ASV Dachau:Das Quinoa-Experiment

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Die Volleyballer des Drittligisten Dachau ernähren sich drei Monate lang vegan. Nicht alle sind begeistert von der Pilotstudie.

Von Sebastian Winter, Dachau

Ach, Deggendorf: 0:3 haben Dachaus Drittliga-Volleyballer dort verloren am vergangenen Samstag - und möglicherweise den Titel verspielt und ihre Aufstiegsambitionen. Dritter sind die ASV-Spieler nun nur noch, sechs Punkte hinter Spitzenreiter Deggendorf (der nicht in die zweite Liga will) und fünf Punkte hinter dem Zweiten Gotha (der will). Natürlich wäre es jetzt einfach, folgenden Zusammenhang herzustellen: Quinoa und Kichererbsen reichen halt nicht, um im kernigen Niederbayern zu bestehen. Zu einfach. Eine Woche zuvor haben die "Veggie Boys", wie sie inzwischen heißen, 3:0 gegen Niederviehbach gewonnen. Mit Quinoa und Kichererbsen im Magen.

Veggie Boys, Gurken-Truppe, grünes Gemüse: Griffige Namen fallen einem viele ein

Seit dem 24. Januar sind Dachaus Volleyballer Teil einer dreimonatigen Pilotstudie, die die Auswirkungen von veganer Ernährung auf Leistungssportler untersucht. Sie haben Kochkurse besucht, Kochbücher erhalten, ihre Eltern (acht Spieler sind unter 18) haben sich bei Infoabenden überzeugen lassen - auch vom deutschen Weitspringer und Olympiateilnehmer Alyn Camara, der sich vegan ernährt. Am Olympiastützpunkt München unterziehen sie sich Leistungstests, lassen ihr Blut untersuchen. Nebenbei schreiben sie Blogs. Ein Ernährungswissenschaftler der privaten Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Bielefeld und ein Masterstudent begleiten sie. Trainer Dominik von Känel nimmt teil, auch Co-Trainer und Geschäftsführer. Känel sagt: "Ich fühle mich konzentrierter, nicht mehr so müde." Er sagt das am Tag nach der Superbowl-Nacht, in der er sich mit dem Team den Sieg der Philadelphia Eagles angeschaut hat - bei veganen Muffins, Zwiebelkuchen, Couscous- und Nudelsalat. Libero Luis Klimke, 19, bestätigt Känels Aussagen nach gut zwei Wochen Praxistest: "Bis jetzt läuft es voll gut. Ich habe wieder Spaß am Kochen, fühle mich fitter, wacher." Wobei die Effekte nach so kurzer Zeit überschaubar seien. Anderen wie Simon Pfretzschner, Moritz Teichmann oder Mika Kaiser geht es ähnlich.

Von einigen Profisportlern ist bekannt, dass sie sich überwiegend vegan ernähren, wie die Williams-Schwestern oder Novak Djokovic im Tenniszirkus, Formel-1-Pilot Lewis Hamilton oder Fußballer wie Augsburgs zweiter Torwart Andreas Luthe. Allerdings hat noch keine hochklassig spielende Sportmannschaft komplett auf tierische Produkte verzichtet. Auch gibt es bislang kaum Studien zu diesem Thema.

In Dachau waren sie anfangs durchaus skeptisch - manche Spieler und Eltern sind es immer noch. Das Projekt, das im Sommer 2017 von einer Krankenkasse, dem Hauptsponsor der Dachauer, initiiert wurde, bringt ja auch die Familien an ihre Grenzen, die ihre Ernährung für die Söhne umgestellt haben. Inzwischen gibt es einen fast stündlichen Austausch in einer Whatsapp-Gruppe über Rezeptideen oder Einkaufstipps. Und es gibt jene, die nicht mitmachen.

