Talentiade 2019:Die Freiheit nach dem Fall

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Alisa Sewald aus Poing stand vor einer Profikarriere beim FC Bayern. Dann kam der große Bruch. Von einer, die ein neues Leben entdeckte.

Von Korbinian Eisenberger, Poing/Đong Văn

Es ist das letzte Spiel der Vorbereitung, ihr letzter Einsatz vor dem Saisonstart beim FC Bayern. Ein Heimspiel auf dem FCB-Trainingsgelände in der Säbener Straße in München, Alisa Sewald ist im Mittelfeld gesetzt. Sie ist 16 Jahre alt, und es winken Einsätze in der Bundesligamannschaft der Bayern. Vorher noch dieser eine Test: Es läuft alles wie immer, das heißt es läuft gut, ihre Bayern führen, da passiert es. Sewald blockt mit dem linken Fuß einen Schuss. "Als ich weiterlaufen wollte, fühlte es sich an, wie wenn jemand hinten reindrückt", sagt sie. In diesem Moment ahnte sie es: "Da stimmt irgendwas nicht."

Im Sommer 2012 nahm Alisa Sewalds Leben eine Wendung - als Sportlerin und als Mensch. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Poingerin als höchst begabte Fußballerin einen Namen gemacht. Im Verein spielte sie zur Herausforderung mit den Buben des TSV Poing, zudem lief sie für die U 15 und U 16 der Frauennationalmannschaft auf. Als erstes Mädchen wurde sie in eine Fußball-Leistungssportklasse des Münchner Theodolinden-Gymnasiums aufgenommen - und im Jahr 2011 gewann sie die Talentiade der SZ. Kurz darauf landete sie bei den Bayern.

Die Kontaktaufnahme Jahre nach diesen Triumphen ist ein kleines Abenteuer. Alisa Sewald hat Distanz zwischen sich und die Fußballstadien des Landes gebracht. Sewald reist gerade per Motorroller durch Vietnam. Am Nachmittag des 1. Mai klappt es dann doch mit einem Whatsapp-Gespräch, also einem Telefonat übers Internet. Dort ist es bereits Abend, gerade hat sie Đong Văn erreicht, einen ländlichen Bezirk im Nordosten Vietnams. "Über mir funkeln die Sterne", sagt sie, vor einem Bettenlager stehend, im Hintergrund Motorengeräusche, Hundegebell und Grillenzirpen. Sie sagt: "Dahin, wo es mich hinzieht, biege ich ab."

Es ist weniger ein Gespräch über Tore und Siege. Alisa Sewald redet über das Leben, oder wie sie es nennt, das Leben der einen Alisa - und das der anderen. In Poing aufgewachsen wurde ihr Ausnahmetalent früh erkannt. "Es ist wie ein Strudel, in den man hineingerät", sagt sie. "Und es ist geil, da drin zu sein." Irgendwann rief der DFB bei ihr an, wenig später spielte sie in Schottland vor 1500 Zuschauern, erzielte ihr erstes Tor für Schwarz-Rot-Gold.

Wie aus dem Nichts grätschte dann die Verletzung am Sprunggelenk dazwischen. Zwei Jahre lang kämpfte sie für ihre Rückkehr auf den Fußballplatz - Reha, Operationen, Hunderte von Stunden bei Physiotherapeuten, Ärzten und in Krafträumen. Doch das Gelenk erholte sich nicht wie erhofft. Im Sommer 2014 war der Kampf verloren. So sah sie das damals.

Fünf Jahre später spricht sie vor allem über das, was sie seither gewonnen hat. Als Fußballerin hätte sie sicher nicht die Chance auf eine zwölfmonatige Weltreise gehabt. Eine Chance, die sie 2019 nutzt. Mit dem Moped kurvt sie frei in Vietnam herum, durch Täler, über Reistrassen und hinein in entlegene Orte. "Die Frauen winken einem zu", sagt sie, "von der Feldarbeit haben sie Hände wie Schmirgelpapier". Kaum etwas mache sie so zufrieden wie Kinder, "wenn sie dich anlachen und einen Schritt aus der Türe gehen".

Acht Jahre sind vergangen, seit Alisa Sewald auf der Bühne der Süddeutschen Zeitung stand und den Förderpreis entgegennahm. Damals sah vieles nach der großen Karriere aus, nach Titeln und Endspielen. Die Haare hatte sie in ein weißes Stirnband gebunden, beim Sport und auch auf der SZ-Bühne. Fast, als wolle sie jeden Moment drauflos dribbeln. In der Schule wurde dreimal die Woche vormittags trainiert, abends fast täglich im Verein, und am Wochenende standen Punktspiele an. "So lange du funktionierst, bist du was", sagt sie. "Und dann bist du ganz schnell weg."

Die Trennung des FC Bayern von seiner Spielerin Alisa Sewald verlief nicht gerade harmonisch. Nach ihrer Erinnerung erfuhr Sewald vor versammelter Mannschaft, dass ihre Zeit beim Münchner Klub abgelaufen ist. Die Rückkehr auf den Fußballplatz blieb ihr seit ihrer Verletzung verwehrt, dafür schaffte sie in der Schule das Comeback. Indem sie der Verletzung wegen auf ihren langjährigen Schwerpunkt Sport verzichtete, holte sie sich mit einem Jahr Verzögerung das Abitur und machte eine Ausbildung zur Bankkauffrau. Im Januar trat sie eine einjährige Auszeit vom Bankberuf an, statt Gegenspieler umkurvt sie nun Wurzeln und Erdhügel. Eines ist ihr geblieben: Alisa Sewald war nie eine Bankdrückerin.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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