Süddeutsche Zeitung

Sport im Alter:Muckis für Fortgeschrittene

Ein Projekt der TU stellt Senioren auf Kraftsportgeräte. Das Training soll im Alter möglichst fit halten

Von Sabine Buchwald

Die Füße etwas auseinander auf die Bodenplatte stellen, den Oberkörper leicht nach vorne beugen und die Augen gerade auf den Bildschirm richten. Jan Bischof macht es vor: Mit leichten Bewegungen des Körpers nach rechts oder links, so kann man den Wurm auf dem Monitor Richtung Apfel lenken oder Pinguine durch den Winterwald. Bischof, 26, hat Fitnessökonomie studiert und arbeitet an der Technischen Universität (TU) München mit an einem Bewegungsprogramm für Senioren. Für Kinder ist das, was er zeigt, keine große Sache. Sie wachsen mit interaktiven, digitalen Spielformen auf, verdaddeln ihre Freizeit damit. Hier im Fitnessraum des Diakoniewerks in der Maxvorstadt aber geht es nicht um Zeitvertreib, sondern um Körperbeherrschung und Koordination. Fähigkeiten, die im Alter dramatisch nachlassen, wenn man sie nicht gezielt trainiert.

Durch Körperwackeln nach Würmern schnappen oder als Pinguin übers Eis rutschen klingt banal, macht aber unabhängig vom Alter Spaß. Das bestätigen die betagten Teilnehmer des Pilotprojektes. Initiiert hat es Martin Halle, Professor und Ärztlicher Direktor des Instituts für Sportmedizin und Sportkardiologie der TU. In den vergangenen sechs Monaten ließ er Senioren im Alter von 75 bis 104 Jahren an Koordinations-Trainern und an Geräten üben. Sie sind von einem finnischen Hersteller und leicht adaptiert mit zusätzlichen Haltegriffen oder der Möglichkeit, mit einer Gehhilfe dranzukommen. Angeleitet von Sportwissenschaftlern wie Jan Bischof strampelten die Senioren etwa auf Fahrradergometern, zogen an Gewichten oder pressten gegen Widerstände. Halle möchte ältere Menschen dafür begeistern, ihre Muskeln zu stärken, um beweglicher zu werden und wieder aktiver am Leben teilzunehmen.

Halle kommt den Senioren entgegen. "Unsere Intention ist, Bewegung dahin zu bringen, wo ältere Menschen leben, nämlich in Senioreneinrichtungen", erklärt er. Sein Hintergedanke: Wer fertig angezogen im Turnanzug mit dem Lift in den Übungsraum fahren kann, überwindet womöglich leichter die Hemmschwelle, ein Fitnessgerät auszuprobieren.

"Bewegungsmangel ist einer der wesentlichen Faktoren für Gebrechlichkeit im Alter", sagt Halle. Für ihn ist regelmäßiges Training die beste Möglichkeit, um Muskelschwund und letztlich Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken. Fast ein Drittel der 65-Jährigen sowie die Hälfte der über 80-Jährigen stürzen mindestens einmal im Jahr, nicht selten mit bösen Folgen. Nach einem Oberschenkelhalsbruch wird jeder fünfte Mensch in Deutschland zum Pflegefall. Das belegen gemeinsame Zahlen des Robert-Koch-Instituts, des Statistischen Bundesamtes und des Deutschen Zentrums für Altersfragen. "Wir müssen versuchen, die Leute mobil und in der Gesellschaft integriert zu halten", sagt Halle.

Die Studie

"Bestform. Sport kennt kein Alter" - unter diesem Motto entwickelt die TU München zusammen mit der Beisheim-Stiftung ein Trainingsprogramm für Senioreneinrichtungen. Nach einer erfolgreichen sechsmonatigen Pilotphase in zwei Seniorenheimen soll nun eine Langzeitstudie folgen. Dazu werden in 20 Altenresidenzen Übungsräume mit Fitnessgeräten eingerichtet, die etwa mit zusätzlichen Griffen seniorentauglich sind. Radfahren, Gewichte stemmen, Balanceübungen stehen dann für Teilnehmer auf dem Übungsplan. Sie werden individuell betreut, jeder soll nach seinem körperlichen Befinden trainieren. Interessierte Einrichtungen in München und Umgebung können sich an Nina Schaller wenden: Telefon 089/28 92 44 23 oder nina.schaller@mri.tum.de. SZ

Die sechsmonatige Studie der TU, die mit Zuwendungen der Beisheim-Stiftung umgesetzt werden konnte, hat Halles Erfahrungen aus seiner beruflichen Praxis bestätigt. Sport ist wirkungsvoll egal in welchem Alter; interessanterweise auch unabhängig davon, ob man früher sportlich war. Haller und sein Team untersuchten die Studienteilnehmer regelmäßig und stellten fest, dass die Senioren durch das Training ihre Koordination, ihre Ausdauer und Muskelkraft verbessern konnten. Sie wurden sicherer auf den Beinen, hatten weniger Angst hinzufallen. Insgesamt verringerte sich ihr Sturzrisiko.

Auf die erfolgreiche Pilotphase im Diakoniewerk in der Maxvorstadt und dem Rupertihof in Rottach-Egern, einer Einrichtung des Kuratoriums Wohnen im Alter, soll nun von Januar nächsten Jahres an eine umfangreiche Langzeitstudie in 20 weiteren Senioreneinrichtungen folgen. Halle möchte unter anderem herausfinden, welche Anforderungen, welches Training und auch welche Bedingungen in einem Übungsraum für alte Menschen optimal sind. Dazu gehöre zum Beispiel, wie der Boden beschaffen sein sollte und wie das Licht. Gerade das sei nicht trivial, sagt er, weil die meisten älteren Menschen eine Sehschwäche haben.

Der Kardiologe nennt weitere Faktoren: Probleme wie Inkontinenz beispielsweise. Das heißt, in der Nähe eines Übungsraums sollten Toiletten sein. Außerdem müssen Vorerkrankungen wie ein Herzinfarkt berücksichtigt werden. "Die Schulung muss individuell abgestimmt werden", sagt Halle. Als erfreulichen Nebenaspekt empfindet er, dass das Gerätetraining zum Gesprächsthema am Esstisch geworden ist. Man fragt einander, ob man dabei ist, warum eventuell nicht oder wie es einem damit gehe. Halle ist überzeugt: "Ältere Menschen haben das Bedürfnis und nehmen sich gern die Zeit, etwas anderes zu machen, als sich zum Basteln zu treffen."

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Quelle:
SZ vom 16.10.2019
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