Süddeutsche Zeitung

Basketball:Gruß nach Amerika

In Nationalspieler Ismet Akpinar hat der FC Bayern einen Spielgestalter für das Final-Turnier nach München geholt. Der soll helfen, das System auf die Zeit nach Greg Monroe anzupassen.

Von Felix Haselsteiner

"Kreative Lösungen", sagt Ismet Akpinar, habe er in den vergangenen Monaten häufig finden müssen. Zu Beginn der Corona-Krise saß er noch in Istanbul fest. In einer Stadt also, die ihre Ausgangssperren täglich anpasste - und so das Leben der Bürger erschwerte: "Ich war joggen, war beim Fitness, dann durfte ich wieder gar nicht raus, aber ich konnte zu keinem Zeitpunkt auf ein Basketballfeld. Ich habe den Ball vermisst - und vor allem den Wettkampf."

Einen Ball hatten sie Akpinar in München natürlich sofort zur Verfügung gestellt nach seiner kurzfristigen Verpflichtung zwei Wochen vor dem Finalturnier. Und seit Montagnachmittag kann der gerade 25 Jahre alt gewordene Profi auch im Wettkampf wieder eingreifen. Beim 110:79-Sieg der Bayern gegen die Merlins Crailsheim gab der deutsche Nationalspieler sein Debüt für den FC Bayern. Akpinar spielte knapp 14 Minuten, erzielte neun Punkte und lieferte zwei Assists. Es war eine gute Leistung, nachdem er im ersten Spiel der Finalserie gegen Ulm noch auf der Bank geblieben war. "Wir haben uns heute von einer anderen Seite gezeigt", sagte Akpinar nach dem Spiel. Man konnte ihm, gerade was die Offensive anging, durchaus zustimmen: Die Münchner kombinierten flüssig, waren besser unter dem Korb, wirkten mannschaftlich wesentlich besser eingestellt als noch bei der klaren Auftaktpleite. Die Verbesserungen nun allein auf Akpinar, der auf der Spielmacherposition startete, zurückzuführen, wäre zu weit gegriffen. Doch zeigte sich gegen Crailsheim immerhin, dass das Kalkül hinter dem Transfer aufgehen könnte.

Es schien einigermaßen verwunderlich, dass Sportdirektor Daniele Baiesi als Reaktion auf den Ausfall von Center Greg Monroe und Flügelspieler Nihad Djedovic mit der Verpflichtung des Point Guards von Besiktas Istanbul reagiert hatte.

Nominell haben die Bayern somit nur noch zwei klassische Center im Kader: Mathias Lessort und Leon Radosevic. "Ich glaube, dass Lessort und Radosevic gemeinsam mit Danilo Barthel und anderen Monroes Platz einnehmen können", hatte Baiesi seinen Schritt aber erklärt.

Das Risiko könnte sich möglicherweise schon ausgezahlt haben: Der Franzose Lessort, im vergangenen Sommer aus Malaga gekommen, hatte zwar Startschwierigkeiten in München, wirkt mittlerweile aber gefestigter. Und lieferte gegen Crailsheim seine bislang beste Leistung im Bayern-Trikot ab, Lessort erzielte 20 Punkte und war für neun Rebounds verantwortlich, was locker in den Bereich von Monroe reicht. Nun muss der Franzose diese Leistung bestätigen, gegen Kontrahenten, die von einem anderem Kaliber als die tapferen, aber letztlich ungefährlichen Merlins aus Crailsheim sind, die auch noch stark ersatzgeschwächt antreten mussten. Dass dem französischen Nationalspieler die Rolle mit mehr Verantwortung gut tut, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Baiesi ließ anklingen, dass Lessort diese Rolle auch in Zukunft ausfüllen könnte.

Dass Monroe dennoch fehlt, lässt sich schon allein an dessen statistischen Werten ablesen, zuletzt war aber auch häufiger Kritik am ehemaligen NBA-Center zu hören. Baiesi hatte es so formuliert: "Monroe hatte großen Anteil an unserer Saison, im Guten wie im Schlechten." Damit sprach der Sportdirektor von der fehlenden Spielidee: "Von einem kritischen Standpunkt aus muss man sagen, dass wir vor der Krise keine klare Identität hatten." Das gesamte Spiel der Bayern war augenscheinlich sehr stark auf Monroe ausgerichtet, immer wieder wurde der 2,11-Meter-Brocken unter dem Korb gesucht. Baiesi ging es aber offenbar um mehr als eine allzu offensichtliche Taktik - und hier kommt Akpinar wieder ins Spiel. "Ismet wollte unbedingt zu uns kommen und ich bin davon überzeugt, dass man Spieler verpflichten muss, die wirklich hier sein wollen", sagte Baiesi. Ein Satz, den man als Lob für den Neuankömmling verstehen kann - und als Kritik an Monroe. "Als die Bayern angerufen haben, war sofort klar, dass ich das machen werde", sagt hingegen Akpinar.

Das könnte sogar auf ein Umdenken in den Transferüberlegungen beim FC Bayern deuten, der im vergangenen Jahr noch bei Monroes Verpflichtung auf eine Art Superstar-Faktor aus der NBA setzte. Was zumindest in der mittlerweile abgebrochenen Euroleague, die der FC Bayern als enttäuschender Vorletzter abgeschlossen hat, nicht aufging. Stattdessen könnte es zukünftig mehr auf Spieler wie Akpinar hinauslaufen, die Basketball-Qualitäten mit Eigenschaften verbinden, die nicht in Punkten gemessen werden. "Akpinar ist ein guter Junge, der hier mit einem großen Lächeln reingekommen ist", sagte Baiesi: "Und, Gott weiß, man braucht solche Leute in seinem Team."

Was wiederum bedeuten könnte, dass man Akpinar in München gerne länger behalten würde, auch wenn sich beide Seiten offiziell noch bedeckt halten. "Für mich ist es vorerst eine mittelfristige Lösung", sagt Akpinar. Die türkische Liga wird frühestens im Herbst wieder starten, der Wechsel zu den Bayern war daher die beste Möglichkeit, um wieder Basketball "auf höchstem Niveau" zu spielen, wie Akpinar betont. Und überhaupt: Erst einmal geht es ohnehin um die aktuelle Saison. Im Kampf um die Meisterschaft gibt es schließlich genug Bedarf für kreative Lösungen.

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SZ vom 10.06.2020
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