Baseball-Bundesliga:Harmonisches Orchester

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"Der spielt bislang die Saison seines Lebens": Haars Eigengewächs Kevin Trisl ist zurzeit besser als viele von deutschen Klubs gekaufte US-Werfer. (Foto: Claus Schunk)

Haar Disciples rücken auf Platz drei vor

Von Johannes Knuth, München

Beim Baseball sind die Aufgaben recht eindeutig verteilt. Jeder Mannschaftsteil verfügt über ein spezifisches Anforderungsprofil, in der Offensive, in der Defensive, beim Pitching (den Werfern). Die Bewegungen, die Spielzüge erfordern eben ein wenig Einarbeitungszeit. Eine gute Mannschaft ist im Grunde also eine Ansammlung hoch qualifizierter Fachkräfte (umso erstaunlicher, dass Baseball ausgerechnet in Deutschland weitgehend in der Nische verkümmert, aber das ist eine andere Geschichte).

Manchmal sind allerdings auch die Fachkräfte überfordert. Dann müssen jene Spieler eine Lösung finden, von denen man es nicht unbedingt erwartet hätte, in Momenten, in denen man es noch viel weniger erwarten würde. Wie am vergangenen Wochenende im Fall von Lukas Steinlein und den Haar Disciples.

Steinlein ist beim Bundesligisten als Pitcher angestellt. Er soll den Gegner vor allem daran hindern, Punkte zu erzielen. Dieser Aufgabe kommt Steinlein in dieser Saison zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten nach, die Heimspiele am Samstag gegen die Stuttgart Reds bildeten da keine Ausnahme. Eher ungewöhnlich war, dass Steinlein diesmal auch die siegbringenden Punkte beschaffte, in der Offensive. Im ersten Spiel traf er den Ball des Stuttgarter Werfers satt, der Ball kullerte in den entlegensten Winkel des Haarer Spielfelds, José Palacios machte sich von der ersten Base auf und erzielte den 1:0-Endstand. "Das kam eigentlich aus dem Nichts", sagte Michael Stephan, Sportdirektor und First Baseman der Disciples in Personalunion. Steinlein war dann auch im zweiten Spiel für den entscheidenden Punkt verantwortlich, diesmal drückte er den Ball kurz und platziert ins Feld, Josh Petersen konnte bis zur Homeplate vorrücken, dafür wird im Baseball ein Punkt gutgeschrieben. Den 2:1-Vorsprung, den Steinlein seiner Mannschaft verschafft hatte, verteidigte er dann später selbst, als Werfer. Das war in etwa so, als würde ein Fußballtorwart nebenbei noch schnell das siegbringende Tor vorbereiten. Den Disciples kam das durchaus gelegen, sie stießen dank der beiden Siege auf den dritten Rang der Südstaffel vor, jenen Platz, auf dem sie auch zum Ende der Hauptrunde gerne stehen würden. Um den schwersten Gegnern in den Playoffs aus dem Weg zu gehen.

In Haar haben sie in der Vergangenheit recht oft im Konjunktiv geredet. Über enge Spiele, die sie verloren, die sie aber beinahe gewonnen hätten, wäre nur in diesem oder jenen Moment dieses oder jenes passiert. Die aktuelle Saison begann nahezu deckungsgleich. Seit ein paar Wochen müssen sie den Konjunktiv kaum noch anwenden. Von den vergangenen 14 Spielen gewann Haar zwölf, mehrheitlich zwar gegen vermeintlich schwächere Gegner aus südlich gelegenen Tabellengefilden, sie brachten allerdings auch dem bis dato ungeschlagenen Tabellenführer Regensburg die erste Saisonniederlage bei. Seit ein paar Wochen können sie darauf verweisen, dass knappe Spielzüge, Momente, in denen ein Spiel in die eine oder andere Richtung kippt, mehrheitlich zu ihren Gunsten ausfallen. "Ein bisschen Glück" hat Stephan dafür ausgemacht. Wobei das nur ein kleiner Teil des Haarer Geschäftsmodells ist. Tatsächlich haben Stephan und Co-Trainer Josh Petersen die Mannschaft mittlerweile so aufgestellt, dass sie möglichst selten auf ein bisschen Glück angewiesen sind. Sie haben den meisten Spielern die Rolle gegeben, die zu ihnen passt. Im besten Fall spielt eine Baseballmannschaft dann harmonisch wie ein Orchester.

Da ist zum Beispiel Kevin Trisl. Der 22-Jährige kam im Vorjahr oft als Einwechselwerfer zum Einsatz, er musste meistens eingreifen, wenn sich die Defensive in eine schwierige Situation manövriert hatte. Mittlerweile beginnt Trisl die Spiele (während Lukas Steinlein nun später zum Einsatz kommt). Trisl kann sich in eine Partie hineintasten, es ist eine Rolle, mit der er zunächst ein wenig fremdelte, aber jetzt? Er gestattet den Gegnern derzeit 2,68 Punkte im Schnitt, er ist besser als viele US-Werfer, die deutsche Klubs jedes Jahr für die wohl wichtigste Fachkräfte-Position im Baseball einkaufen. "Der spielt bislang die Saison seines Lebens", sagt Stephan, ihm ist der Stolz anzuhören. Sie haben Trisl in Haar ja jahrelang selbst ausgebildet und hochgezogen.

Die Disciples reisen am Freitag nach Regensburg, zum Tabellenführer, danach kommt Heidenheim, der Zweite. Der Spielplan hält noch ein paar Fallen bereit, es wird einige enge Spiele geben, aber Stephan weiß, dass er sich auf seine Spieler verlassen kann. Auch auf die, mit denen man in bestimmten Momenten nicht unbedingt rechnet.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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