Spitzenforschung in Garching:Universum im Pappkarton

Was hält denn nun die Welt im Innersten zusammen? Hunderte Wissenschaftler versuchen am Forschungszentrum Garching, den Geheimnissen des Universums auf die Spur zu kommen. Manchmal mit ganz unkonventionellen Lösungen.

Niklas Nau

Das Gebäude ist klein und flach, die Fassade schlicht. Wegen der Hitze sind die Jalousien vor vielen Fenstern heruntergelassen. Hin und wieder tritt jemand vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. Doch in dem unscheinbaren Gebäude auf dem Campus des Forschungszentrums Garching bei München versuchen Wissenschaftler nichts geringeres, als dem Universum auf den Grund zu gehen.

Spitzenforschung in Garching: Im Labor wird die empfindliche Apparatur in einem Antimaterie-Experiment mit einem Pappkarton geschützt.

Im Labor wird die empfindliche Apparatur in einem Antimaterie-Experiment mit einem Pappkarton geschützt.

(Foto: Niklas Nau)

Mit was sich die Forscher hier beschäftigen, klingt nach Science-Fiction. Dunkle Materie, Antimaterie, dunkle Energie. Fast erwartet man, im Labor im Keller irgendwo über einen ausrangierten DeLorean, das Auto aus dem Zeitreise-Film Zurück in die Zukunft, zu stolpern, dessen Zeitmaschine gerade von dem genial-verrückten Wissenschaftler DocBrown generalüberholt wird. In Wirklichkeit stößt man zuerst auf einen Tischfußball, es riecht nach den Käsehäppchen, die zum nächsten Seminar gereicht werden.

Überall im Labor stehen seltsam anmutende Gerätschaften herum. Zig Kabel baumeln an kleinen grauen Kästen, bunte Graphen und Zahlenkolonnen wandern über Computerbildschirme. Um empfindliche Apparate zu schützen, helfen sich die Tüftler manchmal auch unkonventionell - mit einem Pappkarton. Hier werkeln allerdings keine weißhaarigen Käuze in seltsamen Kitteln, sondern junge Doktoranden im T-Shirt.

Der Exzellenzcluster "Origin and Structure of the Universe", an dem Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Technischen Universität (TU), mehrere Max-Planck-Institute und andere Forschungseinrichtungen beteiligt sind, hat gerade die zweite Förderrunde der Exzellenzinitiative erfolgreich durchlaufen. Jetzt fließt noch fünf weitere Jahre Geld an die rund 250 Physiker, die zusammen versuchen herauszufinden, was es denn ist, das die Welt - und das Universum - im Innersten zusammenhält.

Bei dieser Frage muss Stephan Paul, Professor für Teilchenphysik und Leiter des Clusters, noch passen. Aber begeistert erzählt er, wie sich aus den vielen Forschungsprojekten des Clusters ein immer genaueres Bild des Universums zusammensetzt. Seit seiner Gründung 2006 ist Paul der Leiter des Clusters.

Der Professor grinst, wenn er berichtet, wie neue Ideen und Kooperationen zwischen den Teildisziplinen entstehen. Beim Kaffetrinken fragen die Forscher aus der theoretischen Physik ihre Kollegen aus dem experimentellen Bereich schon mal verwundert: "Ach, das könnt ihr messen?" Obwohl die Wissenschaftler auch früher schon zusammengearbeitet hätten, würden ihnen gerade beim gemeinsamen, ungezwungenen Gedankenaustausch in der Mittagspause oft Ideen für Projekte kommen.

Die Angst davor, Dinge zu vereinfachen

Zuerst aber hätten alle lernen müssen, sich überhaupt miteinander zu verständigen. Denn wenn Astro- und Kernphysiker die gleichen Begriffe oder Buchstabenkürzel verwenden, meinen sie oft verschiedene Dinge. Deswegen will Paul in der neuen Förderrunde noch mehr Zusammenarbeit ermöglichen. Zu interessanten Themen sollen künftig Wissenschaftler aus aller Welt nach Garching kommen und gemeinsam vier bis sechs Wochen intensiv forschen.

Der Einladung werden sicherlich einige folgen, denn Garching genießt international einen exzellenten Ruf. Davon sollen nicht nur die Karrieren der Wissenschaftler, sondern auch die der Studenten profitieren. Neben den vielen neuen Professuren, die der Lehre zugute kommen, will man auch versuchen, die Studierenden schon in den ersten Semestern mit in die Forschung einzubinden.

Die Forscher der Cluster bereiten viele Experimente hier nur vor, rechnen, probieren herum, bauen Prototypen. Die vorbereiteten Versuche werden dann mit Hilfe großer Teilchenbeschleuniger, Forschungsreaktoren, Teleskopen und Satelliten an anderer Stelle durchgeführt. Die Daten laufen schließlich wieder in Garching ein.

Vor kurzem haben Kernphysiker und Astronomen des Clusters erstmals Zinn-100 genauer untersucht. Dies ist eine Variante des Elements Zinns und zerfällt extrem schnell. Um diesen Zerfallsprozess genau zu beobachten, haben die Wissenschaftler an der TU München extra einen neuen Teilchendetektor entwickelt. Das eigentliche Experiment fand dann in den Beschleunigern am Helmholtz-Institut für Ionenforschung in Darmstadt statt. Die Forscher hoffen nun, dass ihnen die Ergebnisse helfen zu verstehen, wie sich im Universum nach dem Urknall nach und nach die schwereren Elemente gebildet haben.

Im Mai 2012 stellte die Universitätsstarnwarte München ein neues Teleskop am Wendelstein vor, mit dessen Hilfe Clusterwissenschaftler den Himmel absuchen wollen, um aus der Lage von Galaxien auf die Verteilung Dunkler Materie und Dunkler Energie im Kosmos zu schließen. Auch an der Jagd auf das Higgs-Boson, dem "Gottesteilchen", das erklären könnte, warum Teilchen eine Masse besitzen, sind Clusterwissenschaftler beteiligt.

Die Universe-Forscher wollen aber nicht draußen in Garching im wissenschaftlichen Elfenbeinturm sitzen. Sie beteiligen sich am Münchner Café und Kosmos, wo Wissenschaftler jeden Monat ihr Forschungsfeld vorstellen, und führen Besucher durch die Ausstellung "Entwicklung des Universums" im Deutschen Museum.

Im angelsächsischen Raum habe man ihnen da jedoch immer noch einiges voraus, gerade im Onlinebereich, meint Paul. "Wir haben als typisch überkorrekte Wissenschaftler immer noch Angst davor, Dinge zu vereinfachen und deswegen von Fachkollegen kritisiert zu werden."

Pauls eigene Begeisterung für die Physik ist deutlich in seinem strahlenden Gesicht zu sehen, wenn er über den Cluster und seine eigene Forschung spricht. Er ist bloß traurig, dass er selbst nicht mehr so oft im Labor stehen kann. Denn die Leitung des Clusters zeige ihm vor allem eines: Das Universum birgt noch viele Geheimnisse.

Mehr Informationen auch unter www.universe-cluster.de.

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