Süddeutsche Zeitung

Baseball:Ein Inning zu viel

Die Haar Disciples scheitern im Halbfinale um die deutsche Meisterschaft knapp an den Bonn Capitals.

Von Christoph Leischwitz, Haar

Am Samstagabend gegen sechs Uhr saß Kevin Trisl auf der steilen Wiese vor dem Spielfeld, zwischen Daumen und Zeigefinger baumelte eine Flasche Bier, die sich der Pitcher der München-Haar Disciples redlich verdient hatte. Trisls Blick richtete sich auf die Grashalme vor ihm, zugleich irgendwie aber auch viel weiter, er wirkte abwesend. Schulterklopfer gab es allerdings keine, aus gutem Grund. Der 24-Jährige war mit einer Entzündung in der Schulter in das dritte Spiel im Halbfinale um die deutsche Baseball-Meisterschaft gegangen, stundenlang hatte er durchgeworfen und die Schmerzen so gut es ging ignoriert. Ein Baseballspiel dauert für gewöhnlich neun Innings, und genau so lange hatte Trisl auch erfolgreich mitgehalten gegen den Bonner Kontrahenten namens Markus Solbach, den viele für den besten deutschen Pitcher halten. 0:0 stand es nach der regulären Spielzeit, im zehnten Durchgang gelang den Bonn Capitals dann das entscheidende 1:0, sie gingen damit nach Spielen 2:1 in Führung. "Ein Wahnsinnsspiel", sagten Zuschauer, die das Stadion verließen, spannender hätte das Duell kaum werden können.

24 Stunden später zeigte sich jedoch, dass die Disciples in diesem knappen Duell am Vorabend das Halbfinale verloren hatten. Denn tags darauf gewannen sie zwar erwartungsgemäß Spiel vier, in dem US-Amerikaner auf dem Werferhügel stehen dürfen. Ryan Bollinger erfüllte seine Pflicht und führte die Münchner zu einem 3:0-Erfolg. In Spiel fünf aber konnten sich die Bonner Schlagmänner relativ deutlich durchsetzen, 5:2 gewann der Gast - und hätte auf der Werfer-Position die deutlich besseren Optionen gehabt, wenn es noch einmal knapp geworden wäre: Die Capitals verfügten über drei weitere einsetzbare Pitcher, die in der Nationalmannschaft spielen. Zwar gelang Nate Thomas im dritten Durchgang der erste Punkt des Spiels, als er auf einen Schlag von Christoph Ziegler die Home Plate erreichte. Doch Bonn drehte die Partie, Haar kam nur noch einmal zwischenzeitlich auf 2:4 heran. Bonn trifft ab dem kommenden Wochenende im Finale auf die Heidenheim Heideköpfe, die in der Punkterunde die Südstaffel knapp vor Mainz und Haar gewonnen hatten.

Am Sonntagabend saßen dann die Disciples auch noch einmal lange zusammen. "Die Jungs sind natürlich traurig. Aber ich muss sagen, ich bin einfach nur stolz auf sie", sagte Teammanager Christopher Howard, der schon früh nach dem Ausscheiden die größte Enttäuschung abgelegt hatte. "Was die Mannschaft dieses Jahr geleistet hat, ist unglaublich. Ich habe noch nie ein Team mit so viel Herz spielen sehen", sagte er. Verloren habe man das Halbfinale letztlich nur wegen Kleinigkeiten. "Da rollt ein Ball im Infield auch einfach mal durch", sagte Howard, Spiel entscheidende Fehler habe man in der Abwehr jedenfalls nicht begangen.

In den kommenden Tagen werde man sich sicher noch einmal "als Mannschaft zusammensetzen", sagte der Teamleiter, immerhin habe man sich ja für das kommende Wochenende auch nichts vorgenommen. Der Großteil der Mannschaft wird wohl zusammenbleiben und in der kommenden Saison versuchen, das diesjährige Abschneiden - die Halbfinale-Teilnahme war die erste der Vereinsgeschichte - sogar noch zu verbessern. "Wir wollen niemanden abgeben", versicherte Howard. Ein Fragezeichen steht aber noch hinter dem Verbleib von Werfer Bollinger, fraglos der wichtigste Erfolgsgarant der Disciples in der nun abgeschlossenen Saison. "Er hat ein Angebot von den New York Yankees", weiß Howard. Beim Traditionsklub aus der nordamerikanischen Profiliga MLB müsste der 26-jährige Linkshänder zwar auch unten beginnen, in den so genannten Farmteams, die in unterklassigen Ligen spielen. Doch vielleicht sei es trotzdem ein Angebot, das man nicht ausschlagen könne, mutmaßte Howard. Man wäre ihm jedenfalls nicht böse. Sollte sich Bollinger für die USA entscheiden, ist klar, was die Disciples-Verantwortlichen in den kommenden Wochen zu tun haben: einen adäquaten Nachfolger finden.

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SZ vom 25.09.2017
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