Süddeutsche Zeitung

Apnoetauchen:Atemlos zur WM

  • Robert Woltmann hat spontan an der Deutschen Pool-Meisterschaft im Freitauchen teilgenommen. Er schafft 136 Meter unter Wasser - und wird damit plötzlich deutscher Meister.
  • Nun fährt er für Deutschland zur Weltmeisterschaft nach Belgrad.
  • Frei- oder auch Apnoetauchen bedeutet, ohne Pressluftflasche unter Wasser zu bleiben.

Von Nina Himmer

Erst steigt ihm der Geruch von Chlor in die Nase, dann die Erinnerung in den Kopf: brennende Augen, verschlucktes Wasser, unbeholfene Paddelei - ein kleiner Junge, der schwimmen lernt. Fast 30 Jahre sind vergangen, seit Robert Woltmann in Berlin-Reinickendorf seinen ersten Schwimmkurs absolvierte. Heute ist alles anders: Statt über will er nun unter Wasser bleiben. Am Beckenrand sitzen keine Lehrer, sondern Wettkampfrichter.

Es ist der 14. Februar 2015, und in der Halle seiner Kindheit findet die Deutsche Pool-Meisterschaft im Freitauchen statt. Erst drei Wochen davor hat er sich aus einer Laune heraus dafür angemeldet. Der Erinnerung wegen. Und um zu testen, ob das Hobby der Stoppuhr würde standhalten können. Einatmen. Ruhig bleiben. Abtauchen.

An die letzten Sekunden vor dem Start erinnert sich Woltmann noch gut: "Ich war aufgeregt, weil es mein erster Wettkampf war. Aber auch locker, weil ich mir kaum Chancen ausgerechnet habe." Doch als der Wahl-Münchner beim Zeittauchen 6:43 Minuten schafft und beim Streckentauchen erst nach 136 Metern wieder an die Oberfläche kommt, ist er deutscher Meister. Sein Sieg katapultiert ihn ins Bewusstsein der Szene. Wer ist dieser Unbekannte? Und: Kann er die Leistung wiederholen?

Woltmann wird nachträglich ins Nationalteam berufen

Als der 36-Jährige mit den wasserblauen Augen und dem auf das rechte Handgelenk tätowierten Anker wenige Wochen später auch seinen zweiten Wettkampf in Bamberg gewinnt, wird Aida Germany, der deutsche Ableger des internationalen Freitaucher-Verbands Association Internationale pour le Développement de l'Apnée auf ihn aufmerksam. Woltmann wird nachträglich ins Nationalteam berufen. Bei der Weltmeisterschaft vom 19. bis 28. Juni in Belgrad wird er nun für Deutschland die Luft anhalten.

Darum nämlich geht es beim Freitauchen: Im Gegensatz zum Gerätetauchen mit Druckluftflasche nutzen Freitaucher nur einen Atemzug und den Luftvorrat in der Lunge. Der Zeitraum, in dem sie die Luft anhalten, heißt Apnoe. Diese ursprüngliche Form des Tauchens wird seit Jahrtausenden praktiziert und diente früher zur Nahrungssuche im Meer. Die besten Freitaucher der Welt können den Atemreiz minutenlang unterdrücken, den Weltrekord hält der Franzose Stéphane Mifsud mit 11:35 Minuten.

Allerdings kommt es nicht nur auf die Zeit an. Je nach Disziplin messen sich die Taucher im Tief- oder Streckentauchen, entweder im Pool oder in freien Gewässern. Zu den Spielarten im Pool gehören das statische Tauchen, bei dem bewegungslos die Luft angehalten wird, sowie das Tauchen auf Strecke mit oder ohne Flossen. Beim Tieftauchen in der Natur hingegen geht es gen Grund, ein Seil bietet dabei Orientierung und Sicherheit.

Abtauchen in den Seen des Münchner Umlands

Woltmanns Stärken liegen in den Pool-Disziplinen, in die Tiefe wagt er sich erst langsam. Trotzdem trainiert er am liebsten draußen. Fast jedes Wochenende zieht es ihn ins Münchner Umland, um in einem der vielen Seen abzutauchen. Vom Alltag, dem Stress und dem hektischen Job in der Medizin-Kommunikation. "Wasser gibt mir ein Gefühl der Geborgenheit. Es hüllt mich ein, schirmt mich ab und schenkt mir Ruhe und Konzentration."

Das ist aber nicht der einzige Grund, warum Woltmann sich 2011 während eines Tauchurlaubs in Ägypten entschied, es ohne Pressluftflasche zu probieren. "Für mich ist Apnoe die purste Form des Tauchens. Man lernt seinen Körper unglaublich gut kennen, entwickelt sich mental und physisch weiter und kann die eigenen Grenzen verschieben."

Ganz risikofrei ist das nicht. Immer wieder kommt es zu Unfällen, weshalb dem Sport der Stempel "gefährlich" anhaftet. Gefürchtet sind Blackouts, bei denen Taucher wegen Sauerstoffmangels das Bewusstsein verlieren und ertrinken können. Die wichtigste Regel im Apnoesport lautet deshalb: Nie alleine tauchen. "Was wir machen, ist nicht gefährlicher als beispielsweise Klettern, solange man eine gute Ausbildung und einen verlässlichen Partner hat", sagt Woltmann.

Apnoetauchen wird immer beliebter

Bei ihm ist das Antero Joki, Mitglied des finnischen Nationalteams. Dort, aber auch in anderen Ländern wie Russland, Polen, Frankreich und Italien genießt Apnoetauchen große Popularität. In Deutschland nimmt das Interesse stetig zu, schätzungsweise gibt es 4000 bis 5000 aktive Freitaucher.

Allerdings sind die Ausbildungs- und Trainingsmöglichkeiten hierzulande schlecht. Deshalb gründet Woltmann zusammen mit Gleichgesinnten gerade den Verein "Freedive Munich". Er soll den Sport bekannter und sicherer machen - denn momentan gibt es kaum Vereine, in denen man ihn fundiert erlernen kann. "Wenn man seinen Kurs macht und sich an die Grundregeln hält, ist Freitauchen ein toller Sport, der auf jedem Level Spaß macht", sagt Woltmann. "Aber man steigt schließlich auch nicht ohne Fahrstunden ins Auto oder klettert ohne Seilpartner." Außerdem will er München zu einem Zentrum des Freitauchens in Deutschland machen: "Aufgrund der tiefen, klaren Seen im Umland ist die Stadt dafür prädestiniert."

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SZ vom 18.06.2015/axi
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