Spontanes Engagement:Helfen, wenn es in den Kalender passt

Lesezeit: 5 min

Immer mehr junge und berufstätige Menschen wollen ehrenamtlich tätig werden - aber nur dann, wenn es in ihren Plan passt. Vermittler wissen, wie sie auf kurzfristige Wünsche reagieren können

Von Kathrin Aldenhoff

Als sie in einem Strandbad an der Müritz im Norden Deutschlands sitzt, malt Stephanie Rößler Aquarelle für ein Münchner Altenheim. Malt den Springturm, den Turm der Wasserwacht. Für das Seegras braucht sie drei Anläufe, bis sie zufrieden ist. Nun ist sie zurück aus dem Urlaub, es ist Donnerstag, zehn Uhr am Vormittag, und die zierliche Frau mit den kurzen Haaren und der runden Brille steht vor einer Litfaßsäule in einem Altenheim und probiert aus, wo die Bilder am besten wirken. "Manchmal habe ich das Gefühl, ich hab von der Sache mehr als die alten Leute."

Stephanie Rößler ist eine ehrenamtliche Helferin. Eine, die ihre Aufgabe genießt, die sie sich ganz bewusst ausgesucht hat. "Als ich das entdeckt habe, dachte ich: Das ist so eine schöne Sache. Warum reißen sich da nicht alle drum?" Es riss sich keiner drum, sie bekam das Ehrenamt. Seit Juni dekoriert sie einmal im Monat die Litfaßsäule, an der Termine und Veranstaltungshinweise für die Bewohner des Münchenstift-Hauses an der Rümannstraße aufgehängt werden.

Sie dekoriert passend zur Jahreszeit, zu den Feiertagen, die anstehen - oder passend zu ihren eigenen Gedanken und Erlebnissen. Dieses Mal: Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern. Aus alten Versandtaschen hat sie Fische gebastelt, sie hat Krepppapier mitgebracht in Türkis und Dunkelblau, das schneidet sie jetzt in Streifen und lässt es an der Säule flattern. Aus Transparentpapier hat sie Kreise ausgestanzt und aneinandergenäht, die Bänder hängen nun neben ihren Bildern und den Fischen.

Ehrenamt im Altenheim: Stephanie Rößler gestaltet im Münchenstift die Litfaßsäule passend zur Jahreszeit, zu den Feiertagen - oder eigenen Themen, die sie beschäftigen. (Foto: Catherina Hess)

Rößler ist eine von 600 000 freiwillig Engagierten in München, so viele zählte die Münchner Bürgerbefragung 2016. Die Zahlen steigen deutschlandweit seit mehr als 15 Jahren. Rößler hat ihr Ehrenamt über die Stiftung Gute Tat in München gefunden, die seit 2007 mehr als 7200 Menschen in ein Ehrenamt vermittelt hat. "Heute ein Engel" heißt das Projekt der Stiftung, Nicole Seidel leitet es. "Wir erkennen zunehmend, wie gut es uns geht", sagt sie. "Trotzdem gibt es Armut in unserem Land. Aus dieser Situation heraus kommt bei vielen das Bedürfnis, gegenzusteuern und zu helfen." Gute Tat ist neben der Caritas und Tatendrang eine von drei Freiwilligen-Agenturen in München. Das Kernstück der Stiftung ist eine Datenbank mit Projekten, die freiwillige Helfer suchen. Und in der sich jeder das suchen kann, was ihn anspricht. Wer etwas gefunden hat, kommt zum Infoabend, das ist verpflichtend. Stephanie Rößler erzählt, mit ihren 44 Jahren sei sie beim Infoabend die Älteste von 15 Teilnehmern gewesen. "Da war ich platt."

Wenn ein Ehrenamt früher vor allem etwas für ältere Damen war, deren Kinder aus dem Haus waren, wollen heute immer mehr junge Menschen und Berufstätige helfen. Nur helfen die eben anders. Jeden Donnerstagnachmittag Besuchsdienst im Seniorenheim? Regelmäßige Vorstandssitzungen abends im Verein - überhaupt, sich langfristig festlegen? Schwierig. Lieber flexibel bleiben. Anderen helfen, wenn man gerade Zeit dafür hat. Wenn es in den Alltag, ins Leben passt. Unverbindlich.

Die Freiwilligen-Agenturen reagieren auf diesen veränderten Zeitgeist. Die Stiftung Gute Tat erstellt jede Woche eine Liste mit kurzfristigen, einmaligen Einsätzen. Schnupperangebote nennt Nicole Seidel das. Da sucht zum Beispiel ein Kletterteam Hilfe beim Bloggen, ein Haus für wohnungslose Frauen sucht eine Friseurin, ein paar Schulen suchen jemanden, der hilft, Frühstücksbrote für Grundschulkinder zu schmieren. Die Agentur Tatendrang verschickt seit Ende 2016 Anfragen für kurzfristige freiwillige Einsätze über den Nachrichtendienst Whatsapp. Das Bellevue di Monaco sucht so Helfer, die für ein Konzert auf- und abbauen, die Initiative Heimat Giesing sucht Leute, die darauf achten, dass auf dem Hinterhof-Flohmarkt alle Verkäufer einen Platz bekommen, der Verein Green City sucht jemanden, der die Holzmöbel abbaut, die im Sommer auf mehreren Parkplätzen standen.