Mittelblocker Thomas Öster, mit 25 Jahren der Senior des Teams, hatte Pfeiffersches Drüsenfieber und war daher zu geschwächt für die Umstellung. Auch Zuspieler Benedikt Sagstetter, 16, und Außenangreifer Vincent Graven, 17, wollten nicht teilnehmen, ihnen selbst und ihren Eltern ist der Aufwand zu groß. "Ich habe großen Respekt davor, wie sie das durchziehen", sagt Sagstetter, "aber für mich ist das nicht praktikabel, weil ich in Landshut wohne und meine Familie zu fünft ist." Gravens Mutter findet außerdem, dass ihr Sohn sich auf seine baldigen Abiturprüfungen konzentrieren sollte. Konstantin Luber macht ebenfalls nicht mit, weil er sich auf seine Studienarbeit konzentrieren möchte. Und ASV-Blocker Samuel Sadorf hat es versucht, aber aufgegeben: "Ich wurde halt mitgerissen von der Gruppe und dachte, vielleicht wird das was. Ich hatte dann aber ständig Hunger, und gegen Deggendorf hat mir die Power im Angriff und am Ende die Kraft gefehlt."

Am Geschmack habe es gar nicht gelegen, beteuert Sadorf, dessen Eltern ihn unterstützten. Auch der Speiseplan sei ausgewogen gewesen, mit Quinoa, Nudeln, Kartoffeln, Avocados, Mangos oder Kichererbsen. "Aber mir hat es halt nicht so viel gebracht", sagt Sadorf.

Es stellt sich noch eine andere Frage: Ist das alles nicht zu viel für eine junge Mannschaft mit einem Altersschnitt von nicht einmal 18 Jahren, in der acht Schüler spielen, die manchmal schon überfordert sind, wenn sie technische und taktische Vorgaben umsetzen sollen? Immerhin trainieren fast alle fünf Mal pro Woche, nicht nur Graven steht vor seinem Abitur. Nun, da sie in der dritten Liga um den Aufstieg spielen, müssen sie sich zusätzlich tief in die Ernährungslehre einarbeiten - und werden noch medial, wie vom Bayerischen Rundfunk, bei Leistungstests und Kochkursen begleitet. All das passiert in einer äußerst sensiblen Saisonphase, in der es für die bislang so starken Dachauer um den Aufstieg in die zweite Liga geht. "Wenn was gut funktioniert, wie eine geölte Maschine, und dann tauscht man ein Zahnrad, ist's halt blöd", sagt Mittelblocker Sebastian Hartmann, ein Skeptiker.

"Ich bin nicht der Tofutyp", sagt Mittelblocker Hartmann, der seine geliebten Krapfen vermisst

Der 19-Jährige macht gerade eine Bäcker-Ausbildung bei seinem Vater, er bäckt Sauerteig-Roggen-Vollkornbrot fürs Team - auf seine geliebten Faschingskrapfen muss er aber verzichten. Und auch Hartmann, dessen Vater das Projekt ablehnt, geht es mittelprächtig. In der ersten Woche hatte er Magenschmerzen, manchmal fühle er sich schlapp. "Ich bin nicht der Tofutyp", sagt Hartmann, der andererseits Spaß daran gefunden hat, mit dem Essen zu experimentieren. Vegane Apfel- und Kirschtaschen hat er schon gebacken, mit Apfelmus statt Ei. Hartmann versucht, die drei Monate durchzuhalten. Wie die meisten anderen. Wie Trainer von Känel. Der 23-Jährige hat die Mannschaft ganz bewusst aus ihrer Komfortzone geholt, Hirsesalat statt McDonald's, vegane Muffins statt Tiramisu. Eine ganzheitliche Ausbildung, den Horizont weiten.

"Es sagt jetzt keiner, das ist die Vegan-Niederlage", sagte Känel nach dem Deggendorf-Spiel. Ernüchtert war er aber schon. Am Samstag gastiert nun Zschopau in Dachau, der Dritte empfängt den Vierten. Die Veggie Boys müssen liefern, um ihre Ambitionen zu erhalten. Und um zu zeigen, dass sie eine ziemlich starke Gurkentruppe sind.

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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