efes Istanbul.

Derart umfangreicher Müßiggang ist für einen Berufsbasketballer in Diensten eines Klubs vom Stellenwert des FC Bayern in der Tat eine seltene Angelegenheit, denn der deutsche Meister schlägt sich in zwei parallel laufenden Wettbewerben von nahezu gleichem Umfang herum: Euroleague und Basketball-Bundesliga (BBL). Qualitativ könnte der Unterschied kaum größer sein, während die Münchner in der nationalen Eliteklasse als Titelverteidiger und souveräner Tabellenführer das Maß der Dinge bedeuten, präsentieren sie sich in der Euroleague selten konkurrenzfähig und stehen am Tabellenende.

Was eine gewisse Priorisierung mit sich bringt, spätestens seit der jüngsten Heimniederlage gegen Valencia dürfte der internationale Wettbewerb stark an Bedeutung eingebüßt haben. Die Bilanz von 7:17 Siegen legt den Schluss nahe, dass der Kampf um den achten Rang, der für die K.o.-Runde in der europäischen Königsklasse berechtigt, einem gegen Windmühlen gleichkommt. In der Theorie ist bei zehn ausstehenden Spielen zwar alles möglich, doch die Realität zeichnet ein anderes Bild. Gute Spiele sind die Ausnahme, schwache Leistungen - vor allem im letzten Viertel - die Regel. Auswärts haben die Münchner keine einzige ihrer bisher zwölf Partien gewinnen können, meist waren sie schlichtweg chancenlos. Kann ausgerechnet gegen den Primus, der überhaupt erst dreimal verloren hat, ein Erfolg gelingen? Warum nicht, dass die Türken keineswegs unschlagbar sind, hat erst kürzlich der lokale Konkurrent Darussafaka im Stadtduell bewiesen und Efes mit 81:71 im Viertelfinale aus dem Pokalwettbewerb befördert. Efes ist dennoch Meister und Tabellenführer in der Süper Ligi, eine weitere Parallele zu den Münchnern, die schon eine Runde früher den Pokalwettbewerb als Zuschauer verfolgen mussten. Was immerhin nun zur willkommenen Spielpause beigetragen hat.

Der Primus ist Favorit - für die Bayern eine gute Gelegenheit, um Selbstvertrauen zu sammeln

Dass Efes der große Titelfavorit im höchsten europäischen Wettbewerb ist, liegt zuvorderst an seinem Personal. Allen voran Spielmacher Shane Larkin ist zu nennen, der mit 22 Punkten im Schnitt bester Punktesammler der gesamten Liga ist.

Der Guard verdiente vor dem Efes-Engagement sein Geld bei den Boston Celtics in der NBA, seine Leistungen haben in Europa nicht nachgelassen. Es ist eine Augenweide, den Amerikaner spielen zu sehen, er ist pfeilschnell und kaum zu halten im Eins-gegen-eins, hat einen unglaublich sicheren Distanzwurf und setzt zudem seine Mitspieler mit feinen Pässen in Szene. Beim 104:75-Hinspielsieg pulverisierte er gegen die Bayern die Euroleague-Bestmarke und erzielte sagenhafte 49 Punkte. Nach Stand der Dinge müssen die Münchner Zuschauer aber auf diesen Genuss verzichten, Larkin ist am Sprunggelenk verletzt und ein Einsatz unwahrscheinlich, zumal Efes bereits für die Endrunde qualifiziert ist. Ähnliches gilt für Vasilije Micic, ebenfalls Point Guard in herausragender Form und einst in Diensten des FCB: Ihn zwickt die Wade. Beim jüngsten 96:91-Sieg gegen Kaunas erzielten die Guards noch zusammen 47 Punkte, doch auch ohne diese Extrakönner ist Efes angesichts Spielern wie Chris Singleton, Krunoslav Simon, Rodrigue Beaubois oder dem deutschen Center Tibor Pleiß Favorit.

Gleichzeitig ist das Duell eine gute Gelegenheit für die Bayern, auf hohem Level an ihrer Wettkampfhärte und dem Selbstvertrauen zu arbeiten. Nach dem Aufwärtstrend unter dem neuen Coach Oliver Kostic bedeuteten die Niederlagen gegen Villeurbanne und Valencia ja einen Rückschlag, der mit dem 81:90 in Göttingen unschön abgerundet wurde - es war die erst zweite BBL-Niederlage. Die Efes-Partie ist auch eine Gelegenheit für die neuen Guards T. J. Bray und Zan Sisko, Spielpraxis zu sammeln, um sich ihrer Bestform zu nähern. Bray war lange verletzt, Sisko kam erst vor Kurzem, beide fremdeln noch etwas mit dem Münchner Spiel. Bray sagt, er fühle sich gut und werde "immer besser". Ziel sei möglichst schnell auf "100 Prozent" zu kommen, körperlich und spielerisch, zumal sich seine Rolle im Vergleich zum ehemaligen Klub Vechta verändert habe. Bray soll nicht nur punkten, sondern die Mitspieler einsetzen, "daran arbeite ich hart".

Dem Kollegen Sisko bescheinigt Bray die Fähigkeit, Räume zu erkennen, die andere gar nicht sehen, und diese mit überraschenden Pässen zu nutzen. "Er kann passen, er macht jeden Nebenspieler besser. Das macht schon Spaß."

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SZ vom 21.02.2020
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