Armin Weber berät in der Freiwilligenagentur Tatendrang, der ältesten ihrer Art in Deutschland, Menschen bei der Suche nach dem passendem Ehrenamt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Etwa 700 Abonnenten erreicht Tatendrang über seinen Whatsapp-Verteiler "Whats to do". "Das ist ein sehr niedrigschwelliges Angebot, es sind einmalige und unverbindliche Einsätze", sagt Armin Weber. Er berät bei Tatendrang Leute, die helfen wollen. "Viele sind mit Uni, Ausbildung, Job und Familie sehr eingespannt und schaffen es nicht, regelmäßig zu helfen. Für sie ist dieses Angebot super." Und manchmal blieben Helfer bei der Organisation hängen und engagierten sich längerfristig.

Rößler hat sich vor einer Weile gefragt, was ein sinnerfülltes Leben ausmacht: "Das dreißigste Paar Schuhe ist es nicht". Sie wusste nicht wohin mit ihrer Energie, noch mehr arbeiten wollte sie nicht. Sie wollte etwas für andere tun. Etwas, das auch ihr selbst Freude macht. Als Jugendliche hat sie im Sportverein die Kleinsten im Judo betreut, seither hatte sie kein Ehrenamt übernommen. "Ich habe viel Elan in meine Arbeit und die Selbständigkeit gesteckt", sagt sie. "Jetzt, wo das läuft, habe ich wieder Kapazitäten." Und die setzt sie nun für die Bewohner des Altenheims ein. Für ihr Ehrenamt hat sie sich eine Schürze genäht aus fröhlich gemustertem Stoff, damit die Bewohner des Hauses sie leichter wiedererkennen. Im Atelier im Keller ordnet sie ihre Bilder, steckt eine Box mit Reißnägeln ein, nimmt die Fische, die an einem Paketband baumeln, mit und steigt die Treppen nach oben ins Erdgeschoss.

Die Litfaßsäule steht in einem Durchgangsbereich des Altenheims. Von der Rezeption führt ein Gang hierher, es gibt eine Sitzgruppe, rechts geht es zum Garten, links zum Hinterhaus und zum Pavillon. An der Wand steht: "Der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln." Rößler hat sich ein Quiz ausgedacht, die Fragen in großen Buchstaben auf Papier gedruckt, zum Beispiel: "Mit welchen Fischen muss man in der Müritz rechnen?" Als Antwortmöglichkeiten hat sie darunter geschrieben Hecht, Wels, Hai und Makrele. Nun pinnt das Papier mit Reißnägeln fest. "Ich habe das Gefühl, dass hier viele nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen", sagt sie. Mit ihren Bildern, den Quizfragen und den Fotos will sie den alten Menschen etwas geben, womit sie sich auseinandersetzen können.

Eine Putzfrau stellt ihren Wagen neben ihr ab und wischt den Aufzug. Eine Frau schiebt ihren Rollator vorbei und sagt: "Grüß Gott", Rößler lächelt und grüßt zurück. "Selbst wenn ich nur ,Guten Tag' sage, ist das für manche wahrscheinlich der einzige Kontakt, den sie an einem Tag haben. Abgesehen von dem mit den Pflegern." Manchmal werde aus so einer Begegnung ein Gespräch, sagt sie. Dieses Mal nicht, die Frau schiebt weiter. Rößler sagt: "Ich mache hier etwas, was ich total gerne mache. Und ernte auch noch die Lorbeeren." Vorhin zum Beispiel, da sei eine Frau auf sie zugekommen und habe gesagt: "Sie machen das immer so schön!"

Dass die Freiwilligen etwas zurückbekommen, dass ihnen ihr Einsatz Spaß mache, das sei wichtig, sonst blieben sie nicht dabei, sagt Ute Bujara. "Ich muss erleben können, dass jemand merkt, was ich tue. Dass es jemandem hilft." Zusammen mit Renate Volk leitet Bujara die Agentur Tatendrang seit acht Jahren. Und auch sie merken, wie sich die Ehrenamtlichen verändern. Sie sind jünger geworden, immer mehr Studenten, Schüler, Vollzeitberufstätige und Migranten lassen sich bei ihnen beraten. Wollen wissen, welches Ehrenamt zu ihnen und ihrem Leben passen könnte. "Jeder bringt eine unterschiedliche Situation und Motivation mit", sagt Volk. Mit den Ehrenamtlichen müssten sich auch die Organisationen verändern. Aber trotz Whatsapp-Listen sei das große Ziel ein langfristiges Engagement. "Sporadisches Engagement ist nicht verwerflich", sagt Volk. Aber im sozialen Bereich brauche es gewisse Kontinuität. Das sieht auch Seidel von Gute Tat so. Nur: Wer noch nicht wisse, wo er in den nächsten drei Jahren leben wird, solle sich lieber keine Patenschaft suchen, sagt sie. Wer Nachhilfe geben will, sollte sich mindestens für ein halbes Jahr festlegen. "Sonst ist keinem geholfen."

Rößler bewahrt in der untersten Schublade einer Kommode ihre Bilder auf. Eine Robbe, Muscheln, große, bunte Schmetterlinge, die sie ausgeschnitten hat. Von den Schmetterlingen sind nicht mehr viele übrig - als sie die nach einem Monat von der Litfaßsäule nehmen wollte, fehlten ein paar. "Die fand wohl jemand richtig schön", sagt sie. Und dass sie das als Kompliment nimmt. Sie hofft, dass sich jemand die Schmetterlinge ins Zimmer gehängt hat und Freude daran hat. Sie hatte die Freude ja schon, beim Malen.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: