In 15 Minuten läuft die Zeit ab. Michael Schlicker startet das Computer-Programm, in dem er und seine Teamkollegen ihr Spiel "Aren't you...?" programmiert haben. Seine Finger huschen über die Tastatur, immer wieder öffnen und schließen sich Fenster am Bildschirm. Für einen Laien ist schwer nachvollziehbar, was gerade passiert. "Wir haben einen Fehler im Code entdeckt", seufzt Michael. "Der Spielcharakter sollte eigentlich Objekte vom Boden aufheben. Das tut er aber nicht." Seit zwei Tagen sitzt das Team an ihren Computern - scheitert das Projekt jetzt kurz vor Schluss? "Die Zeit reicht nicht mehr, um den Fehler zu beheben, aber es gibt einen Trick", verkündet der Games-Engineering-Student. Anstatt das Spiel wie geplant als Datei aufzurufen, kann es direkt im Programm gespielt werden. "Dort taucht der Fehler nicht auf." Nicht optimal, aber gerettet - im Zeitlimit.
Michael Schlicker und seine fünf Mitstreiter nehmen an dem Game Jam in Garching teil, einer von Studenten der TU München organisierten Veranstaltung. Das Ziel: In einem Wochenende ein Computerspiel entwickeln, vom Konzept über Programmierung bis hin zum spielbaren Produkt. Als thematische Vorgabe gibt es dieses Jahr nur ein einziges Wort: "Attraction", also Anziehungskraft. Darüber hinaus sind den Mannschaften in ihrer Kreativität - und Interpretation - keine Grenzen gesetzt. Ein Team lässt zwei Magneten durch einen Parcours rollen. Ein anderes entwickelt einen Fotosimulator, in dem man Touristenattraktionen ablichten kann. In "Aren't you...?" ist die Hauptfigur ein prominenter Sänger, der auf dem Weg zum Konzertsaal von seinen Anhängern verfolgt wird. "Die dunkle Seite der Anziehungskraft", meint Michael.
Das Event fand am vergangenen Wochenende zum fünften Mal in München statt - und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. "Wir haben mit 150 Studenten einen neuen Teilnahmerekord aufgestellt", konstatiert Daniel Hook erfreut. Um dem großen Andrang gerecht zu werden, hat die Universität den Studenten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Überall stehen Computer, liegen Yogamatten und Schlafsäcke. In drei Vorlesungssälen und vielen kleinen Hinterzimmern basteln die 30 Mannschaften an ihren Ideen.
Daniel Hook, lange braune Haare, Ziegenbärtchen, gehört zum Organisations-Team und ist ein alter Game-Jam-Hase. Vor zwei Jahren gewann er bei der ersten Ausgabe den Hauptpreis. "Damals war das eine Kokosnuss." Er grinst. Heute ist das anders. Das Organisationsteam hat namhafte Sponsoren für den Game Jam rekrutiert, darunter Technologie-Gigant Microsoft und das Münchner Spielestudio Aesir Interactive. So werden nicht nur die Preise besser. Für die Teilnehmer steht auch mehr auf dem Spiel.
"Für uns ist der Game Jam eine Talentschmiede", erklärt Wolfgang Emmer, "der Bedarf nach Spieleentwicklern ist enorm, und hier können wir uns den Nachwuchs genau anschauen." Der 35-jährige Münchner ist Geschäftsführer und Mitgründer von Aesir Interactive, dem Hauptsponsor. Die Spielebranche sei auch in Deutschland in einer enormen Wachstumsphase. "In unserer täglichen Arbeit ist Kreativität - zum Beispiel bei Auftragsarbeiten - sehr wichtig. Wer bei einem Game Jam in kurzer Zeit und mit Teamgeist neue Ideen umsetzen kann, passt perfekt zu uns." Dass namhafte Unternehmen aus der Branche das Event unterstützen, kommt auch bei den Studenten gut an. "Die Motivation steigt dadurch noch weiter", meint eine junge Frau, "mit etwas Glück sind diese Spielestudios unsere zukünftigen Arbeitgeber."
Bei dem Game Jam geht es aber auch um den sozialen Aspekt. "Am ersten Tag wird in kleinen Gruppen über Ideen nachgedacht", erzählt Daniel Hook aus dem Organisationsteam, "man lernt sofort viele neue Menschen kennen." Es ist nicht ungewöhnlich, dass Teilnehmer während zwei Tagen ununterbrochen mit Menschen zusammenarbeiten, die sie vorher noch gar nicht kannten. "Man darf sich zwar auch als komplettes Team anmelden, die meisten kommen jedoch in kleineren Gruppen." Und weil das Soziale nicht zu kurz kommen soll, gab es bei diesem Game Jam sogar zwei Brainstorming-Kennenlern-Phasen.
Zum Abschluss der Veranstaltung findet die Siegerehrung statt. Neben einer Jury, die Preise für Einzelkategorien wie Sound, Art oder Spieldesign verteilt, wählen die Mannschaften selbst die Hauptgewinner. Jedes Team darf alle Konkurrenten bewerten. Ein Kriterium ist beispielsweise, ob ein Team alle Bereiche selbst entwickelt hat - nutzt man schon existierende Musik, führt das zu Punktabzug. Der größte Gewinner ist jetzt schon die Spielindustrie: Wenn die Studenten in nur 42 Stunden fast fertige Produkte programmieren, dann dürfen sich die Studios auf viele Talente freuen. Michael Schlicker hat sich in der Kategorie Sound Chancen ausgerechnet, sogar Effekte wie ein Sprung aus dem Fenster hat das Team selbst erstellt. Am Ende reicht es nicht für einen Preis, die Jury spricht jedoch ein großes Lob für ihre künstlerische Arbeit aus. Immerhin. Nach zwei Tagen mit nur wenig Schlaf will das Team aber ohnehin nur noch ins Bett.