Basketball:"Real bleibt Real"

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Tabellenführer gegen Fehlstarter: Nach dem besten Euroleague-Auftakt der Vereinsgeschichte reist der FC Bayern erstmals als Favorit nach Madrid. Trotzdem warnt Trainer Trinchieri vor Träumereien.

Von Ralf Tögel, München

Man möge ihn doch bitteschön nicht aufwecken, hatte Andrea Trinchieri nach dem 74:68-Heimsieg gegen Olympiakos Piräus gescherzt, man weiß ja mittlerweile, wie sehr der Italiener das Spiel mit den Medien liebt und beherrscht. Traumhaft erscheint ihm der Blick auf die Tabelle der Basketball-Euroleague, die er mit dem FC Bayern mit 4:1 Siegen anführt. was sicher nicht im Schlaf erreicht wurde. Der schönen Momentaufnahme liegt weniger Magie als vielmehr eine Menge knüppelhartes Training zugrunde. Trinchieri sei ein detailversessener Arbeiter, der seine Spieler unermüdlich zu Höchstleistungen motiviere, hatte Nihad Djedovic erzählt. Der Teamkapitän kann auch davon berichten, dass der neue Chefcoach unnötige Fehler schon mal mit einer unüberhörbaren Direktanalyse noch am Spielfeldrand quittiert.

Jedenfalls hat diese Intensität den Bayern einen historisch guten Start in den höchsten europäischen Klubwettbewerb gebracht, mit der Folge, dass sie nun erstmals nicht als Außenseiter zum Kräftemessen mit Real Madrid (Donnerstag, 21 Uhr) in die spanische Hauptstadt reisen. Zumal die Königlichen einen formidablen Fehlstart in die kontinentale Königsklasse hingelegt haben: Vier der fünf Partien gingen verloren - lediglich gegen das Quarantäne-bedingt extrem ausgedünnte Khimki Moskau, das mit Mühe acht Spieler zusammenbrachte, gelang ein Heimsieg. Neben Mailand, das auch dem FC Bayern die bislang einzige Niederlage beibrachte, verlor Real gegen die drei spanischen Euroleague-Mitbewerber Barcelona, Vitoria-Gasteiz und Valencia. In der spanischen Liga ACB dagegen führt Madrid das Tableau nach sieben Siegen an. Allerdings war bislang keiner der Topklubs Gegner.

Trinchieri will mit derlei Gedankenspielchen keine Zeit vergeuden: "Real bleibt Real", sagt er. "Egal wie sie in der Tabelle stehen oder bisher gespielt haben. Sie haben einen der besten und tiefsten Kader in der Euroleague." Unter dem Kollegen Pablo Laso, der im zehnten Jahr im Amt ist, wurden zwei Euroleague-Trophäen gewonnen; im Europapokal der Landesmeister hatte Real zuvor acht Mal triumphiert, und mit 35 nationalen Titeln hat Reals Basketball-Abteilung sogar einen mehr als die Fußballsparte. Im vorigen Jahr, so erinnert der FCB-Coach, sei Madrid ähnlich matt gestartet, lag beim Abbruch der Saison im März aber als Tabellenzweiter auf Final-Four-Kurs. Jenes Endturnier, das noch nie von einem deutschen Team erreicht wurde, hat Madrid in den vergangenen neun Spielzeiten nur zweimal verpasst. Laso hat ein routiniertes und eingespieltes Team, mit Spitzenkräften wie dem argentinischen Regisseur Facundo Campazzo, dem spanischen Guard Sergio Llull, dem derzeitigen Topscorer Trey Thompkins oder Center-Gigant Walter Tavares, der seinen Gegnern nicht nur wegen seiner Größe von 2,20 Metern Respekt einflößt.

Fakt bleibt aber auch, dass die Königlichen trotz aller großen Namen auf internationalem Parkett vor allem in der Offensive schwächeln, was den Münchnern durchaus zupass kommen sollte. Denn besonders auf die Abwehr legt der Trainer sein Augenmerk. Trinchieri sprach nach dem jüngsten Sieg gegen Piräus vom "bislang komplettesten Defensivspiel". Mit Energie und Konzentration habe man die "griechischen Götter" aus dem Audi Dome vertrieben (Trinchieri liebt es blumig), warum also soll etwas in der Art nicht auch in der spanischen Metropole gelingen. Zumal der Trainer in Wade Baldwin, Nihad Djedovic, Vladimir Lucic, JaJuan Johnson und Leon Radosevic zuletzt eine Euroleague-Startformation geschont hat, worauf er nach der extrem fordernden Auswärtsreise nach Tel Aviv und Istanbul noch verzichtet hatte. So kassierten die sichtlich ermatteten Münchner im Pokal gegen Bayreuth, dem ersten nationalen Pflichtspiel also, gleich die erste Pleite. Die Schuld dafür nahm der Italiener auf sich: Sein Versuch, die Ressourcen des Personals "bestmöglich zu managen", sei schlichtweg in die Hose gegangen, sagte er: "Ich bin verantwortlich." Beim zweiten und dritten Versuch, erneut im Pokal am vergangenen Sonntag und Montag, offenbarte er Lernfähigkeit, der FCB gewann gegen den Mitteldeutschen BC und Crailsheim, beides ausgeruhte, weil international nicht beanspruchte Gegner. Neben der Erholungspause für seine Topspieler brachte das weitere schöne Erkenntnisse: Die zweite Reihe ist allemal in der Lage, die Konkurrenz aus der Basketball-Bundesliga (BBL) in die Schranken zu weisen. Akteure wie Diego Flaccadori, T.J. Bray, Robin Amaize oder Alex King werden bald in der Euroleague Entlastung bringen, Talente wie Sasha Grant, Matej Rudan oder Jason George in der BBL.

In Madrid wird es wieder auf Spieler wie Lucic, Djedovic, Jalen Reynolds oder Baldwin ankommen, der dort weiterzumachen gedenkt, wo man gegen Piräus aufgehört habe: "Wir wollen ihnen zeigen, wie hart wir als Team spielen können, nach Bällen hechten und versuchen, das Reboundspiel zu gewinnen." Als Baldwin das sagt, entfährt ihm ein kurzes Lachen, wohl weil er in diesem Moment an Real-Riese Tavares denken muss. Dann sagt Baldwin noch: "Wenn uns das so gelingt wie in den Spielen zuvor, können wir gewinnen."

© SZ vom 29.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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